Freitag, 30. September 2011

Blickwechsel

Am besten angezogen: Die Frau mit der lässig weiten weißen Hose und der dunkelblauen Adidas-Jacke. Mädchenhafte Erscheinung in meinem Alter (59). Gerade abgeschnittene lange blonde Haare. Kann das denn sein, dass sie immer noch ihre Naturhaarfarbe hat? An den Händen, am Hals und an den Augen erkennt man das Alter. Bei ihr sieht man es an den Augen. Umschattet, Lider leicht gerötet. Volles, weiches, strähniges blondes Haar. Der Friseur war nicht billig, der das gemacht hat.

Sehr Elegant: Rattig geschnittene Bob-Frisur. Haare schwarz. Gefärbt? Schwarze Hornbrille. Großgeblümtes Sommerkleid. Viel Rot auf Weiß. Grauer dünner Mantel. Offen. Die Handtasche passend zum Kleid. Am oberen Rand ein Zierstreifen aus dem gleichen Stoff und mit dem gleichen Muster. Aber warum steht das Kleid vorne so weit ab? Umstandskleid? Schwanger? Aus dem Alter ist sie doch schon raus. Das ist ein Look. Sie hat sich schön gemacht. Es ist ihr gelungen.

Offensive Sexiness einer Endfünfzigerin: Jeans. Helles Beige. Neue Jeans. Der Klassiker, keine Röhrenjeans. Schmaler Beinverlauf. Die Waden und Schenkel wie eingepackt. Ist das Stretch? Der leichte Elasthananteil sorgt für ein optimales Tragegefühl? Hauteng. Das Gesäß wie ausgestellt. Exponiert. Hintern an der Grenze zum Riesenarsch. In Schwarz wäre die Hose dezenter. Aber Unauffälligkeit ist nicht gewollt. Die Frau ist stolz auf ihren Hintern und sie will zeigen, dass sie ihn hat.  

Schöne stumme Szene: Ihr Blick, mein Blick. Ihr Blick der jungen Frau hinterher. Kurzer Rock, blickdichte schwarze Strumpfhosen, dunkelbraune Stiefel. Lange schlanke Beine, große Frau. Einen Kopf größer als ich. Zwei Köpfe größer als sie, die ihr hinterher guckt wie ein Kerl, nur auf die Beine. Mein Blick folgt ihrem Blick. Sie bemerkt, dass ich sie beobachte. Kurzer Blickwechsel. Keine Verständigung. Wir haben die gleichen Interessen. Aber wir sprechen nicht darüber.  

Donnerstag, 29. September 2011

Reste


Die letzten Tage der Glühbirne Digitalprint auf Acrylglas
5-teilig  28 x 50 x 50 cm  2010

Gondwana. Das ist die kleine Galerie in der Merseburger Straße mit der schwarzen Tafel neben dem Eingang. Und auf der Tafel steht: Mittwoch 27.9., 20 Uhr/ Vernissage/ Helga Wagner/ Was bleibt!? /Bilder und ObjekteVernissagen sind nicht mein Ding, ich schaue mir Ausstellungen lieber an einem anderen Tag an oder mache Atelierbesuche. Aber ich möchte die Galeristen kennenlernen: Klaus Karwat und seine Partnerin. Die Partnerin ist Klaus Karwats Frau und heute Abend nicht da. Sie wollte ich kennenlernen wegen ihres schönen Namens: Maria Genau. Und Herrn Karwat will ich kennenlernen, weil er im August so kooperativ war und mir auf meine telefonische Anfrage umstandslos eine digitale Kopie des Gemäldes geschickt hat, das ich vormittags im Schaufenster der Galerie gesehen hatte und über das ich dann nachmittags schreiben wollte. Das Bild habe für einiges Aufsehen gesorgt damals, erzählt er, und es sei dann auch schnell verkauft gewesen. – Für wie viel? – Zum festgesetzten Preis. 2600 Euro. – Die Gäste der Vernissage sind in der Mehrzahl Frauen. Unter ihnen: Dr. Brigitte Stamm, Uliane Borchert und Anita, eine sehr gern gesehene Nachbarin von mir. Brigitte Stamm will ich erzählen, warum ich zur Vernissage gekommen bin, doch schon nach dem ersten Satz unterbricht sie mich: Sie brauchen mir nicht zu erklären, warum Sie hier sind. – Frau Stamm, ich weiß, dass ich Ihnen das nicht zu erklären brauche. Ich mache gerade Konversation mit Ihnen. - Das ist ein für uns typischer Dialog. Zu Beginn unserer Bekanntschaft war ich noch befremdet, inzwischen genieße ich diese Dialoge. – Die Nachbarin hat die ausstellende Künstlerin in einem Eiscafé kennengelernt, und obwohl Helga Wagner damals einen Fuß in Gips hatte, ist sie mit Anita den weiten Fußweg zu ihrem Atelier gehumpelt, um ihr ihre Arbeiten zu zeigen, und Anita war begeistert. -  Uliane gefällt ein Triptychon, das in dem Korridor hinter dem großen Ausstellungsraum hängt, an einer weißen Wand, die Helga Wagner vor der Ausstellung selbst gestrichen hat, damit das Triptychon zur Wirkung kommt. Mit den Digitalprints auf Acrylglas mit dem Titel Die letzten Tage der Glühbirne hat Uliane die Schwierigkeit, dass sie die Glühbirnen nicht erkennt, obwohl es alles leuchtende Glühbirnen sind. Guck hier, da glüht sie, die Birne! Sieht man schon von weitem, sage ich. Nein, sie kann die Glühbirnen nicht sehen, sagt sie und ich verstehe. Mit den anderen Arbeiten kann ich auch mehr anfangen. Und am besten gefällt mir das Objekt mit den an Kupferdraht baumelnden Alabasterstückchen. Der Titel des Objekts ist zugleich der Name der Ausstellung: Was bleibt !? Und das ist auch die Formel des künstlerischen Verfahrens von Helga Wagner. Was bleibt, das ist das Material, das sie findet, Reste, Übriggebliebenes. Das kann alles sein, Hölzer, Glas, Kupferdraht, ein Stein oder das, was von einem Stein übrig bleibt: Sand. In vielen ihrer Bilder arbeitet sie mit Sand. Was ich in die Finger kriege, damit arbeite ich und mache daraus Kunst. Aber es muss durch meine Finger gehen. Heißt: Sie denkt sich nicht aus, was sie mit dem Material gestalten kann. Sie geht mit dem Material um und lässt ihre Finger denken. Als sie mir das genauer erklären will, unterbreche ich sie: Schon verstanden. Mache ich auch so. Versuche es wenigstens. Nicht denken, schreiben, erzählen. Die an Kupferdraht baumelnden Alabasterstückchen sind übrig geblieben von der Bearbeitung eines Alabastersteins, den Helga Wagner gefunden und gestaltet hat zu einem fünfeckigen Objekt. Die Fünfeckigkeit in der Rohform des Steines angelegt, von ihr herausgearbeitet, deutlich gemacht. So geht das. Bei Gondwana ausgestellt sind kleinere Arbeiten Helga Wagners. Ihre großen Objekte und Installationen wären hier nicht unterzubringen gewesen, die will sie in ein paar Wochen zeigen in ihrem Atelier, aus Anlass des Schöneberger Atelierrundgangs. Dann mehr über ihre Kunst der Resteverwertung. 

Vernetzungen   Acryl, Sand, Kreide auf Leinwand
210 x 180 cm    1992


In Wirklichkeit schärfer:  Was bleibt!?
Alabastersteine, Kupferdraht, Acrylglas
49 x 50 x 50 cm  2009

