Dienstag, 19. Juli 2011

Jux

Jemand macht sich lustig darüber, dass ich wegen der unreifen Pfirsiche an Edeka geschrieben habe. Plus: Reifes Obst ist für ihn Marmelade, wie er sagt. Pfirsiche, Aprikosen, Pflaumen müssen so sein, wie er sie als Kind gegessen hat, vom Baum eines Bauern stibitzt: unreif, hart, knackig. Wenn ich unfair sein wollte, könnte ich diesem Geschmacksurteil entgegen halten, dass er auch eine Vorliebe für Weißwein in solchen Mengen hat, dass seine Speiseröhre und sein Magen so von Säufer-Varizen  durchzogen sind, dass er neulich beinahe innerlich verblutet ist. Ich bin unfair. In meiner Kommunikation mit Edeka war ich es nicht. Ich wollte einen Hinweis geben, um damit nicht nur meine Kundenzufriedenheit zu verbessern, sondern auch die Zufriedenheit all derer, die Obst kaufen möchten, das sofort genießbar ist und nicht erst zwei Tage nach dem Kauf. Dass ich nicht der Einzige bin, der diesen Wunsch hat, weiß ich von einer Umfrage in meinem Bekanntenkreis. Dass es Kunden gibt, die andere Wünsche haben, war mir klar, und es ist mir auch klar, dass die nicht unbedingt so extremistische Neigungen haben müssen wie der zitierte Jemand.

Auf dessen Veralberung meines Schreibens an Edeka habe ich geantwortet, dass es mir dabei zwar in der Hauptsache um die Pfirsiche ging, dass ich nebenbei aber auch einmal erkunden wollte, wie ein Unternehmen vom Format Edekas damit umgeht, wenn das Feedback-Angebot auf seiner Website von einem Kunden genutzt wird. – Meinem Gesprächspartner fiel dazu ein, dass es vor ein paar Jahren mal einen Typ gab, der Jux-Briefe an Unternehmen verschickt hat – Darauf habe ich gesagt, dass die Kommunikation mit Edeka für mich kein Jux ist. Wie überhaupt nichts, was ich mache, ein Jux ist. Mein Blog ist nicht witzig, ich bin nicht witzig und ich will auch nicht witzig sein. Und weil ich so erbost war über die Jux-Brief-Assoziation, wurde ich grundsätzlich und habe erklärt: Wer immer noch denkt, dass wir in einer Spaßgesellschaft leben, der hat von irgendetwas zu viel gekriegt. Der Spaß ist vorbei. Der neue Spaß ist, dass es keinen Spaß mehr gibt.

Da kannte ich noch nicht die Antwort auf meine letzte Mail an Edeka. Darin hatte ich vom Selbstversuch mit einem bei Edeka gekauften harten Pfirsich berichtet: nach zwei Tagen war der Pfirsich saftig und so weich, dass er auch als matschig bezeichnet werden konnte – und er war so sauer, dass ich ihn nach zwei Probierbissen weggeworfen habe. Außerdem habe ich mir in der Mail Gedanken darüber gemacht, was es zu bedeuten hat, dass mir von Edeka mitgeteilt worden war, dass in Reaktion auf meinen Verbesserungsvorschlag ein Emissär der Geschäftsleitung mit dem Personal in der Edeka-Filiale in der Gleditschstraße sprechen wird. Meine Sorge: dass das Personal sich künftig nicht mehr so offen und ehrlich (freimütig) äußern wird, wie das bisher der Fall war. – Die Antwort, die ich darauf heute erhalten habe, ist eine gute Antwort, weil sie auf diese Frage eingeht, wenn es zunächst auch nicht den Anschein hat. Aus rechtlichen Gründen kann ich die Mail nicht wiedergeben, obwohl sie darum bettelt. Also gebe ich nur wieder, wie ich sie gelesen habe. Am Anfang bringt die mir schreibende Edeka-Person ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass ich so auf die Freundlichkeit des Personals achte, und das auch zurecht, weil die Freundlichkeit sei nun mal das A&O in einem Supermarkt. Das ist einerseits die höfliche Form, wie Unternehmen nach außen kommunizieren, ich lese darin aber auch eine Ironie, insofern mir unterstellt wird, dass ich die Freundlichkeit des Personals geradezu observiere – benutzt wurde das deutsche Wort dafür (ich nenne es nicht, denn ich darf nicht aus der Mail zitieren). Ironie. Leiser Spott. Jux. Warum denn nicht? Wo es doch sonst nichts zu lachen gibt. Und weil das so ist, setzt die Edeka-Person noch einen Jux drauf, indem sie mir im nächsten Absatz erklärt, was ein Pfirsich ist. Wirklich, das steht da, die Beschreibung eines Pfirsichs: Kern, Fruchtfleisch, Haut etc. – Habe ich gelacht? Ich habe es fassungslos immer wieder gelesen, bevor ich mich im dritten Absatz dann endlich ernst genommen fühlen konnte. Dort geht die Edeka-Person nämlich auf das Unbehagen ein, von dem ich in meiner Mail geschrieben hatte, weil ich mir nichts Gutes vorzustellen vermochte bei dem Gespräch des Emissärs der Geschäftsleitung mit dem Personal in der Gleditschstraße. Worüber soll der mit denen denn reden, hatte ich gefragt. Die in der Filiale verkauften Pfirsiche wachsen doch nicht auf der Ecke Gleditschstraße/Barbarossastraße, also entscheidet das Personal dort auch nicht darüber, wann die Pfirsiche die richtige Pflückreife haben, und das Personal probiert auch nicht beim Einkauf dieser oder einer anderen Ernte in Frankreich, ob die Pfirsiche vielleicht zu sauer sein könnten für meinen Geschmack. – Antwort von Edeka: Ich soll mir keine Sorgen machen. Der Emissär hat das Personal nur gecoacht, damit es künftig kompetent antworten kann, wenn es von Leuten wie mir Fragen zur Härte der Pfirsiche gestellt bekommt. Folgt die Hoffnung, dass ich weiterhin gerne bei Edeka einkaufe und das werde ich auch tun. Nur keine Pfirsiche mehr. Denn der zweite Selbstversuch mit einem harten Pfirsich hatte zum Ergebnis: saftig, gewünscht fest (also nicht matschig), aber säuerlich, wenn auch nicht so sauer wie die Frucht beim ersten Versuch. Ende der Geschichte. Keine Überraschungen. Kein Gewinner. Keine Verlierer. Ich bleibe Edeka-Kunde. Nur Pfirsiche werde ich, wie schon in den vergangenen Jahren, entweder im Laden von Imad gegenüber der Apostel-Paulus-Kirche kaufen oder im türkischen Supermarkt in der Hauptstraße. Dort fragen sie sich bestimmt schon, wo diesen Sommer der Verrückte bleibt, der bis zu zehn Minuten lang Pfirsiche betastet, bis er sich endlich für die lächerlichen drei Früchte entschieden hat, die er jeweils kauft. Mehr nicht. Immer nur drei Stück. Also kein Verlust für Edeka. Dafür ist das Personal jetzt gecoacht. Das war es nicht, was ich wollte. Hat sich die Aktion trotzdem gelohnt? – Nein.