Donnerstag, 15. September 2011

Baer

Camille Claudel   1864 - 1943


Große kräftige blonde Frau um die 50 verabschiedet sich gerade von Sabine Baer, als ich gestern in die Galerie komme. Sie will es sich noch mal überlegen, sagt die Frau. Ja, ja, denke ich, das sagen sie alle. Aber so ist es nicht. Die Frau ist eine ernsthafte Interessentin. Hat vor Jahren die große Ausstellung mit Werken von Camille Claudel in Paris gesehen, scheint die Bildhauerin kultisch zu verehren. Warum hat sie sich nicht entscheiden können? – Sie weiß nicht, ob sie es aushält, jeden Tag mit Camille Claudel  konfrontiert zu sein.



Was fasziniert so an der Claudel? Das Schicksal der Künstlerin? Das Frauenschicksal? Der Absturz in den Wahnsinn? Also ein Opfer war sie nicht. Es gab die Mutter, die sie gehasst hat. Aber es gab auch den Vater, der sie geliebt und gefördert hat, ihr eine Wohnung eingerichtet in Paris, nachdem sie abgehauen war aus dem Provinznest. Den Bruder hat sie sich sehr geschickt abgerichtet zum Verehrer. Und Rodin hat sie auch gefördert. Einen besseren Lehrer hätte sie nicht haben können. – Aber an ihm ist sie auch zerbrochen, sagt Sabine Baer. – Weil sie ihn nicht ganz für sich haben konnte? Ist sie seinetwegen verrückt geworden? – Nein, psychotisch wäre sie auch so geworden. Das war in ihr. – Aber an ihm hat sich ihr Verfolgungswahn festgemacht. Noch in der Anstalt in Avignon hat sie geglaubt, er hätte seine Helfershelfer eingeschleust, um sie zu vergiften. – Da hat sie sogar bei der Anstaltsleitung durchgesetzt, dass sie in der Küche ihre Kartoffeln selbst schälen kann. 



Mitte der 90er Jahre hat Sabine Baer die Biografie von Reine-Marie Claudel gelesen, der Großnichte Camilles, die als Familienmitglied Zugang zu den Krankenakten hatte. Aber es war nicht die Lektüre, obwohl sie das Buch verschlungen hat, es war das Foto auf dem Buchcover, das Sabine Baer gepackt hat und nicht mehr los ließ. Das Gesicht der 20jährigen. Jahrelang hat sie in unzähligen Zeichnungen und Collagen versucht das zu erkunden, was sie das Geheimnis dieses Gesichts nennt. Bis sie eingesehen hat, dass es immer Deutungen, Projektionen sein werden, die dabei herauskommen. Hat schließlich sich freigemacht von der Vorstellung, in einem einzigen Bild einfangen zu können, was sie in dem Gesicht auf dem Foto gesehen hat: mal Aufmüpfigkeit, mal eine unendliche Traurigkeit, mal Trotz, mal Durchtriebenheit, mal Verträumtheit, mal die Trampelhaftigkeit einer Provinzlerin, mal den Abgrund, den sie in sich hat und in den sie stürzen wird … . Statt eines Bildes hat Sabine Baer dann 12 Bilder gemalt. Entstanden im Zeitraum von knapp zwei Jahren, 2007/2008. Annäherungsversuche, so der Titel, den sie dem Zyklus gegeben hat. Bei den Versuchen ist es geblieben, wie sie sagt. Es ist ihr nicht gelungen, das Geheimnis der 20jährigen Camille Claudel zu ergründen.



Bildhauerei. Gestalten aus der Beschaffenheit des Materials. Camille Claudel war viel geschickter im Bearbeiten von Marmor als ihr Lehrer Rodin. Dazu fällt Sabine Baer eine Szene aus dem Camille Claudel-Film mit Isabelle Adjani ein. Ein kleiner Junge, der Sohn des Arztes, der später ihre Einweisung in die Irrenanstalt veranlassen wird, deutet auf einen Marmorblock und fragt Camille: Wie kannst du sehen, dass da all die Menschen drin sind?



Früher habe ich mich immer zu orientieren versucht: Wie machen es die anderen? Was ist zeitgemäß? Was ist kitschig? Was geht auf keinen Fall? Aber dann habe ich mir eines Tages gesagt, ich mache es jetzt nur noch so, wie es mir gefällt. Denn warum soll ich sonst malen? Wenn ich es nicht mache, wie ich will, kann ich es mir auch schenken.

Sabine Baer   10.09.11

Gaukeleien
Sabine Baer   Malerei
Ausstellung bis 25.09.11
Galerie KunstRaum Ko
Meraner Straße 10
10825 Berlin
www.kunst-ko.de

Bilder: © Sabine Baer