Helga Wagner
Was bleibt!?
Bilder und Objekte 

Merseburger Str. 14
10823 Berlin - Schöneberg 
0151/56 50 49 67
030/754 555 02          

Bild und Fotos: © Helga Wagner

Mittwoch, 28. September 2011

Zwilling

Die eine der beiden Schwestern (mit Brillant über dem linken Nasenflügel) an der hinteren Kasse.  Die andere (mit Brillant über dem rechten Nasenflügel) macht Pause, sitzt neben dem Vordereingang und isst eine Mandarine. Da will ich nicht stören. Erst mal einkaufen. Zwei Birnen und ein Pfirsich. Es wird der letzte sein in diesem Jahr. Die Saison ist vorbei. Von den beiden Pfirsichen, die ich tags zuvor gekauft habe, war der eine heute Morgen faul. Als ich das sah, habe ich gedacht: Jetzt. Am besten heute eine der Schwestern ansprechen. Denn von nun an werde ich nicht mehr drei-, viermal die Woche bei Öz Gida sein, erst im Winter wieder, in der Orangen-Saison. Als ich den Supermarkt verlasse, sitzt der Zwilling mit dem Brillanten rechts immer noch neben dem Eingang und hat die Mandarine aufgegessen. Ich zögere, da ich keinen Einstieg habe (kein Gerüst) und: wenn sie Nein sagen wird, kann ich das so ohne weiteres wegstecken an diesem auch so schon nicht einfachen Tag? – Ich bin schon drei Schritte weg, da mache ich kehrt und gehe zu ihr hin. Sage Hallo. Sage Blog, erkläre kurz Blog, sage, dass ich einen Blog schreibe über mich, aber noch viel lieber über andere Leute. Über Leute in meiner Umgebung, die mir gefallen oder die ich interessant finde. Sage, dass ich vor ein paar Wochen entdeckt habe, dass sie eine Zwillingsschwester hat, die auch bei Öz Gida arbeitet, dass ich fasziniert bin von ihnen und sie fotografieren möchte und mit ihnen reden, um sie vorzustellen in meinem Blog. Während sie mir zuhört, kneift sie ein Auge zu, als müsste sie in die Sonne schauen. Aber ihr gegenüber stehe ich. Die Sonne scheint links von mir, das Sonnenlicht fällt seitlich ein, kann sie nicht blenden. Und was antwortet sie? – Nein. – Nein? – Nein, das will ich nicht, fotografiert werden. – Wir können auch einfach nur reden. Das muss nicht sein mit dem Fotografieren. – Nein, Danke der Nachfrage, sagt sie. – Nachfrage? Wenn sie Danke der Nachfrage sagt, dann kann ich jetzt auch sagen: Ich hätte euch ein bisschen berühmt gemacht. – Was für ein dämlicher Satz! Und dann auch noch: ein bisschen. Aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Nein ist Nein. Und das ist völlig in Ordnung, es geht nur noch darum, ihr zu zeigen, dass es in Ordnung ist. Mich nicht abrupt abzuwenden und bei ihr den Eindruck zu hinterlassen, ich sei eingeschnappt oder enttäuscht von ihr. Ich bin nicht enttäuscht. Hätte sie Ja gesagt, wäre ich überrascht gewesen und hätte mich gefreut. Dass sie Nein gesagt hat, ist das, was zu erwarten war. Nur, dass sie Danke der Nachfrage sagen wird, das war nicht vorherzusehen. Das ist es, was heraus gekommen ist bei der Aktion: dass ich jetzt weiß, dass sie die Frau ist, die Danke der Nachfrage sagt in so einem Fall - und dass sie weiß, wie ich damit umgehe, wenn ich was von ihr und ihrer Schwester will und sie Nein sagt. Wie sich das anhört: Wenn ich was von ihr und ihrer Schwester will. Doch so war es nun mal, auch wenn es nicht viel war, was ich von den beiden wollte. Und jetzt geht es mir beim Schreiben so wie es mir ging, als ich vor ihr stand, nachdem sie zweimal Nein und ein Mal Nachfrage gesagt hatte und ich mich nicht abrupt abwenden wollte, obwohl nichts mehr zu sagen war, und ich ihr nur zeigen wollte: Es ist gut. Anders wäre besser gewesen. Aber so ist auch gut. Statt einer großen nun eben eine kleine Geschichte. Das war sie.

Außerdem in Das innere Biest: Crowdfunding 2.

Peter L.

Peter Lützkendorf. Weil ihm sein Nachname zu lang war, hat er sich am Telefon mit  L. gemeldet und so wurde er dann auch von seinen Freunden genannt: der L. - Er ist am Dienstagmorgen um 2 Uhr im Urban Krankenhaus gestorben. An Leberversagen.


Peter L. Nackte Wände in Kreuzberg  21,26 x 15,35 cm  2011
Foto: © Peter Lützkendorf

Montag, 26. September 2011

Entwischt

Wenn das so einfach wäre, ein Konto zu eröffnen mit einem Namen, der nicht in meinem Personalausweis steht, sondern der Titel meines Blogs ist. – Blog? fragt der freundliche Mann von der Berliner Sparkasse in der Hauptstraße. – Website, sage ich zur Vereinfachung. Worauf er sagt: Firmenkonto. Da geht das mit einem anderen Namen. Aber damit kennt er sich nicht aus. Da muss ich jemanden anderen fragen. Doch das lasse ich letzt lieber, da ich in Eile bin und mir schon denken kann, dass es bei einem Firmenkonto nicht mit zwei Euro Kontogebühren im Monat abgeht. Es mal bei einer Internet-Bank versuchen? Fortsetzung morgen. Jetzt schnell AldiBackFactoryKaiserKioskÖzGida und dann zu Don Antonio, wo der Mann sitzt mit dem Helm und dem Overall - die am interessantesten angezogene Person im Kiez in der Kategorie Männer. Der Helm ist aus Plastik und bernsteinfarben, ein Helm, wie ihn Arbeiter auf Bohrinseln aufhaben. Dazu trägt er meist einen blauen Overall und es könnte auch sein, dass das kein Style Statement ist, sondern Arbeitskleidung. Da der Overall stets fleckenlos ist, eine saubere Arbeit, bei der einem allerdings schon mal was auf den Kopf fallen kann. Heute jedoch gibt es keinen Zweifel: Der Helm ist aus einem dunkelbraunen geflochtenen Material, lackiert, so dass es glänzt in der Sonne; dazu trägt er einen Overall aus brauner Fallschirmseide und halbhohe braune Stiefel aus Leder. Das ist ganz klar ein Style Statement und es sieht gut aus. An ihm. Wenn viele so herumliefen, wäre das lächerlich. Zu ihm passt es. Er hat auf eine verblüffende Art seinen Stil gefunden und deshalb will ich auf den Mann schon seit Monaten zugehen, um ihn im Blog vorzustellen, aber jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, saß er vor dem Coffee Shop in der Akazienstraße, der nicht das Double Eye ist und wo die deutlich weniger affigen Leute hingehen. Saß da inmitten anderer Gäste und vor denen wollte ich ihn nicht ansprechen. Heute endlich die Gelegenheit. Er stieg vor dem Don Antonio vom Fahrrad, ging zu einem der draußen stehenden Tische, guckte mich im Vorübergehen von der Seite an, ich guckte von der Seite zurück, hätte nur Hallo sagen müssen und dann alles andere, aber ich wollte das Konto für das Biest eröffnen, dachte, das ist keine große Sache, danach noch rasch AldiBackFactoryKaiserKioskÖzGida und rechtzeitig bin ich wieder bei Don Antonio, wenn der Mann mit dem Helm seine Pizza gegessen hat. Doch, als ich hin kam, war er schon weg. Nachfrage beim Kellner: er isst da regelmäßig um diese Zeit (15 Uhr), aber nicht täglich. Jetzt weiß ich, wo ich ihn mal alleine erwischen kann. Wenigstens das. - Ja und? Und sollte sein etwas, das mit der Sponsorin Nr. 1 zu tun hat, dem Satz: Wer sich zuerst bewegt, der hat schon verloren und damit, dass das stimmt und auch nicht. Aber das lasse ich weg. Denn es wäre ein Gedanke gewesen. Und über Gedanken, habe ich zur Sponsorin Nr. 1 heute gesagt, möchte ich nicht mehr schreiben, am liebsten würde ich überhaupt keine mehr haben.   

Sonntag, 25. September 2011

Friederike

Die ansteckende Leichtigkeit Friederikes. Aufgewachsen am Wannsee, mittleres von drei Kindern. Das war eine kleine Welt, aber wenn wir wollten, haben wir sie uns eben größer gemacht. Nach dem Abitur Schneiderlehre. Plan, Modedesign zu studieren, verworfen nach einem desillusionierenden Einführungsvortrag an der UDK. Lieber in Italien Modedesign in der Praxis studiert. Da habe ich mir meine Welt ganz groß gemacht. – Mailand? – Florenz. – Die große Modewelt von innen gesehen. Bei einem jungen aufstrebenden Label gearbeitet. Kollektion für ein New Yorker Kaufhaus. Matratzen geschnitten. – Matratzen? – So nennt man das, wenn man Stoffbahnen aufeinander legt zum Zuschneiden. Halbindustrielle Fertigung. Tag und Nacht geschuftet, um den Termin zu halten. Die Deadline um drei Tage überschritten. Darauf hat das Kaufhaus in New York die ganze Kollektion zurückgeschickt, das aufstrebende Label war pleite und sie stand ohne Geld da in der fremden Stadt. Zum Markt gegangen, wenn die Händler ihre Stände abbauten und ihre Reste hergeschenkt haben. Da gab es an einem Abend dann eben nur Radieschen. Neue Leute getroffen, andere Jobs gemacht. Eine gute Zeit gehabt, aber auch gemerkt, dass es das nicht ist für sie, die große Welt des Modedesigns. Und dann kam der Mann, den sie schon kannte, kennengelernt an der Berufsschule, mit dem sie zusammen war und dann wieder getrennt, und der nun wollte, dass sie zurückkommt nach Berlin, und wurde ihr Mann, Vater ihrer beiden Kinder (13 jetzt der Junge, 16 das Mädchen) und ihr Partner, mit dem sie Modedesign gemacht hat nach ihren Vorstellungen. Ganz klein angefangen, ihr erstes Atelier hatten sie im Wohnzimmer in ihrer Charlottenburger Wohnung und ihre Sachen haben sie verkauft auf dem Flohmarkt an der Straße des 17. Juni. Der erste Laden in Friedenau, der zweite Laden dann schon der jetzige in der Goltzstraße, das Chiton, 1995 war das, und bald darauf die Spezialisierung auf Brautmoden. Entworfen von ihr und ihrem Mann, zugeschnitten und gefertigt im eigenen Atelier. Der Stil inspiriert von der Mode der Renaissance. Frei von Pomp und Kitsch. Schlicht und edel. Preise von 1000 Euro (eher schlicht) bis über 2000 Euro (sehr edel). Alle Kundinnen bekommen die gleiche persönliche Betreuung durch Friederike oder ihren Mann. Sie verkaufen den Bräuten nicht einfach Kleider, sie beraten sie: sie ziehen die Bräute an. Das ist ihr Ehrgeiz, jeder Frau das Kleid auf den Leib zu schneidern, das zu ihr passt. Das begründet ihren Erfolg. Das macht Spaß. Und weil sie eine Frau ist, die Erfolg hat und Spaß an ihrer Arbeit, auch deshalb ist das Gespräch mit Friederike so eine Wohltat an dem Nachmittag, an dem wir vor dem Ombretta in der Sonne sitzen, Ecke Goltz-/Barbarossastraße, gerade mal zehn Meter von ihrem Laden entfernt. Sie beantwortet (fast) alle meine Fragen, ohne dass ich sie gestellt habe. Sie hat ihre Geschichte schon öfter erzählt, sie weiß, worauf es ankommt. Sie ist eine gute Erzählerin, sie erzählt gerne. Und als ich ihr dann doch eine Frage stelle, eine Frage, die eigentlich nicht gestattet ist bei einer Frau, die nach allem, was sie mir erzählt, nun mal keine 26 und auch keine 36 mehr sein kann, obwohl sie eher aussieht wie 26 als 36 und das, obwohl sie raucht, zwei Marlboro Lights in der Stunde, in der wir zusammensitzen – als ich sie frage, wie alt sie ist, da nennt sie ohne Umschweife und Zicken ihr Alter. Ich verrate es nicht. Nur so viel: An günstigen Genen allein kann es nicht liegen, wenn eine Frau in ihrem Alter immer noch aussieht wie ein großes Mädchen und auch die Leichtigkeit eines Mädchens hat, dem noch nie etwas Böses widerfahren ist. – Dir ist noch nie etwas Böses passiert. – Nein. – Wie das kommt, muss ich nicht fragen. Die Antwort darauf hat sie mir schon gegeben, als sie mir ihr Leben erzählte: Schnell erkannt, was nicht zu ihr passt, was sie nicht wollte, und dann das, was sie wollte, gemacht und daran Spaß gehabt. Sicher auch nicht zu viel gewollt. Aber dafür alles, was sie wollte, gekriegt. Alles richtig gemacht. – Fehlt mir nur noch ein Foto von ihr. Wenn wir uns wieder treffen, fotografiere ich dich. – Sie sagt nicht nein, sie sagt, dass ich über sie schreibe, das soll genügen. Ein Foto von ihr gibt es auf der Website des Chiton, siehe Contact: Foto von ihr und ihrem Mann. Aber dann lass mich ein Detail von dir fotografieren. Du hast schöne Hände. Beim nächsten Mal fotografiere ich deine Hände. – An den Händen sieht man das Alter, sagt sie und dann zeigt sie mir die Hornhaut, die sie an den Fingern hat vom Zuschneiden, von der Schere. – Jetzt weiß ich, was wir machen: Das nächste Mal schaue ich dir bei deiner Arbeit zu und fotografiere dabei deine Hände. Darauf sagt sie nicht nein. Ich hoffe, es bleibt dabei.  

