Sonntag, 25. September 2011

Friederike

Die ansteckende Leichtigkeit Friederikes. Aufgewachsen am Wannsee, mittleres von drei Kindern. Das war eine kleine Welt, aber wenn wir wollten, haben wir sie uns eben größer gemacht. Nach dem Abitur Schneiderlehre. Plan, Modedesign zu studieren, verworfen nach einem desillusionierenden Einführungsvortrag an der UDK. Lieber in Italien Modedesign in der Praxis studiert. Da habe ich mir meine Welt ganz groß gemacht. – Mailand? – Florenz. – Die große Modewelt von innen gesehen. Bei einem jungen aufstrebenden Label gearbeitet. Kollektion für ein New Yorker Kaufhaus. Matratzen geschnitten. – Matratzen? – So nennt man das, wenn man Stoffbahnen aufeinander legt zum Zuschneiden. Halbindustrielle Fertigung. Tag und Nacht geschuftet, um den Termin zu halten. Die Deadline um drei Tage überschritten. Darauf hat das Kaufhaus in New York die ganze Kollektion zurückgeschickt, das aufstrebende Label war pleite und sie stand ohne Geld da in der fremden Stadt. Zum Markt gegangen, wenn die Händler ihre Stände abbauten und ihre Reste hergeschenkt haben. Da gab es an einem Abend dann eben nur Radieschen. Neue Leute getroffen, andere Jobs gemacht. Eine gute Zeit gehabt, aber auch gemerkt, dass es das nicht ist für sie, die große Welt des Modedesigns. Und dann kam der Mann, den sie schon kannte, kennengelernt an der Berufsschule, mit dem sie zusammen war und dann wieder getrennt, und der nun wollte, dass sie zurückkommt nach Berlin, und wurde ihr Mann, Vater ihrer beiden Kinder (13 jetzt der Junge, 16 das Mädchen) und ihr Partner, mit dem sie Modedesign gemacht hat nach ihren Vorstellungen. Ganz klein angefangen, ihr erstes Atelier hatten sie im Wohnzimmer in ihrer Charlottenburger Wohnung und ihre Sachen haben sie verkauft auf dem Flohmarkt an der Straße des 17. Juni. Der erste Laden in Friedenau, der zweite Laden dann schon der jetzige in der Goltzstraße, das Chiton, 1995 war das, und bald darauf die Spezialisierung auf Brautmoden. Entworfen von ihr und ihrem Mann, zugeschnitten und gefertigt im eigenen Atelier. Der Stil inspiriert von der Mode der Renaissance. Frei von Pomp und Kitsch. Schlicht und edel. Preise von 1000 Euro (eher schlicht) bis über 2000 Euro (sehr edel). Alle Kundinnen bekommen die gleiche persönliche Betreuung durch Friederike oder ihren Mann. Sie verkaufen den Bräuten nicht einfach Kleider, sie beraten sie: sie ziehen die Bräute an. Das ist ihr Ehrgeiz, jeder Frau das Kleid auf den Leib zu schneidern, das zu ihr passt. Das begründet ihren Erfolg. Das macht Spaß. Und weil sie eine Frau ist, die Erfolg hat und Spaß an ihrer Arbeit, auch deshalb ist das Gespräch mit Friederike so eine Wohltat an dem Nachmittag, an dem wir vor dem Ombretta in der Sonne sitzen, Ecke Goltz-/Barbarossastraße, gerade mal zehn Meter von ihrem Laden entfernt. Sie beantwortet (fast) alle meine Fragen, ohne dass ich sie gestellt habe. Sie hat ihre Geschichte schon öfter erzählt, sie weiß, worauf es ankommt. Sie ist eine gute Erzählerin, sie erzählt gerne. Und als ich ihr dann doch eine Frage stelle, eine Frage, die eigentlich nicht gestattet ist bei einer Frau, die nach allem, was sie mir erzählt, nun mal keine 26 und auch keine 36 mehr sein kann, obwohl sie eher aussieht wie 26 als 36 und das, obwohl sie raucht, zwei Marlboro Lights in der Stunde, in der wir zusammensitzen – als ich sie frage, wie alt sie ist, da nennt sie ohne Umschweife und Zicken ihr Alter. Ich verrate es nicht. Nur so viel: An günstigen Genen allein kann es nicht liegen, wenn eine Frau in ihrem Alter immer noch aussieht wie ein großes Mädchen und auch die Leichtigkeit eines Mädchens hat, dem noch nie etwas Böses widerfahren ist. – Dir ist noch nie etwas Böses passiert. – Nein. – Wie das kommt, muss ich nicht fragen. Die Antwort darauf hat sie mir schon gegeben, als sie mir ihr Leben erzählte: Schnell erkannt, was nicht zu ihr passt, was sie nicht wollte, und dann das, was sie wollte, gemacht und daran Spaß gehabt. Sicher auch nicht zu viel gewollt. Aber dafür alles, was sie wollte, gekriegt. Alles richtig gemacht. – Fehlt mir nur noch ein Foto von ihr. Wenn wir uns wieder treffen, fotografiere ich dich. – Sie sagt nicht nein, sie sagt, dass ich über sie schreibe, das soll genügen. Ein Foto von ihr gibt es auf der Website des Chiton, siehe Contact: Foto von ihr und ihrem Mann. Aber dann lass mich ein Detail von dir fotografieren. Du hast schöne Hände. Beim nächsten Mal fotografiere ich deine Hände. – An den Händen sieht man das Alter, sagt sie und dann zeigt sie mir die Hornhaut, die sie an den Fingern hat vom Zuschneiden, von der Schere. – Jetzt weiß ich, was wir machen: Das nächste Mal schaue ich dir bei deiner Arbeit zu und fotografiere dabei deine Hände. Darauf sagt sie nicht nein. Ich hoffe, es bleibt dabei.  

Wenn Leute heiraten, die hören dann schon von uns, sagt sie über die Bekanntheit des Chiton. Und ich sage: Seit ich an eurem Laden vorbeigehe, denke ich: Wenn ich einmal heiraten sollte, dann komme ich mit meiner Braut hierher, damit sie an dem wichtigen Tag schön aussieht und sich wohlfühlt in ihrer Haut. – Friederike: Das hast du gut gesagt, wichtiger Tag. Es heißt ja schönster Tag im Leben. Aber das wäre doch schrecklich, wenn nach der Hochzeit das Schönste schon passiert ist.

Chiton
Goltzstraße 12
10781 Berlin
Tel. 216 6013
www.chiton.de