Donnerstag, 7. Juli 2011

Brunner


wash01, 2009  acryl/lw  92x192x15 cm  

Crellestraße. Treffen mit der Malerin Judith Brunner in der Parterrewohnung, in der sie mit ihrem Mann und ihrer 18jährigen Tochter lebt und wo sie auch ihr Atelier hat; gleich links, wenn man reinkommt. Als wir uns begrüßen, meint Judith Brunner, dass wir uns vom Sehen kennen. Von Vernissagen. – Ich schaue sie noch mal genau an und kann nur sagen: Nein. Und dann: Ich gehe nicht zu Vernissagen. - Sie gehen nicht zu Vernissagen? - Nein, diese Art von Gesellschaftsleben ist nichts für mich. - Wir beginnen unser Gespräch über ihre Arbeit, die künstlerische und die Freelancer-Tätigkeit als Fotografin und Gestalterin, ihre Tochter steckt kurz den Kopf herein und verabschiedet sich, und nun muss sie doch noch mal darauf zurück kommen: Sie interessieren sich für Kunst und gehen nicht zu Vernissagen? fragt sie und bietet mir eine Zigarette an, die ich ablehne; einen Kaffee hatte ich vorher schon abgelehnt mit der Begründung: Ich hatte heute Früh schon alles, was ich brauche. - Dass ich nicht zu Vernissagen gehe, erkläre ich damit, dass ich keinen Small Talk kann. Womit ich nicht sagen will, dass ich etwas gegen Small Talk habe. Das kommt noch hinzu. Aber es ist nicht der Grund. Ich kann es einfach nicht. Das ist ein Defizit von mir. Ich kann persönlich reden und zur Sache, aber ich kann keinen Small Talk. Und seit ich das erkannt habe, dass ich das in diesem Leben auch nicht mehr lernen werde, meide ich Veranstaltungen wie Vernissagen. Ich erzähle dann, wie sehr mir dieses Defizit in meinem Leben schon geschadet hat und entschuldige mich abschließend für die Ausführlichkeit der Antwort. Worauf Judith Brunner sagt, meine Antwort sei nicht zu ausführlich gewesen und sie könne auch keinen Small Talk, gehe aber schon hin- und wieder zu Vernissagen, und fügt dann nach einer kurzen Pause hinzu: Am liebsten wäre es ihr, wenn sie einen Galeristen hätte, der für sie das Reden übernehmen würde, und sie könnte einfach nur ihre Arbeit machen. - Sie haben keinen Galeristen? - Nein. - Sind Sie trotzdem im Geschäft mit Ihrer Arbeit? - Nein. Um im Geschäft zu sein, muss man sich auch darin bewegen. - Das will sie nicht, das kann sie nicht. Dazu hat sie auch gar keine Zeit. Denn statt all das zu tun, was sie tun müsste, um ihre Kunst zu verkaufen, macht sie lieber einen Brot-und-Butter-Job, um sich ihre Kunst leisten zu können. 

 change of mind, 1985  acryl/lw  150x230x25 cm 

Der Brot-und-Butter-Job, das ist Screendesign, Druck- und Websachen, die sie am Computer gestaltet. Im wesentlichen Arbeit mit Photoshop. Das Handwerkzeug dazu hat sie sich angeeignet in den USA, wo sie nach ihrem Malerei-Studium an der UDK vier Jahre lang mit Mann und Kind gelebt hat, gelebt in New York und Philadelphia, das erste Jahr mit DAAD-Stipendium. In New York hat sie Judy Pfaff kennengelernt, deren Arbeit sie bewundert, eine Vertreterin der Process Art und des Pattern and Decoration Movements - P&D, auch Pattern Painting genannt, aufgekommen in den 70er Jahren als Gegenbewegung zum Minimalismus. - Judy Pfaff ist monströs darin, Sachen zu verbinden, erklärt Judith Brunner ihre Begeisterung für das Werk der zehn Jahre älteren Kollegin und beschreibt damit zugleich das Prinzip ihrer eigenen Arbeit: die Freiheit und die Lust daran, mit Formen und Farben zu spielen, Figürliches und Ornamentales zu mischen. -  Die Freiheit und die Lust daran: Da ich nicht berühmt bin, kann ich machen, was mir gefällt, sagt Judith und das klingt wie ein Manifest. Klingt. Was den Satz zum Bekenntnis macht, das sind nicht so sehr die Worte, die könnten auch als lakonische Beschönigung von Erfolglosigkeit verstanden werden. Es ist der Unterton von Überschwang und Gelassenheit, mit dem sie den Satz sagt. Überschwang und Gelassenheit. Begeisterung und Coolness. Cool. Als sie mir erzählt, wie prägend für sie die frühen 80er Jahre waren, die Musik, das Ausgehen in dieser Zeit, das Lebensgefühl, das Design, benutzt sie zum ersten Mal dieses Wort und von da an immer wieder und wenn sie es sagt, klingt es weder aufgesetzt noch verbraucht.

eis1, 2011  digidruck, 40x50 cm

Ornamente. Muster. Das Spannende ist, erklärt Judith, die Muster sind überall in der Welt gleich. Sie sind nur mehr oder weniger kunstvoll variiert. Die arabischen Muster sind raffinierter als etwa die keltischen. Und die raffiniertesten überhaupt sind die japanischen Muster. - Aber was sind Muster? Bringen sie etwas zum Ausdruck? Oder sind sie nur Dekor? Und was ist Dekor? - Erste Antwort: Muster sind fiktive Räume. Zweite Antwort - und von allen guten Sätzen, die Judith Brunner heute Vormittag gesagt hat, der schönste: Muster beschreiben etwas, das anders nicht zu beschreiben ist. 

Last, 2010  acryl/lw  135x180 cm 
Bilder: © Judith Brunner