Wenn Leute heiraten, die hören dann schon von uns, sagt sie über die Bekanntheit des Chiton. Und ich sage: Seit ich an eurem Laden vorbeigehe, denke ich: Wenn ich einmal heiraten sollte, dann komme ich mit meiner Braut hierher, damit sie an dem wichtigen Tag schön aussieht und sich wohlfühlt in ihrer Haut. – Friederike: Das hast du gut gesagt, wichtiger Tag. Es heißt ja schönster Tag im Leben. Aber das wäre doch schrecklich, wenn nach der Hochzeit das Schönste schon passiert ist.

Chiton
Goltzstraße 12
10781 Berlin
Tel. 216 6013
www.chiton.de

Samstag, 24. September 2011

Stimmig

Sätze der Galeristin. - Kannst du eine Suppe essen?  Einladung zu einer Nudelsuppe bei Hang und Tui (Choice). – Wie sie ihre Galerie betreibt: Ich bin sehr intuitiv, aber ich bin nicht ohne Wissen. - Über Gerit Koglin: Seine Bilder sind intelligent. So wie junge Männer intelligent und erfrischend sind.

Basiscamp    Öl auf Leinwand    191 x 238 cm (3-tlg.)    2010 

Ein Satz, der es der Galeristin angetan hat: Ich war noch nie in Hannover. Das ist der Titel eines Bildes von Gerit Koglin; es hängt im Wohnzimmer Ulianes. Und das war auch der Titel seiner Ausstellung in Ulianes Galerie in der Langenscheidtstraße. 2009 war das. Da hat die Galeristin zum ersten Mal Arbeiten von ihm gesehen und war begeistert von der Leichtigkeit, mit der er tolle Kunst macht, und von seiner Person. Wie unkompliziert er ist und überhaupt nicht wichtigtuerisch. Er schreit nicht nach Aufmerksamkeit. Das hat er nicht nötig. Er hat so viel Kraft. Er muss nur mal pusten und schon passiert unheimlich viel. - Hört sich an wie eine Liebeserklärung. – Ja, ich bin ein richtiger Fan von ihm. Das habe ich ihm auch gesagt: Wie ein kleines Mädchen bewundere ich ihn. Er ist einfach stimmig. Wenn man ihn sieht und seine Bilder sieht, da passt alles zusammen. Das stimmt.

Junge! Kommwieder!     Öl auf Leinwand     139 x 159 cm     2009


Jetzt hast du mit zwei Frauen gesprochen, die ihn bewundern. Jetzt musst du ihn selbst kennenlernen. Und danach musst du noch mit seiner Frau sprechen. Die ist auch Künstlerin. Bildhauerin. – Die zweite Bewundererin, mit ihr meint die Galeristin Uliane. Gerit Koglin war ihr Lieblingsschüler und sie hat einen starken Eindruck bei ihm hinterlassen. Die Galeristin: Weißt du, wie er macht? So: Geste des Verscheuchens über die linke Schulter. Und dann sagt er: Geh weg, Uliane! Die Galeristin lacht: Das macht er, wenn er etwas Neues ausprobiert und nicht will, dass Uliane ihm dabei über die Schulter guckt.

Galeristin:
Liljana Vulin-Hinrichs
Galerie:
subjectobject
Ausstellung:
Gerit Koglin
Gesichtet
21. Oktober - 12. November 2011
Mehr bei Ausstellungsbeginn.

Freitag, 23. September 2011

Crowdfunding

Vormittags hat die Galeristin die 13jährige Tochter von der Schule abgeholt, weil ihr schlecht und schwindlig war. Jetzt geht es ihr wieder besser und sie muss zur Klavierstunde gefahren werden. Ihr war nicht schwindlig, nur schlecht war ihr, korrigiert die Tochter ihre Mutter, als die uns miteinander bekannt macht und dabei die Unpässlichkeit erwähnt. Danach setzen wir unser Gespräch fort. Das ist schon in Ordnung, sagt Liljana. Die Tochter kennt das, dass ihre Mutter jemanden aus ihrer Galerie mitbringt, wenn sie zu Chauffeurfahrten für eins ihrer beiden Kinder gerufen wird, wie jetzt nach Friedenau in die Odenwaldstraße. Wir reden darüber, wie ich mit meinem Blog Geld verdienen kann, denn ich mache nichts anderes als den Blog und ich will auch nichts anderes machen. Zwei Modelle gibt es: Entweder ich finde Partner, die im Blog Anzeigen schalten und zugleich auch Sponsoren sind, da es nun mal nicht so ist, dass ich täglich 300.000 Leser habe. Oder ich halte den Blog weiter anzeigenfrei und somit auch unabhängig, indem ich Leser als Sponsoren gewinne, die den Blog unterstützen, weil ihnen seine Unabhängigkeit etwas wert ist. Crowdfunding  nennt man das. Schönes Wort und das hat auch schon geklappt (der Perlentaucher hat sich damit im Frühjahr aus der Finanznot gerettet). Aber funktioniert das auch bei mir? Wie soll ich das angehen? Oder soll ich es nicht doch lieber mit kommerziellen Partnern versuchen, denen ich Anzeigenplatz verkaufe? Darüber brüte ich nun schon seit Monaten. Auf jede Frage, die ich mir stelle, kommt ein Einwand, fallen mir Bedenken ein statt Antworten. Keine Idee für einen ersten Schritt, aus dem sich die nächsten Schritte ergeben können. Ich komme nicht vom Fleck. Es macht mich ganz mürbe, dass ich keine Idee habe. Und Liljana hat auch keine, hat nur Einwände und Bedenken. Es ist eben auch neues Terrain. Am besten wäre, wenn ich eine Rente hätte oder reich wäre. Du hast keine Rente, du bist nicht reich? – Nein. – Entschuldige, dass ich frage. – Kein Problem. Aber wo ist jetzt die Odenwaldstraße? Wir kurven durch das Gewirr der kleinen Straßen zwischen Laubacher Straße und Bundesallee. Die Tochter hat schon zweimal gesagt, dass sie aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß gehen kann. Den Fußweg kennt sie, nur wie man mit dem Auto hinkommt, weiß sie nicht. Aber Liljana ist die Mutter, die ihre Tochter bis vor die Haustür des Klavierlehrers fährt, und das schafft sie auch, nachdem wir den amüsierten Mann nach dem Weg gefragt haben. Amüsiert, weil: Sie müssen nur 20 Meter weiter fahren und da ist sie schon, die Odenwaldstraße. Die Tochter braucht noch zwei Euro für die Rückfahrt mit dem Bus, dann verabschiedet sie sich und ich will gerade abschließend zusammenfassen, was alles nicht geht, da kommt Liljana mir zuvor mit etwas, das sie sich überlegt hat während unserer Irrfahrt in die Odenwaldstraße. Es ist nicht  d i e  Idee, d a s Konzept. Was sie sich überlegt hat sind nächste Schritte. Auf Leute zu, auf alle, die Nutznießer des Blogs sind und ein Interesse daran haben, dass es den Blog gibt. Galerien zum Beispiel. Wie die ihre. Obwohl sie gerade keinen Werbeetat hat. Aber das kann sich auch ändern. So etwas braucht Zeit, um zu wachsen. In der rechten Spalte des Blogs wird es eine Liste der Sponsoren geben, da stehen sie mit ihrem Logo, wenn sie ein Geschäft haben und dann ist es zugleich Werbung für sie, oder sie stehen da mit ihrem guten Namen, wenn sie Leser sind, die den Blog weiterlesen wollen. Wir halten vor Liljanas Galerie. Neben dem Eingang das Schild mit dem subjectobject-Logo, das möchte sie ändern, dünnere Schrift. Nein, mach das nicht! Das Logo ist perfekt. Ich komme noch mit rein, wegen der Bilder von Gerit Koglin, die sie mir geben will; die zeige ich morgen. Ich spreche von der Verklemmtheit, die ich sonst nicht habe, aber in Gelddingen. Das kennt Liljana, wenn auch nicht von sich selbst. Verklemmtheit ist, sich nicht trauen und darüber sich dann auch noch zu viele Gedanken machen. Eine Sponsorin habe ich schon, die will den Blog mit 50 Euro monatlich unterstützen. Komm vorbei, dann gebe ich dir das Geld für September. Ich war immer noch nicht dort. Verklemmtheit. Soll ich einfach mal die Sponsoren-Liste eröffnen? Mit dieser einen Person? Oder sollte ich damit nicht lieber warten, bis ich drei, vier Sponsoren habe? Zu viele Gedanken.

