Montag, 12. September 2011

Wahlkampf

Vor der Commerzbank. Menschenansammlung am Stand der Grünen. Kamerateam. Wie klein die ist, die Renate Künast. Hat eben ihre Rede beendet, verteilt große grüne Äpfel an die Menschen und braucht jetzt erst mal einen Schluck aus der Wasserflasche. Sieht aus, als würde sie 50 selbstgedrehte Zigaretten am Tag rauchen. Tut sie natürlich nicht. Wahlkampfstress in der Endphase. Jetzt die Einzelgespräche. Vor Sonntagabend 18 Uhr werde ich mich dazu nicht äußern, sagt sie. Wegen Sonne sehe ich im Display meiner Kamera nur die Spiegelung meines Gesichts. Ich drücke blind ab. Von allen misslungenen Fotos ist das noch das beste: 


Besser geht es, als ich meinen Fotoapparat auf eine am Straßenrand stehende junge Frau halte, die zwei Köpfe größer ist als Renate Künast, eine Pony-Langhaar-Frisur hat und eine Trendbrille trägt. Sie isst einen der großen Äpfel, die gerade verteilt worden sind; sie scheint hungrig zu sein. Als sie mich bemerkt, habe ich schon das zweite Foto von ihr gemacht. 
Ich will nicht, dass Sie mich fotografieren, sagt sie.
Gut, dann höre ich auf damit.
(Schweigen)
Gehören Sie zu dem Kamerateam? frage ich, als würde ich das nicht sehen an dem Kamerastativ, das sie festhält.
Ja.
Und was machen Sie?
(Schweigen)
Sind Sie die Stativhalterin?
Ich mache ein Praktikum bei RTL Entertainment.
Ach, das Team ist von RTL?
(Schweigen)
Ich nehme an, dass ich keines der Fotos, die ich von Ihnen gemacht habe, in meinen Blog stellen darf?
Nein.
Ich hätte das Bild von Ihnen Die Apfelesserin genannt.
Ich will nicht fotografiert werden.
Verstanden. Akzeptiert.
Ich will nicht mit dem, was hier passiert, identifiziert werden.
Sie wollen nicht mit Frau Künast und ihrer Partei identifiziert werden?
Das habe ich nicht gesagt.
(Schweigen)
Wie lange stehen Sie schon hier?
Ich will nicht fotografiert werden.
Das habe ich verstanden.
(Schweigen)
Sie wollen auch nicht mit mir reden.
Nein.
  
Auf der anderen Straßenseite vor dem Kochhaus steht der Schöneberger SPD-Kandidat für das Abgeordnetenhaus: der mir von Wahlplakaten bekannte Lars Oberg. Er sieht besser aus als die Spitzenkandidatin der Grünen. Aber niemand will mit ihm reden. Warum tut er sich das an, hier gegen die prominente Spitzenkandidatin der Grünen anzutreten? Ich gehe hin, um ihn das zu fragen. Doch inzwischen hat er jemanden gefunden, der ihm zuhört. Eine Frau um die Vierzig. Er erklärt ihr, wofür die drei Stimmen sind, die sie am Sonntag hat. Politiker muss man nicht fragen, ob man sie fotografieren darf. Der eine der beiden Wahlkampfhelfer tritt einen Schritt zur Seite, damit ich bessere Sicht auf seinen Kandidaten habe. Die Lichtverhältnisse hier sind ideal. - Drei Stimmen? frage ich den freundlichen Wahlkampfhelfer. - Die dritte Stimme ist für die Kommunalwahl, die gleichzeitig stattfindet.  - Ach so. 


Rätselhafte Praktikantin: Auf dem zweiten Foto lächelt sie so freundlich in meine Kamera, dass es unvorstellbar scheint, dass sie einen Moment später sagen wird: Ich will nicht, dass Sie mich fotografieren. – Was ist passiert zwischen den beiden Momenten? – Ich kann es mir nur so erklären: Im ersten Moment war mein Gesicht (für sie) teilweise von der Kamera verdeckt. Da hätte es noch sein können, dass sie mich sympathisch findet. Danach habe ich die Kamera von meinem Gesicht weggenommen und da hat sie gesehen, dass sie von mir nicht fotografiert werden will.