Dienstag, 26. Juli 2011

Sandmann

Mann mit Hut. Kleinem Hut. Der steht ihm. Mann in Übereinstimmung mit sich selbst. Frank Sandmann. In acht Tagen wird er 45. Lebt in der Akazienstraße seit 1997. Veranstaltet und moderiert eine Talkshow im Café Bilderbuch seit letztem Jahr. Nach der Sommerpause geht es weiter. Vorbereitungen laufen schon. Casting der Gäste. Für den November plant er mit Oguzhan und Serhat vom Kaiser Kiosk und dem Tabak- und Lotto-Laden in der Akazienstr. 2. Dritter Gast soll ich sein. Doch darüber sprechen wir nicht. Das ist klar, dass er das will und ich nicht. - Wir sitzen vor dem Gottlob. Wir sind, seit wir uns die Hand zur Begrüßung gegeben haben, im angeregten Gespräch. Nach fünf Minuten unterbreche ich ihn. Erstens: Lass uns Du sagen. Zweitens: Mir ist es zu kühl hier draußen. Lass uns bitte reingehen. Drinnen setzt er seinen Hut ab. Hellblonde Haare. Schon schütter. Er wird auch noch mit Glatze ein sehr gut aussehender Mann sein. Mädchen drehen sich jedoch vergebens nach ihm um. Er erwähnt mehrfach seinen Mann und nach unserem Treffen geht er mit seiner Sporttasche ins Apollo in der Hauptstraße. Dass er Krafttraining macht, habe ich schon gesehen, als er sein Sakko ausgezogen und mit breitschultriger Bewegung die Ärmel seines hellblauen V-Ausschnitt-Pullovers hochgestreift hat. Als Schauspieler, Sänger, Autor, Comedian hat er gearbeitet, als Moderator von Pressekonferenzen eines Pharmaherstellers gutes Geld verdient, jetzt ist er, wie er es nennt, Xxxxxxxxx des Lette-Vereins und selbst überrascht davon, es zu einer Festanstellung im Öffentlichen Dienst gebracht zu haben, xxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx (*). Das bessert er auf zum Beispiel mit Engagements als Sprecher. Gerade am Morgen hat er so auf die Schnelle 100 Euro verdient. Deshalb lädt er mich ein zu dem Mineralwasser, das ich bestellt habe, und als er seinen Café Macchiato und mein Getränk bezahlt: zusammen 4 Euro 10, gibt er der Bedienung einen 5 Euro-Schein und sagt, stimmt. – Das ist ein übertriebenes Trinkgeld, flüstere ich ihm zu und darüber haben wir im Weggehen eine kleine Diskussion, als würden wir uns schon wer weiß wie lange kennen. Tatsächlich ist es so, dass ich zu viel Trinkgeld zu geben für fast genauso daneben halte, wie beim Trinkgeld knickrig zu sein. – 4 Euro 50 wären angemessen gewesen, sage ich. Das sind knapp zehn Prozent. Und dass ich das überhaupt angesprochen habe, ist Ausdruck der Vertrautheit, die in nur einer Stunde Gespräch zwischen uns entstanden ist. Von meiner Seite wegen der Sympathie, die ich für ihn empfinde, und die empfinde ich deshalb, weil er so ungekünstelt ist und alles, was er macht, so stimmig und lebendig und  klug außerdem. Aber deswegen etwas machen, was ich nie in meinem Leben machen wollte? In einer Talkshow auftreten? Auch wenn es keine im Fernsehen gesendete Talkshow ist, wie ich erst geglaubt habe, sondern ein Kleinbühnen-Ereignis vor einem Publikum von etwa 120 Leuten, versammelt in den hinteren Räumen des Café Bilderbuch. In der Mehrzahl mir bekannte Gesichter aus dem Straßenbild der Akazienstraße. Denn das ist das Thema, das ist die Welt, um die es geht in der Talkshow Franks. Menschen und ihr Leben in der Akazienstraße. Das Thema. Aber es geht um mehr als um ein Thema. Es geht darum, diese Menschen, das Publikum und die Gäste zusammenzubringen, sie sich als Gemeinschaft erleben und in dieser Gemeinschaft sich heimisch fühlen zu lassen. Einfacher gesagt: Es geht darum, den Leuten in der Akazienstraße das Heimatgefühl zu geben, was Gabi dem Frank gegeben hat.