Wenn dir das nichts einbringt, was du machst, dann hörst du irgendwann auf damit und das wäre sehr schade, hat die Sponsorin Nr. 1 gesagt. Können nicht auch andere so denken? 

Donnerstag, 22. September 2011

Neurotisch

An alle, die nicht verstehen, warum ich die zwei Passagen im Posting Taewoo gestrichen habe. Und das sind einige, die das nicht verstehen.

Die zwei Streichungen betreffen insgesamt neun Zeilen an einer wichtigen Stelle des Textes. Damit ist er an der Stelle nicht mehr verständlich, also ruiniert. Deshalb hätte ich den Text gleich ganz löschen können. Und das war auch Taewoos Wunsch. Der Gefallen, um den er mich gebeten hat. Den habe ich ihm nicht getan. Ich habe die beiden Passagen auch nicht gestrichen, um ihm einen Gefallen zu tun. Und ich habe es auch nicht getan aus Freundschaft zu ihm. Die gibt es nicht. Es gibt, was ich am Anfang von Angebrüllt geschrieben habe: Weil ich ihn mag ... . Aber auch deswegen habe ich die beiden Passagen nicht gestrichen. Ich habe es getan, weil ich mich nicht mit vor der Brust verschränkten Armen hinstellen und mit dem Kopf schütteln kann, wenn einer sagt, dass er Angst hat. So habe ich es heute jemandem erklärt, der es nicht versteht, dass ich die Streichungen vorgenommen habe, und da hat diese Person abgewinkt, weil sie Taewoo diese Angst nicht abnimmt.

Als ich gestern Friederike die Adresse meines Blogs gegeben habe, da habe ich warnend hinzugefügt: Der Blog ist in keiner guten Phase. Es geht gerade ziemlich neurotisch zu. Aber ich bin dabei, da wieder raus zu kommen. - Heute habe ich es geschafft, indem ich die zwei Passagen gestrichen habe. Angst oder nicht Angst? Er weiß es. Ich muss darüber nicht mehr nachdenken.

Schwer

Die ansteckende Schwerfälligkeit des Er in Angebrüllt. Die ansteckende Leichtigkeit Friederikes. Die Leichtigkeit hält noch eine Stunde an, nachdem wir uns verabschiedet haben, dann gehe ich zurück in die Schwerfälligkeit von Angebrüllt und während ich den Text überarbeite, wird aus der Schwerfälligkeit eine Sturheit, in der ich mich nicht mehr wiedererkenne. Inzwischen mag ich Taewoo nicht einmal mehr eine Mail schreiben. Die Streichungen nehme ich auch nicht vor, obwohl das eigentlich nicht geht. Solange er sich nicht meldet, unternehme ich nichts. Nur die Zeichnung, die ich, ohne ihn vorher gefragt zu haben, von seiner Website kopiert habe, die habe ich inzwischen entfernt. Dieser Stand ist ungut und mir nicht gemäß. Am besten wird es sein, wenn ich die Streichungen vornehme? – Ich nehme die Streichungen vor und zur Erklärung verlinke ich in einer Fußnote zu Angebrüllt. Punkt. Den verworfenen Text vom Dienstag habe ich in Das innere Biest gestellt. Den verlinke ich nicht. Wer weiß, wie man in Das innere Biest kommt, kann ihn lesen. Das innere Biest ist so eingestellt, dass Suchmaschinen den Blog nicht finden. Demnächst werde ich am rechten Rand dieses Blogs ein Link zu Das innere Biest setzen. Jetzt lieber noch nicht.

Mittwoch, 21. September 2011

Angebrüllt

Weil ich ihn mag, hat er die Macht, mich wütend machen zu können. Einmal, im Schwimmbecken des Stadtbad Schöneberg, habe ich ihn am Arm gepackt und zu ihm gesagt: Wenn du das noch mal machst, dann haue ich dir eine auf die Nuss! Was er gemacht hatte, ist jetzt nicht wichtig. Er hatte jedenfalls keine Ahnung, was es war, oder er tat so, als ob er es nicht wüsste. Das war vor fünf Jahren und es war das erste und einzige Mal in meinem Erwachsenenleben, dass ich jemandem mit Gewalt gedroht habe. Damals wusste ich noch nicht, dass er als Jugendlicher Karate gemacht hat. Oder Taekwondo? In einer der beiden Kampfsportarten hat er es zu einem schwarzen Gürtel gebracht, hat er mir einmal erzählt. Und als er dann mit 17 oder 18 Jahren sich der Kunst zugewandt hat, da hat er den Kampfsport aufgegeben, weil er der Auffassung war, dass Kunst und Kampfsport nicht zusammenpassen. – Frage: Hat er mir das im Vertrauen erzählt oder kann ich das hier bedenkenlos weitererzählen, da er es jedem erzählt? So wie er jedem erzählt von seinen Lebensverhältnissen und so wie er nicht nur mir, sondern auch Uliane erzählt hat von der Arroganz eines Maler-Kollegen und wie er der begegnet ist mit feiner Selbstironie, die so fein war, dass der Kollege sie gar nicht mitgekriegt hat. Darüber habe ich geschrieben, ohne Bedenken, in bester Absicht: zu seiner Ehrenrettung. Das war ihm dann aber nicht recht, dass das so breitgetreten wird mit dem Kollegen. Und auf keinen Fall hätte ich in diesem Zusammenhang auf seine Lebensverhältnisse hinweisen dürfen, weil ihm daraus existenzielle Nachteile erwachsen könnten, wenn darüber zu lesen ist in meinem Blog. Was nach Ansicht Ulianes, eine Expertin für seine Art von Lebensverhältnissen, eine unbegründete Befürchtung ist und ein Verhalten, das sie als kleinkariert bezeichnet. Das die Vorgeschichte. 

Gestern am frühen Abend telefonieren wir. Er beschwert sich darüber, dass ich weitergegeben habe, was er mir im Vertrauen erzählt hätte. Und das ärgert mich, dass er mir nun moralisch kommt mit einem aus der Luft gegriffenen Vorwurf. Denn er hat nie auch nur angedeutet, dass seine Lebensverhältnisse der Geheimhaltung unterliegen, er hat mir mit keinem Wort zu verstehen gegeben, dass was er mir darüber erzählt hat, vertraulich zu behandeln ist. Und von mir aus wäre ich nie darauf gekommen, da er das, was er mir erzählt hat, jedem erzählt, der es hören will, und warum auch nicht, da jeder es wissen kann. Aber egal, habe ich dann gestern zu ihm gesagt: Du bist ein ängstlicher Mensch. Ich bin auch ein ängstlicher Mensch. Wir sehen Gefahren, wo keine sind. Deshalb komme ich dir entgegen. Ich streiche im Posting die Hinweise auf deine Lebensverhältnisse. - Das hatte er nicht erwartet. Das fand er gut. - Aber, ganz so einfach ist es nicht: Wenn ich in einem Text etwas streiche, dann muss ich den Lesern erklären, warum. Deshalb werde ich eine Fußnote machen mit dem Verweis auf den Text, den ich heute Nachmittag geschrieben habe und in dem ich berichte, wie es zu den Streichungen gekommen ist. – Was?! Vertraulich, vertraulich! Und unmöglich findet er das. – Ich erkläre ihm meinen Blog: Wenn du dir mal die Mühe gemacht hättest, in meinen Blog reinzulesen - was du nicht getan hast, weil du dich nicht interessierst für das, was ich mache -,  dann wüsstest du, dass ich über mein Leben schreibe, über alles, was in meinem Leben passiert. Und wenn ich morgens von dir eine Mail bekomme, die mir den ganzen Vormittag nicht aus dem Kopf geht und ich sie deshalb schließlich an Uliane weiterleite, um mir Rat bei ihr zu holen, dann schreibe ich am Nachmittag darüber und am Abend poste ich das. – Ich finde das unmöglich, dass du meine Mail Uliane zu lesen gibst, empört er sich. Die Mail sei vertraulich. Und deshalb sei es auch unmöglich, dass ich über die Mail schreibe. – Ich entgegne, dass ich seine Mail natürlich nicht wörtlich wiedergebe. - Er gibt einen Laut der Missbilligung von sich, der besagt, dass er es unmöglich findet, dass ich ihm jetzt mit solchen Spitzfindigkeiten komme. – Ganz sachlich und noch in ruhigem Ton wiederhole ich: Ich habe deine Mail nicht wörtlich zitiert in meinem Text von heute Nachmittag. Dann werde ich laut: Ich habe über deine Mail geschrieben. Das kann ich tun. Und jetzt brülle ich: Denn wenn ich deine Mail gelesen habe, dann ist Deine Mail in meinem Kopf. Und über das, was in meinem Kopf ist, Darüber kann ich schreiben - darüber kann ich schreiben, was ich will, so lange ich will und so viel ich will, hätte ich noch gesagt, aber da hatte ich auf einmal das Gefühl, dass er nicht mehr da ist, und so war es auch: Er hatte aufgelegt. 

