Sonntag, 4. September 2011

Borchert 2


Frau   Papierschnitt auf Siebdruck  1983

Neues Leben. Suche nach einem neuen künstlerischen Ausdruck. Welches Material ist dafür am besten geeignet? – Papier. Wie es sich anfühlt und was sich alles anstellen lässt damit, das hat sie schon als Kind fasziniert. Als Buchbinderin hat sie die Eigenschaften von Papier handwerklich zu nutzen gelernt. Jetzt wird es zu ihrem bevorzugten Gestaltungsmittel. Mit Papier lässt sich zeichnen, malen, sogar schreiben, findet sie heraus. Aus einem Interview von 2010: Schneiden, Reißen, Fetzen sind aggressive, aber kontrollierte und gesteuerte Techniken des Umgangs mit Papier. Sie entsprechen mir sehr, weil sie es ermöglichen, eine gestalterische Synthese aus graphischen Elementen (Papier) und malerischen Elementen (Farbe) herzustellen. Papier bringt außer Farbe und geraden Kanten vielfältig strukturierte Oberflächen und Materialeigenschaften mit, die malerisch nicht erzeugt werden können.

Die Musikalische    Acryl mit Gold auf Rupfen    2002

Uliane setzt das Verfahren des Papierschnitts ein als Mittel zur Stilisierung. Die reduktiven Effekte, die sie damit erzielt, überträgt sie auf ihre Graphik und ihre Malerei. Sie verwendet Papierschnitte als Vorlage für Siebdrucke (siehe das Frauenporträt von 1983, das sie als ihr Urbild bezeichnet). Und mit Papierschnitten entwirft  – konstruiert  sie ihre Gemälde. – Frauenzimmer III. Ausgangspunkt ist die Zeichnung Die Strumpfanzieherin, entstanden 1969 gegen Ende ihres Studiums. Nach mehr als 35 Jahren greift sie auf die Zeichnung zurück, um sie als Vorlage für ein Gemälde zu verwenden. Sie überträgt das Motiv in einen Papierschnitt, mit dem sie das Bild präzise skizziert, bevor sie es in Acryl auf Leinwand malt. Idee, Entwurf, Ausführung. Von Die Strumpfanzieherin zu Frauenzimmer III. Wenn ich Werbung für das Werk Ulianes machen müsste, dieses Bild würde ich als Vorlage für eine Leuchtreklame nehmen. Uliane nicht. Sie würde bestimmt ihr Urbild wählen.

Die Strumpfanzieherin
Zeichnung 1969

Frauenzimmer III
Papierschnitt 2007

Frauenzimmer III    Acryl auf Leinwand    2007

Inzwischen verwendet Uliane auch Folien anstelle von Papier und kombiniert sie mit Malerei. Technisch betrat sie damit Neuland. Wie überträgt – appliziert – man Folien auf Leinwand, so dass sie auch halten? – Das Verfahren, das sie dafür entwickelt hat, ist ganz einfach. Aber man muss erst mal darauf kommen. Sie hat es mir erklärt, wie sie es macht; ich soll es nicht weiterzählen. Herausgefunden hat sie den Trick - wie anders? - mit so lange Ausprobieren, bis es geklappt hat. Ein anderes ihrer Material-Experimente: Was passiert, wenn ich Gold auf Rupfen auftrage? – Es entsteht die Anmutung von Ikonen-Malerei. Die kann ich jetzt gestalterisch nutzen und indem ich das tue, verstehe ich im Nachhinein die Intuition, die den Anstoß zu dem Experiment gegeben hat. Klingt abgehoben, ist aber letztlich so einfach wie der Trick mit der Folie und zeigt vor allem eines: ohne die Lust am Ausprobieren kann nichts Neues entstehen. Im Leben nicht, in der Kunst nicht. Ohne Wagnis und Experiment verfällt die Kunst in dumpfes Brüten oder verliert sich in Stagnation und Monotonie. Und davon gibt es im Leben schon genug. – Wir sprechen über eine Kollegin Ulianes. Documenta-Teilnehmerin, schon länger her, aber immer noch hoch eingeschätzt im Kunstbetrieb: Kein Neid. Die war mal richtig gut. Vor dreißig Jahren. Doch seither malt sie immer den gleichen Stiefel runter. Immer das Gleiche in Variationen. –  Weil sie damit erfolgreich war und es immer noch ist. – Ja, aber das kann es doch nicht sein. Dafür bin ich doch nicht Künstlerin. – Da kann sie im Grunde genommen auch in die Fischfabrik gehen. – Wie? – Kein Text von mir ohne Kalauer. – Im Ernst und kurzum: Für mich wäre es der Tod der Kunst, wenn sich nichts Neues mehr entwickeln würde. Uliane Borchert.

Frau im Juni    Acryl und Folie auf Leinwand  2010

Website von Uliane Borchert
Animation Farbe
Bilder: © Uliane Borchert