Wer ist Gabi? – Das ist der Titel von Franks Talkshow. Und Gabi ist eine Verkäuferin in der Bäckerei, in der er seine Brötchen kauft, seit er in der Akazienstraße wohnt. Die Verkäuferin kenne ich auch, ja, die ist nett. Für Frank ist sie noch mehr. Er hat bei ihr menschliche Wärme und ein Zuhausegefühl gefunden als frisch Zugezogener. Sie wurde für ihn zur Verkörperung des Akazienstraßen-Kiezes. Sie hat ihn auf die Idee gebracht, eine Talkshow mit all den Alltagsmenschen seiner Umgebung zu machen. Nur mal so eine Idee. Dann hat er sich von Carmen Thomas coachen lassen, um sich als Moderator der Pressekonferenzen für den Pharmahersteller zu verbessern. Carmen Thomas ist die erste Frau, die das Aktuelle Sportstudio im ZDF moderierte, und sie ist in die deutsche Geschichte eingegangen, als sie von Schalke 05 sprach. Danach kam es in Gelsenkirchen und Umgebung tagelang zu schweren Ausschreitungen und Carmen Thomas verlor ihren Job als erste Frau, die das Aktuelle Sportstudio moderiert hat. Was macht sie jetzt? – Zum Beispiel Frank Sandmann coachen. Und als er ihr erzählte von seiner Idee einer Talkshow von, mit und für Menschen in der Schöneberger Akazienstraße, da hat sie ihn dazu ermutigt (**) und ihm einen wichtigen Rat gegeben: Er soll keine Vorgespräche führen. Er dürfe vor dem Auftritt nicht mehr wissen über seine Gäste als sein Publikum. - Muss ich das erklären, was das für ein wertvoller Rat ist? Nur vom Ergebnis her: Dem Publikum wird nichts vorgespielt. Das Gespräch ist ein echtes Gespräch. Und: Der Talkgast hat nur so überhaupt eine Chance, sich zwangfrei und lebendig rüberzubringen, denn er kann sich verhalten wie in jedem anderen Gespräch. Er wird nicht überfordert damit, zum Schauspieler seiner selbst werden zu müssen, indem er mit dem Moderator das Vorgespräch nachspielt (so läuft das nämlich in der Regel bei Fernsehinterviews). Bei Frank hingegen können die Leute sich selbst sein, können sich zeigen, wie sie sind. Ich könnte ich selbst sein, ich könnte mich zeigen, wie ich bin, wenn ich die Einladung von Frank annehme. Das spricht schon mal dafür. Dagegen spricht, dass ich täglich in diesem Blog ich selbst bin und mich zeige, wie ich bin, und mir inzwischen überlege, ob ich wenigstens an einem Tag in der Woche von mir frei nehmen soll. Aber weil Frank mir so sympathisch ist, mache ich es vielleicht, könnte ich jetzt denken. Aber glaube ich das denn wirklich? Halte ich Frank damit nicht nur hin?  - Also? – Nein, Frank. Ich mache es nicht. Ich Blog. Du Talkshow. Über die werde ich bestimmt noch häufiger schreiben. Demnächst vielleicht mal über das Finanzierungsthema. Eintritt bei Franks Talkshow ist nämlich frei und in dem Hut, den er am Ende des Abends rumgehen lässt, kommt nie genug zusammen, um auch nur die Kosten einzuspielen. Frank will das ändern, indem er dazu auffordert, freiwillig einen Eintritt (***) zu zahlen, der dem Preis einer  Kinokarte am Dienstag (Kinotag) entspricht. Mal gespannt, wie sein Publikum darauf reagieren wird. Ich werde darüber berichten. Und wie versprochen, Frank, mit Michaela aus dem Felsenkeller rede ich. Sobald sie aus dem Urlaub zurück ist, werde ich sie fragen, ob sie in Deiner Talkshow mitmacht.  

(*) Aus internen Gründen gestrichen.
(**) Frank legt Wert auf die Feststellung, dass Carmen Thomas ihn nicht nur ermutigt, sondern den Anstoß zur Talkshow gegeben hat. 
(***) Berichtigung: freiwillig gezahlt werden soll nicht am Eingang, sondern beim Rausgehen, also kein Eintritt, sondern ein Austritt.