Wann habe ich zum letzten Mal jemanden so angebrüllt? Da muss ich weit zurückgehen in die schöne Zeit, als meine Katze noch lebte. Meine Katze habe ich einmal so angebrüllt. Darf man eine Katze anbrüllen? Auf keinen Fall. Aber so wie es mir damals nicht leid getan hat, so hat es mir auch gestern Abend bei ihm nicht leid getan. Verwundert war ich über mich, dass ich so ausgerastet bin, und später habe ich mich geärgert, dass ich den Aufruhr, den ich in mir hatte nach dem Ausrasten nicht einfach ausknipsen konnte, so wie er zuvor sein Telefon ausgeschaltet hatte. Doch trotz des Aufruhrs war ich nicht mehr wütend auf ihn. Nicht einmal mehr geärgert habe ich mich über ihn. Nur lästig war mir die ganze Geschichte und ich wollte sie hinter mich bringen. Ich habe versucht, ihn anzurufen. Zweimal. Er ist natürlich nicht rangegangen. Beim zweiten Mal habe ich auf seine Mailbox gesprochen: Es wird nicht besser dadurch, dass wir nicht darüber reden. Lass uns weiter verhandeln und die Geschichte zu einem guten Ende bringen. Du selbst bestimmst, welche Rolle du darin spielst ... . Zum Schluss habe ich noch gesagt, dass ich weiß, dass er nicht zurückrufen wird. Danach habe ich mich nicht gefragt, warum ich dann überhaupt auf seine Mailbox gesprochen habe, und ich habe alle Impulse, über ihn zu urteilen, unterdrückt. Doch den Aufruhr hatte ich immer noch in mir. Weil ich nichts Unbesonnenes tun wollte, habe ich beschlossen, den Text über seine Mail erst mal nicht zu posten, und war dann froh, dass ich nachmittags die Fotos von Oleg und der Tasche der Kostümbildnerin aus Zürich gemacht hatte. Ich habe einen Text über sie und ihre Tasche geschrieben und danach war für mich wieder alles gut. Obwohl der Aufruhr immer noch nicht ganz weg war. 

Dienstag, 20. September 2011

Kostümbildnerin

Oleg Ilyapour: Zwischen dem 1. und dem 18.
     Lebensjahr wurde ich nur dreimal fotografiert, ...

... später dann häufiger, meist von der Polizei.

Neben ihrer Tasche hatte die Kostümbildnerin noch einen Rollkoffer bei sich. Denn sie ist aus Zürich und auf der Durchreise, wie sie sagte. In Berlin auf der Suche nach Stoffen. Mehrere Stoffläden hatte sie schon abgeklappert und nun - gegen 15.08 Uhr (Timecode meiner Kamera) - stand sie neben mir, als ich gerade Oleg fotografiert habe. Große, schlanke dunkelhaarige Frau im Trenchcoat, die erst nicht wusste, wer von uns beiden nun der Besitzer des Fichu ist. In ihren Augen hätte auch ich es sein können und vielleicht hat sie sich deshalb so bereitwillig von mir ausfragen lassen. Warum haben Sie einen Rollkoffer bei sich? Wie sind Sie auf das Fichu gekommen? Weshalb interessieren Sie sich für Stoffe? ...  - Oleg hatte unterdessen mit zwei anderen Kundinnen zu tun, die kurz zuvor eingetroffen waren und von denen die eine mich so böse angeguckt hat, dass ich mich ganz schnell abgewandt und der Kostümbildnerin noch mehr Fragen gestellt habe. Sie hat einen leichten Schweizer-Akzent. So leicht, dass ich es erst gemerkt habe, nachdem sie mir gesagt hatte, dass sie aus Zürich kommt. Ich habe ihr dann erklärt, dass Oleg der Besitzer des Fichu ist, während ich derjenige bin, der ihn gerade fotografiert hat. Darf ich Sie auch fotografieren, habe ich Sie gefragt. - Nein, hat sie geantwortet, bestimmt, doch nicht verbissen. - Aber ihre Tasche darf ich fotografieren. - Ja. - Also habe ich die Tasche fotografiert in dem Augenblick, als die Kostümbildnerin in Olegs Laden hinein gegangen ist. Sie fotografiert, weil die Tasche mir aufgefallen war, noch bevor ich auf die Kostümbildnerin selbst aufmerksam wurde. Und weil ich mir das so vorgenommen habe: Wenn jemand nicht fotografiert werden will, dann frage ich, ob ich irgendein markantes Detail der Person fotografieren darf, und vielleicht wird diese Detailaufnahme manchmal interessanter sein als ein Foto der Person. Bei der Kostümbildnerin jedoch ist es schade, dass sie mich kein Foto von sich hat machen lassen. Glück gebracht hat sie mir trotzdem. Denn einen besseren Anfang für meine Passanten-Serie kann es nicht geben als mit dem Foto dieser abgewetzten Tasche.

Montag, 19. September 2011

Handbewegung

Aufgewacht: Ich fühle mich wie Gelee. Tag angefangen: Um mich herum auch alles wie Gelee. Kein rettender Gedanke. Werde ich jetzt verrückt? Schön wär´s.

Die Woche kommt nicht in Gang. Friederike nicht erreicht wegen Verabredung. Liljana nicht erreicht wegen Verabredung. Das Treffen mit Liljana sollte möglichst diese Woche noch klappen. Danach hat sie die Kinder zu Hause; 14 Tage Ferien. Was? Schon wieder Ferien! habe ich gestern zu Colette gesagt und darauf ist sie richtig böse geworden: Ich arbeite 70 Stunden die Woche. Ich kann es einfach nicht mehr hören, wenn jemand sagt: Was? Schon wieder Ferien! Colette arbeitet 70 Stunden die Woche, weil sie an einem Gymnasium unterrichtet und daneben noch an einer Abendschule. Wer zwingt sie dazu? Sie das mal fragen. Treffen nächste Woche? Da hat sie frei. Uliane auch nicht erreicht. Die Einzige, die ich erreicht habe, war Judith: Ihre norwegische Freundin ist vielleicht die nächste Kunstperson. Da käme ich endlich mal aus Schöneberg raus. Atelier in Kreuzberg, in der Manteuffelstraße. Aber Eva ist keine Malerin, sagt Judith. In ihren Arbeiten sieht man keine Handbewegung. – Kann man das nicht auch von deinen Bildern sagen? – Nein, im Vergleich mit Eva bin ich ungestüm. Was Eva macht, sei sehr gedanklich und mehr so Kunst am Bau. – Konzeptionell? – Nein, das nicht. Schau´s dir an.  

Sonntag, 18. September 2011

Beifahrerin

An der Ecke steht ein Feuerwehrauto und dahinter ein Rettungswagen. In den wird gerade eine auf der Bahre festgeschnallte Person mit grauen Hosen und grauen Wollsocken hineingeschoben. Es ist die Fahrerin des Motorrollers, der nirgendwo zu sehen ist. Sie ist auf der regennassen Straße mit ihrem Roller ins Schlingern gekommen und in einen stehenden  VW Eos gefahren, dessen Fahrer in die Akazienstraße einbiegen wollte. Der Fahrer des metallicfarbenen Spaßautos ist ein großer weißhaariger Mann Mitte 60. Die Beifahrerin ist eine kleine dunkelhaarige Frau im gleichen Alter mit einem leichten bayrischen Akzent. Sie schildert mir und einer gehbehinderten Frau mittleren Alters den Unfallhergang. So weit sie das mitgekriegt hat, ist die Fahrerin des Motorrollers unverletzt. Sie hat nur einen Schock. Ich würde zu gerne wissen, ob die Sanitäter der Frau die Schuhe ausgezogen haben oder ob sie die Schuhe beim Unfall verloren hat. Aber ich will nicht aufdringlich sein. Die Beifahrerin hat nämlich auch einen Schock, sagt sie. – Davon, in dieses Geschehen verwickelt worden zu sein? – Ja. – Die Feuerwehrleute streuen Kalk auf die Straße. Weil Benzin aus dem Tank des Motorrollers ausgelaufen ist? Wo ist der Motorroller? Wahrscheinlich auf der anderen Straßenseite, verdeckt von dem Feuerwehrauto. Die Beifahrerin sagt, dass die Motorroller-Fahrerin ja auch auf die Mitte der Straße hätte zuhalten können, nachdem ihr Roller ins Schlingern gekommen war. – Ist das nicht ein bisschen viel verlangt gewesen von ihr in dem Moment? frage ich nicht. Der Beifahrerin wäre es eben lieber gewesen, wenn sie und ihr Begleiter nicht in den Unfall der Frau verwickelt worden wären. – Sie hat wahrscheinlich keine Gewalt mehr gehabt über ihren Roller, sage ich zu der Beifahrerin. Und das meint auch die gehbehinderte Frau. Es könnte allerdings auch sein, dass die Fahrerin des Motorrollers nicht alleine sein wollte, als sie verunglückt ist. Deshalb hat sie sich zum Stürzen für die Kollision mit dem VW Eos entschieden statt für das Kunststück, ihren schlingernden Roller zur Straßenmitte zu lenken, wo sie vielleicht noch von einem entgegen kommenden Fahrzeug angefahren worden wäre. Und das mit anzusehen, wäre das nicht noch ein viel größerer Schock für die Beifahrerin gewesen? Aber das fällt mir erst hinterher ein. Und ich weiß auch nicht, ob das für sie ein Trost gewesen wäre, weil ich auch nicht weiß, ob sie wirklich einen Schock hatte oder ob sie das nur behauptet hat, um ihre Mäkeligkeit zu begründen.  

