Dienstag, 20. September 2011

Kostümbildnerin

Oleg Ilyapour: Zwischen dem 1. und dem 18.
     Lebensjahr wurde ich nur dreimal fotografiert, ...

... später dann häufiger, meist von der Polizei.

Neben ihrer Tasche hatte die Kostümbildnerin noch einen Rollkoffer bei sich. Denn sie ist aus Zürich und auf der Durchreise, wie sie sagte. In Berlin auf der Suche nach Stoffen. Mehrere Stoffläden hatte sie schon abgeklappert und nun - gegen 15.08 Uhr (Timecode meiner Kamera) - stand sie neben mir, als ich gerade Oleg fotografiert habe. Große, schlanke dunkelhaarige Frau im Trenchcoat, die erst nicht wusste, wer von uns beiden nun der Besitzer des Fichu ist. In ihren Augen hätte auch ich es sein können und vielleicht hat sie sich deshalb so bereitwillig von mir ausfragen lassen. Warum haben Sie einen Rollkoffer bei sich? Wie sind Sie auf das Fichu gekommen? Weshalb interessieren Sie sich für Stoffe? ...  - Oleg hatte unterdessen mit zwei anderen Kundinnen zu tun, die kurz zuvor eingetroffen waren und von denen die eine mich so böse angeguckt hat, dass ich mich ganz schnell abgewandt und der Kostümbildnerin noch mehr Fragen gestellt habe. Sie hat einen leichten Schweizer-Akzent. So leicht, dass ich es erst gemerkt habe, nachdem sie mir gesagt hatte, dass sie aus Zürich kommt. Ich habe ihr dann erklärt, dass Oleg der Besitzer des Fichu ist, während ich derjenige bin, der ihn gerade fotografiert hat. Darf ich Sie auch fotografieren, habe ich Sie gefragt. - Nein, hat sie geantwortet, bestimmt, doch nicht verbissen. - Aber ihre Tasche darf ich fotografieren. - Ja. - Also habe ich die Tasche fotografiert in dem Augenblick, als die Kostümbildnerin in Olegs Laden hinein gegangen ist. Sie fotografiert, weil die Tasche mir aufgefallen war, noch bevor ich auf die Kostümbildnerin selbst aufmerksam wurde. Und weil ich mir das so vorgenommen habe: Wenn jemand nicht fotografiert werden will, dann frage ich, ob ich irgendein markantes Detail der Person fotografieren darf, und vielleicht wird diese Detailaufnahme manchmal interessanter sein als ein Foto der Person. Bei der Kostümbildnerin jedoch ist es schade, dass sie mich kein Foto von sich hat machen lassen. Glück gebracht hat sie mir trotzdem. Denn einen besseren Anfang für meine Passanten-Serie kann es nicht geben als mit dem Foto dieser abgewetzten Tasche.