Samstag, 17. September 2011

Gerüst

Unterwegs auf der Suche nach einer Bildgeschichte und es passiert mir keine. Bei Öz Gida, wo es um 15.20 Uhr heute Nachmittag nur so wimmelt von Bildern und Geschichten, lasse ich meinen Fotoapparat lieber in der Hosentasche. Ich müsste den Besitzer um Erlaubnis fragen, wenn ich hier fotografieren wollte. Wäre eine gute Gelegenheit, den Mann mal kennenzulernen und hier vorzustellen. Doch das hat noch Zeit. Zuerst will ich die Zwillinge rumkriegen, sich fotografieren zu lassen von mir. Die eine Schwester saß heute an einer der hinteren Kassen (Ausgang Parkplatz), die andere vorne (Ausgang Hauptstraße). Inzwischen  kann ich sie unterscheiden. Es ist ganz einfach: Die eine hat einen kleinen Brillanten über dem rechten Nasenflügel, die andere einen über dem linken Nasenflügel. Sie habe ich neulich gefragt, ob ihre Schwester und sie eineiige Zwillinge sind, als ob man das nicht sehen könnte, und sie hat mich neulich angeschnauzt, weil ich meine Tüte mit den Pfirsichen auf den Barcode Scanner der Kasse gelegt habe, was ein Kunde sowieso nicht tun sollte und erst recht nicht, wenn der Zahlungsvorgang des vorigen Kunden noch nicht abgeschlossen ist. Mit ihr bin ich also vertraut. Sie werde ich fragen. Ich brauche dazu nur den richtigen Einstieg. Das wird kein Satz sein, den ich mir vorher überlegt habe. Das wird etwas sein wie das letzten Mittwoch, als ich die Goltzstraße lang ging in der Hoffnung, dass die Frau vom Chiton vor ihrem Laden steht, eine Zigarette raucht und ich sie ansprechen kann darauf, dass ich über den Laden, den sie mit ihrem Mann macht, schreiben möchte. In kein Schaufenster im Kiez habe ich so oft geguckt wie in das Schaufenster des Chiton. Wegen der ausgestellten Brautkleid-Modelle, wegen der eleganten Erscheinung der Frau hinter dem Ladentisch, wegen der Anprobe-Szenen mit Kundinnen. Seit 16 Jahren gibt es den Laden, seit 14 Jahren gucke ich in das Schaufenster, seit einem halben Jahr plane ich, über den Laden zu schreiben. Schon zweimal stand die Frau rauchend draußen, als ich vorbeiging, und ich habe sie nicht angesprochen, weil ich mich nicht getraut habe, aus Angst vor einer Abfuhr, die es nicht geben darf, denn ich will unbedingt über diesen Laden schreiben. Wegen der Ausstrahlung, die der Laden hat. Was ist das für eine Ausstrahlung? Das will ich rausfinden. – Wie fädele ich das ein? Indem ich am Dienstag, ausgerechnet an dem Tag, an dem ich so menschenscheu bin, die Goltzstraße runter gehe, schon von weitem bemerke, dass das Gerüst abgebaut wird an dem Haus, in dem sich der Laden befindet, als nächstes sehe, dass die Frau vor dem Laden steht und raucht, zu ihr im Vorbeigehen sage, das ist ja gut für Sie, dass das Gerüst jetzt endlich wegkommt, und dann ist es nur noch einfach. Sie sagt: Ja, das ist gut. Gut nicht nur, weil sie jetzt wieder Tageslicht in dem Laden haben, gut auch wegen der Laufkundschaft, von der sie jetzt wieder besser wahrgenommen werden. Das hatte ich nicht erwartet, dass sie auch Laufkundschaft haben. Oh doch. Und nun reden wir über die Kundschaft für maßgefertigte Brautkleider in der Goltzstraße. Sie sagt: Wir haben schon den halben Kiez verheiratet. - Ach ja. So redet sie. So ist sie. So unkompliziert. Ich erzähle von meinem Blog. Dass ich angefangen habe, über Läden im Kiez zu schreiben. Und dass ich wieder aufgehört habe damit, weil das Thema nicht losgegangen ist; nicht mal die Ladenbesitzer haben sich dafür interessiert oder sie haben so getan, als ob sie sich nicht dafür interessierten. Während ich bald gemerkt habe, dass es gar nicht so viele Läden im Kiez gibt, die mich interessieren. Aber über einen Laden möchte ich noch schreiben. Ihren. Deshalb würde ich gerne mal mit ihr ausführlich reden. Sie sagt, dass sie in ihrer Mittagspause immer in die Salumeria an der Ecke geht, weil so weit der Radius ihres schnurlosen Telefons reicht. Dort können wir uns treffen. Ich sage, dass ich sie Anfang nächster Woche anrufe, um einen Termin auszumachen, und nenne meinen Namen, sage: Wolfgang, und sie sagt: Friederike. So geht das. So wird es auch mit den Zwillingen gehen. Ich brauche nur zu warten, bis sich ein Einstieg findet wie der über das Gerüst. Dann wird es ganz einfach sein.

Chiton ist Altgriechisch und bezeichnet das Unterkleid, das Männer und Frauen im alten Griechenland trugen. Der Mann Friederikes ist Grieche. 

Freitag, 16. September 2011

Frage

Die Dusche in der Ecke hat als einzige eine Sichtblende. Stammplatz des kleinen Herrn und von Ruven. Der ist in Kur. Der kleine Herr ist seit Dienstag aus Lanzarote zurück. Braungebrannt und drei Wochen konnte er nicht schwimmen, weil ihm das Meer zu kalt war. Nur 20 Grad. Wassertemperatur im Stadtbad Wilmersdorf 27 Grad. Als ich aus der Schwimmhalle komme, trocknet der kleine Herr sich gerade ab. Er deutet auf die Dusche in der Ecke: Ist frei. – Sehe ich, aber mein Platz ist hier, antworte ich und deute auf eine der Duschen neben der Dusche mit der Sichtblende. – Er: Ich wollte Sie reinlegen. Die ist nämlich kaputt. – Abschied vom kleinen Herrn. Mann kommt aus der Schwimmhalle, stellt sich unter die Dusche in der Ecke. Kein Wasser. Fluchen: Was haben die Schweine da wieder gemacht? Alles Kommunisten! – Mitte, Ende 60 der Mann. Kurze graue Haare. Seine Schwimmbrille hochgeschoben auf die Stirn. Kräftige Schultern, dicker Bauch, aber nicht fett. Blaue Badehose (sportliche Slipform). Was sind Sie denn für einer? sage ich, als er an mir vorbeigeht und mich anguckt. Keine Antwort. Natürlich nicht. Idiot! -  Paar Minuten später, als ich mich gerade abtrocknen will, steht er auf einmal vor mir. Schwimmbrille in der einen Hand, Badehose in der anderen. Nackt steht er vor mir und sagt: Wenn es eine Schwulenpartei gäbe, würde ich die wählen. – Ich blicke auf sein kleines Genital und habe keine Ahnung, worauf er hinaus will. Sind Sie schwul, frage ich. – Er: Ja. – Ich: Na dann, Herzlichen Glückwunsch. Ich nehme mein Handtuch und meine anderen Sachen und wir verlassen zusammen den Duschraum. Er: Piratenpartei kann ich nicht wählen, weil ich nicht weiß, was die wollen. – Denen geht es um Freiheit im Internet, sage ich. Oder geht es ihnen darum, dass es überall so viel Freiheit geben soll wie im Internet? Ich weiß es auch nicht, worum es der Piratenpartei geht. Egal. Dem Mann ging es darum, meine Frage zu beantworten, was er für einer ist; das mit der Piratenpartei war dann nur noch Smalltalk. Trotzdem ärgert es mich, dass ich, statt die Klappe zu halten, Unsinn geredet habe. Und als ich zu meinem Spind komme, bemerke ich, dass mein Handtuch immer noch zusammengelegt ist und ich vergessen habe, mich abzutrocknen.

500

Sie. Ist wer? Weiß ich immer noch nicht. Am Ende nur ein Wunsch, den ich mir nicht erfüllen konnte? Wunsch. Ich. Ich. Immer nur ich. Und sie hat es nie gegeben? Nein, so war es nicht. Nicht. Nicht. Nie. So war es.

Zum Titel siehe zweiter Absatz von Mitmachen.

Donnerstag, 15. September 2011

Baer

Camille Claudel   1864 - 1943


Große kräftige blonde Frau um die 50 verabschiedet sich gerade von Sabine Baer, als ich gestern in die Galerie komme. Sie will es sich noch mal überlegen, sagt die Frau. Ja, ja, denke ich, das sagen sie alle. Aber so ist es nicht. Die Frau ist eine ernsthafte Interessentin. Hat vor Jahren die große Ausstellung mit Werken von Camille Claudel in Paris gesehen, scheint die Bildhauerin kultisch zu verehren. Warum hat sie sich nicht entscheiden können? – Sie weiß nicht, ob sie es aushält, jeden Tag mit Camille Claudel  konfrontiert zu sein.



Was fasziniert so an der Claudel? Das Schicksal der Künstlerin? Das Frauenschicksal? Der Absturz in den Wahnsinn? Also ein Opfer war sie nicht. Es gab die Mutter, die sie gehasst hat. Aber es gab auch den Vater, der sie geliebt und gefördert hat, ihr eine Wohnung eingerichtet in Paris, nachdem sie abgehauen war aus dem Provinznest. Den Bruder hat sie sich sehr geschickt abgerichtet zum Verehrer. Und Rodin hat sie auch gefördert. Einen besseren Lehrer hätte sie nicht haben können. – Aber an ihm ist sie auch zerbrochen, sagt Sabine Baer. – Weil sie ihn nicht ganz für sich haben konnte? Ist sie seinetwegen verrückt geworden? – Nein, psychotisch wäre sie auch so geworden. Das war in ihr. – Aber an ihm hat sich ihr Verfolgungswahn festgemacht. Noch in der Anstalt in Avignon hat sie geglaubt, er hätte seine Helfershelfer eingeschleust, um sie zu vergiften. – Da hat sie sogar bei der Anstaltsleitung durchgesetzt, dass sie in der Küche ihre Kartoffeln selbst schälen kann. 



Mitte der 90er Jahre hat Sabine Baer die Biografie von Reine-Marie Claudel gelesen, der Großnichte Camilles, die als Familienmitglied Zugang zu den Krankenakten hatte. Aber es war nicht die Lektüre, obwohl sie das Buch verschlungen hat, es war das Foto auf dem Buchcover, das Sabine Baer gepackt hat und nicht mehr los ließ. Das Gesicht der 20jährigen. Jahrelang hat sie in unzähligen Zeichnungen und Collagen versucht das zu erkunden, was sie das Geheimnis dieses Gesichts nennt. Bis sie eingesehen hat, dass es immer Deutungen, Projektionen sein werden, die dabei herauskommen. Hat schließlich sich freigemacht von der Vorstellung, in einem einzigen Bild einfangen zu können, was sie in dem Gesicht auf dem Foto gesehen hat: mal Aufmüpfigkeit, mal eine unendliche Traurigkeit, mal Trotz, mal Durchtriebenheit, mal Verträumtheit, mal die Trampelhaftigkeit einer Provinzlerin, mal den Abgrund, den sie in sich hat und in den sie stürzen wird … . Statt eines Bildes hat Sabine Baer dann 12 Bilder gemalt. Entstanden im Zeitraum von knapp zwei Jahren, 2007/2008. Annäherungsversuche, so der Titel, den sie dem Zyklus gegeben hat. Bei den Versuchen ist es geblieben, wie sie sagt. Es ist ihr nicht gelungen, das Geheimnis der 20jährigen Camille Claudel zu ergründen.



Bildhauerei. Gestalten aus der Beschaffenheit des Materials. Camille Claudel war viel geschickter im Bearbeiten von Marmor als ihr Lehrer Rodin. Dazu fällt Sabine Baer eine Szene aus dem Camille Claudel-Film mit Isabelle Adjani ein. Ein kleiner Junge, der Sohn des Arztes, der später ihre Einweisung in die Irrenanstalt veranlassen wird, deutet auf einen Marmorblock und fragt Camille: Wie kannst du sehen, dass da all die Menschen drin sind?



Früher habe ich mich immer zu orientieren versucht: Wie machen es die anderen? Was ist zeitgemäß? Was ist kitschig? Was geht auf keinen Fall? Aber dann habe ich mir eines Tages gesagt, ich mache es jetzt nur noch so, wie es mir gefällt. Denn warum soll ich sonst malen? Wenn ich es nicht mache, wie ich will, kann ich es mir auch schenken.

Sabine Baer   10.09.11

Gaukeleien
Sabine Baer   Malerei
Ausstellung bis 25.09.11
Galerie KunstRaum Ko
Meraner Straße 10
10825 Berlin
www.kunst-ko.de

Bilder: © Sabine Baer

Mittwoch, 14. September 2011

Gänseblümchen



Daisies   Acryl auf Leinwand  120 x 100   2009

Die ausgestellten Bilder haben mir nicht gefallen, bis auf eines: Daisies. Überdimensionierte Gänseblümchen schießen wie Raketen aus dem Bildrand von links unten nach rechts oben und davor stehen zwei junge Frauen und gucken auf die Gänseblümchen wie auf ein Grab. Sie stehen auch da wie vor einem Grab. Wenn sie diese Wirkung gewollt hat, dann ist sie gut, die Künstlerin, denke ich. Und die anderen Bilder? Vielleicht sehe ich es auch deshalb so streng, weil ich gerade drei Wochen lang mit den Bildern von Uliane gelebt habe. Gemessen an denen sind diese Bilder – wie es nennen? – flüchtig gemalt. Schnappschüsse, Momentaufnahmen: ein Blick, ein Einfall, das kann auch mal ein Kalauer sein, alles wird zugelassen, alles ist erlaubt. Auf die Idee kommt es an, auf das Gesehene. Das wird festgehalten. Und dann rasch weiter zum nächsten Moment, Blick, Einfall. Flüchtig und unbeschwert sind die Bilder. Wer will, der kann, und alles geht.

Ain´t No Bunny
Acryl auf Leinwand 120 x 100 cm  2010


Sonntagnachmittag. Die Künstlerin sitzt auf einer Bank vor der Galerie und liest den neuen Spiegel. Meraner Straße 10. Galerie KunstRaum Ko. Die Künstlerin ist Sabine Baer. Sie erzählt mir, dass es die Galerie seit vier Jahren gibt, an dieser Adresse aber erst seit einem Jahr. Die Räume standen leer, sie können sie mietfrei nutzen, müssen nur die Betriebskosten zahlen, diese Abmachung gilt allerdings immer nur für einen Monat. Sie, das sind Sabine Baer und ihre drei Partner, mit denen sie die Galerie betreibt. Einer von ihnen kommt vorbei, um Sabine Baer Gesellschaft zu leisten. Sie spricht darüber, dass sie in der Galerie auch Arbeiten anderer Maler ausstellen. Wie bedeutend das als Kunst ist, was die machen, interessiert sie dabei nicht. Wichtig ist, dass uns die Arbeiten gefallen. Was Kunst ist, das bestimmen wir, sagt der Partner Sabine Baers und beide lachen.

Rosengartenhäuschen
Acryl auf Leinwand    100 x 120 cm    2009

Fishful Thinking
Acryl auf Baumwolle  100 x 70 cm   2010


Auf der Website der Galerie bemerke ich, dass keiner der Partner den unter Berliner Künstlern verbreiteten UDK- oder einen anderen Akademie-Abschluss hat; einer war Gasthörer an der UDK, die anderen sind Autodidakten. Sabine Baer hat nach dem Abitur überlegt, ob sie sich an einer Kunstakademie bewerben soll, aber dann hat sie sich gedacht, davon kann man doch nicht leben und malen kann ich auch so, und da hat sie eine Lehre als Werbekauffrau gemacht und insgesamt sechs Jahre in dem Beruf gearbeitet. Danach hat sie ihre Kinder bekommen, innerhalb von 7 Jahren vier Töchter, die jüngste jetzt 13, die Älteste 20, und hat während dessen nie aufgehört zu malen. Die vier Kinder, von denen ich in ihrer Kurz-Bio in ihrem Blog gelesen habe, sind einer der Gründe, warum ich beschlossen habe über Sabine Baer zu schreiben und mich vergangenen Samstag mit ihr verabredet habe in der Meraner Straße. Dabei lerne ich Herrn Baer kennen und später werde ich denken, dass Herr Baer meinetwegen hier ist. Denn eigentlich hat Herr Baer Besseres zu tun am Samstagnachmittag. Während der drei Stunden, in denen seine Frau in der Galerie ist, könnte er zum Beispiel mit einer seiner Töchter etwas unternehmen, die ihren Vater auch mal ganz für sich haben wollen; unter der Woche ist er nämlich in Essen, wo er in leitender Position bei einer Immobilienfirma arbeitet. Jetzt sitzt er mit uns vor der Galerie, die er sarkastisch als Goldgrube bezeichnet hat, als wir uns begrüßten, macht an seinem Handy rum, bereinigt wahrscheinlich sein Telefonbuch und hört uns zu oder auch nicht. Um etwas Gutes zu sagen, spreche ich über das Bild Daisies. Sabine Baer sagt, dass sie das, was ich in dem Bild sehe, genau so beabsichtigt hat. Über Fishful Thinking sagt sie: Klar, das ist ein Kalauer. Mehr muss sie nicht sagen. Dass Kalauer auch Spaß machen, braucht man gerade mir nicht zu erklären. Wir kommen zum Mittelpunkt der Ausstellung: den 12 Frauenporträts im vorderen Raum. Das ist mir erst im Nachhinein klar geworden, dass das immer die gleiche Frau ist, nämlich Camille Claudel, über die Sabine Baer auch Textmaterial  ausgelegt hat. Camille Claudels Leben in Kurzfassung: Sie hatte ein Riesentalent, war Schülerin und Geliebte von Auguste Rodin, hat Anerkennung gefunden als Bildhauerin, kannte die richtigen Leute in Paris, war zum Beispiel kurz mit Claude Debussy liiert, ist dann aber Anfang 30 an einer paranoischen Psychose erkrankt (hat sich u.a. eingebildet, der auf sie neidische Rodin wolle sie vergiften), war wegen ihrer Wahnvorstellungen zu nichts mehr in der Lage, ist verwahrlost und verelendet und verbrachte die letzten 32 Jahre ihres Lebens in geschlossenen Anstalten. Heute wäre ein Fall wie der ihre behandelbar, meint Sabine Baer, die alles über Camille Claudel gelesen hat, was sie in die Finger kriegen konnte, und jahrelang sich auch zeichnerisch mit ihr beschäftigte. Bis sie vor vier Jahren beschlossen hat, dieser Obsession ein Gesicht zu geben, wie sie sagt und dann muss sie lachen über diese Formulierung. Denn sie trifft es schon, aber genau müsste es heißen: bis sie ihrer Obsession 12 Gesichter gegeben hat. Die 12 Bilder, die in der Ausstellung zu sehen sind. Alle gemalt nach der gleichen Vorlage, einem Foto, das aufgenommen wurde, als Camille 20 Jahre alt war. Annäherungsversuche ist der Titel des Zyklus. 12 Versuche, die Faszination zu ergründen, die vom Gesicht Camille Claudels auf diesem Foto ausgeht. Jedes Bild auch eine Momentaufnahme der jeweiligen Stimmung, in der Sabine Baer es gemalt hat, der Vorstellungen und Gedanken, die ihr währenddessen durch den Kopf gingen. Jedes Bild ein anderer Blick auf das Foto und das Gesicht, das es zeigt. – Schöner Ansatz! Und jetzt weiß ich, was wir machen können: Wir treffen uns noch mal und dann schauen wir uns die 12 Bilder zusammen an und reden darüber. – Wir verabreden uns für Mittwoch, also heute, ich mache noch Fotos von Sabine Baer und dabei komme ich ins Gespräch mit Herrn Baer. Er ist aus Wuppertal und ohne es darauf anzulegen, nur durch meine Geschwätzigkeit, gewinne ich seine Sympathie. Ich erzähle, dass ich, seit ich 1974 den Wenders-Film Alice in den Städten gesehen habe, Wuppertal besuchen möchte, aber da ich das nie geschafft habe und voraussichtlich auch nicht mehr schaffen werde, freue ich mich jedes Mal, wenn ich jemanden kennenlerne, der aus Wuppertal kommt. – Er gewinnt meine Sympathie, als mir klar wird, dass er nur hier ist, um seiner Frau zu helfen, falls es mit mir schwierig wird. Frau Baer ist mir schon sympathisch, sie wird mir noch sympathischer, als sie sagt: Wenn wir nicht die vier Kinder hätten, dann hätten wir uns bestimmt irgendwann miteinander gelangweilt. Herr Baer nickt darauf zustimmend und wird mir dadurch noch sympathischer. Die Baers leben mit ihren Kindern in Zehlendorf. Am Montag beginne ich einen Text, den ich nicht zu Ende schreibe. Der erste Satz des Textes lautet: Das Beste, was mir am Wochenende passieren konnte, war das bürgerliche Paar aus Zehlendorf. 

Grüngrüngrün sind alle meine Kleider ...
Acryl auf Baumwolle 100 x 150 cm  2008

Rosengartenbegräbnis
Acryl auf Baumwolle 130 x 100 cm  2008

Grüngrüngrün ... und Rosengartenbegräbnis aus Sabine Baers Rosegarden´s Blog.
Bilder: © Sabine Baer

Dienstag, 13. September 2011

Taewoo

Jetzt hat er sich doch noch gemeldet. Taewoo schreibt mir: Die beiden Bilder sind gemalt in Öl auf Leinwand und das mit der Sonntagsmalerei, das kann ihn nun wirklich nicht treffen, denn das geht zurück auf eine Bemerkung, die er selbst dem Kollegen gegenüber einmal gemacht hat, der dann mir gegenüber geringschätzig, allerdings nicht bösartig, sich geäußert hat über Taewoos Malerei. Ich bin ein professioneller Sonntagsmaler, hatte Taewoo zum Kollegen gesagt. Das gemeint im Sinne von Selbstironie. Self-deprecation heißt es amerikanisch und treffender. Selbst-Missbilligung, Selbst-Herabsetzung. Eine Spielart von Bescheidenheit und Ausdruck eines heiter-melancholischen Verhältnisses zu den eigenen Defiziten. Als Haltung oft zu finden bei Menschen mit jüdischem Hintergrund, den Taewoo nicht hat, in seinem Humor allerdings schon (*). Christlich verbindet sich self-deprecation mit der Hoffnung: Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Ob Taewoo die hat, wenn er sich selbst herabsetzt in heiter-melancholischer Bescheidenheit, weiß ich nicht, glaube ich nicht. Man muss immer wissen, wer was sagt und zu wem. Taewoo hat es zu dem Kollegen gesagt nicht wegen fishing for compliments, sondern um sich abzugrenzen von dessen Interpretation der Künstlerrolle. Das bestätigt auch Uliane, die inzwischen mit Taewoo gesprochen hat. Taewoo hat zu ihr gesagt, er habe dem anspruchsvollen Kollegen gegenüber sich als Sonntagsmaler bezeichnet, a) weil er damit klar machen wollte, (xxxxxxxxxxxxxx) und sich nicht ausschließlich mit seiner Malerei beschäftigen kann, b) weil er den Kollegen provozieren wollte wegen der Überheblichkeit, mit der dieser seine Auffassung von Professionalität vertritt. Die zeigt sich in Taewoos Sicht vor allem in einer Marktorientierung. Und so kenne ich ihn nun wieder: (xxxxxxxxxxxxxx)Uliane schließt aus all dem, dass der uns Dreien bekannte, aber hier nicht namentlich genannte Kollege keinen Humor hat. Das würde ich auch sagen. Gegen den Vorwurf, seine Malerei sei marktgerecht, muss ich ihn aber in Schutz nehmen: Schaut euch seine letzten Arbeiten an! –Trotzdem verstehe ich die Abgrenzungsgeste Taewoos gegenüber dem Kollegen, und dass die beiden sich zu fein seien, um sich auseinanderzusetzen, nehme ich zurück:  Taewoo hat sich auseinandergesetzt mit dem Kollegen, als er sich selbst einen professionellen Sonntagsmaler nannte. Auf seine feine Art hat er das getan.

Ohne Taewoo um Erlaubnis gefragt zu haben, ich bin heute so menschenscheu, zeige ich ein Bild von ihm, bei dem es sich buchstäblich um Sonntagsmalerei handelt. 

Das Bild habe ich entfernt, da ich - Stand 22.09.11 -
immer noch keine Erlaubnis von Taewoo habe,
es hier zu zeigen.          


(*) Niemand erzählt den Witz mit dem Rabbi, dem Fisch und dem Schwein besser als Taewoo und ich kenne auch niemanden anderen, der so viele Woody-Allen-Zitate parat hat. - Jedes Mal, wenn ich Wagner höre, bekomme ich Lust, in Polen einzumarschieren.  
(xxxxxxxxxxxxxx) Mit den Streichungen wurden insgesamt neun Textzeilen entfernt. Die Streichungen habe ich auf Wunsch Taewoos vorgenommen; siehe dazu AngebrülltSchwer und Neurotisch.

Montag, 12. September 2011

Wahlkampf

Vor der Commerzbank. Menschenansammlung am Stand der Grünen. Kamerateam. Wie klein die ist, die Renate Künast. Hat eben ihre Rede beendet, verteilt große grüne Äpfel an die Menschen und braucht jetzt erst mal einen Schluck aus der Wasserflasche. Sieht aus, als würde sie 50 selbstgedrehte Zigaretten am Tag rauchen. Tut sie natürlich nicht. Wahlkampfstress in der Endphase. Jetzt die Einzelgespräche. Vor Sonntagabend 18 Uhr werde ich mich dazu nicht äußern, sagt sie. Wegen Sonne sehe ich im Display meiner Kamera nur die Spiegelung meines Gesichts. Ich drücke blind ab. Von allen misslungenen Fotos ist das noch das beste: 


Besser geht es, als ich meinen Fotoapparat auf eine am Straßenrand stehende junge Frau halte, die zwei Köpfe größer ist als Renate Künast, eine Pony-Langhaar-Frisur hat und eine Trendbrille trägt. Sie isst einen der großen Äpfel, die gerade verteilt worden sind; sie scheint hungrig zu sein. Als sie mich bemerkt, habe ich schon das zweite Foto von ihr gemacht. 
Ich will nicht, dass Sie mich fotografieren, sagt sie.
Gut, dann höre ich auf damit.
(Schweigen)
Gehören Sie zu dem Kamerateam? frage ich, als würde ich das nicht sehen an dem Kamerastativ, das sie festhält.
Ja.
Und was machen Sie?
(Schweigen)
Sind Sie die Stativhalterin?
Ich mache ein Praktikum bei RTL Entertainment.
Ach, das Team ist von RTL?
(Schweigen)
Ich nehme an, dass ich keines der Fotos, die ich von Ihnen gemacht habe, in meinen Blog stellen darf?
Nein.
Ich hätte das Bild von Ihnen Die Apfelesserin genannt.
Ich will nicht fotografiert werden.
Verstanden. Akzeptiert.
Ich will nicht mit dem, was hier passiert, identifiziert werden.
Sie wollen nicht mit Frau Künast und ihrer Partei identifiziert werden?
Das habe ich nicht gesagt.
(Schweigen)
Wie lange stehen Sie schon hier?
Ich will nicht fotografiert werden.
Das habe ich verstanden.
(Schweigen)
Sie wollen auch nicht mit mir reden.
Nein.
  
Auf der anderen Straßenseite vor dem Kochhaus steht der Schöneberger SPD-Kandidat für das Abgeordnetenhaus: der mir von Wahlplakaten bekannte Lars Oberg. Er sieht besser aus als die Spitzenkandidatin der Grünen. Aber niemand will mit ihm reden. Warum tut er sich das an, hier gegen die prominente Spitzenkandidatin der Grünen anzutreten? Ich gehe hin, um ihn das zu fragen. Doch inzwischen hat er jemanden gefunden, der ihm zuhört. Eine Frau um die Vierzig. Er erklärt ihr, wofür die drei Stimmen sind, die sie am Sonntag hat. Politiker muss man nicht fragen, ob man sie fotografieren darf. Der eine der beiden Wahlkampfhelfer tritt einen Schritt zur Seite, damit ich bessere Sicht auf seinen Kandidaten habe. Die Lichtverhältnisse hier sind ideal. - Drei Stimmen? frage ich den freundlichen Wahlkampfhelfer. - Die dritte Stimme ist für die Kommunalwahl, die gleichzeitig stattfindet.  - Ach so. 


Rätselhafte Praktikantin: Auf dem zweiten Foto lächelt sie so freundlich in meine Kamera, dass es unvorstellbar scheint, dass sie einen Moment später sagen wird: Ich will nicht, dass Sie mich fotografieren. – Was ist passiert zwischen den beiden Momenten? – Ich kann es mir nur so erklären: Im ersten Moment war mein Gesicht (für sie) teilweise von der Kamera verdeckt. Da hätte es noch sein können, dass sie mich sympathisch findet. Danach habe ich die Kamera von meinem Gesicht weggenommen und da hat sie gesehen, dass sie von mir nicht fotografiert werden will.