Dienstag, 12. Juli 2011

Hohn

Send me an angel! Right now. Oder wenigstens jemanden, über den ich mich aufregen kann. Denn Oguzhan ist noch nicht dazu gekommen, Empört Euch!  zu lesen, und bis ich aussagefähig bin zur Fortsetzung von Schutzmann dauert es noch, so dass ich noch nicht weiß, was ich heute bloggen werde. – Statt eines Engels wird mir geschickt ein Mann um die 30. Er kommt mir entgegen in der Akazienstraße. Zusammen mit einem Begleiter, der sein Fahrrad neben sich her schiebt, und wegen des Begleiters und seinem Fahrrad müsste der Mann sich jetzt zu einer leichten Ausweichbewegung entschließen, um mir genug Platz zu machen, damit ich nicht seinetwegen hinter dem Aufsteller des Buddha-Hauses warten muss, bis er an mir vorbei gegangen ist. Auf dem Aufsteller sind die preisgünstigen Tagesgerichte des Restaurants aufgelistet. Der Aufsteller mit den Tagesgerichten des Buddha-Hauses nimmt knapp ein Drittel des Bürgersteigs ein; anders geht das nicht, sonst fällt er nicht auf. Der Aufsteller ist nicht das Problem. Im Grunde genommen ist es auch kein Problem, dass ich wegen des Mannes stehen bleiben muss. Ich kann mir währenddessen die Zeit vertreiben, indem ich ihn mir anschaue. Er ist ganz in Weiß gekleidet, dunkelhaarig, einen Kopf größer als ich, gutaussehend auf eine Art, wie es viele sind, und sein linker Unterarm ist eingegipst. Den Gipsarm hält er angewinkelt hoch, was irgendwie schwuchtelig aussieht, aber auch nur deshalb, weil ich zwar nicht gehört habe, was er zu seinem Begleiter  sagte, als er vorüberging, aber wie er es sagte, das habe ich gehört. Den Unterarm hält er natürlich nicht hoch wegen Schwuchteligkeit, sondern um sich Erleichterung zu verschaffen, da der Arm mit dem Gipsverband zu schwer ist, um ihn baumeln zu lassen. So wie er auf seinen Begleiter einredet, mit weit ausholender Gestik des anderen Arms, könnte ich denken, er produziert sich gerade vor seinem Begleiter oder flirtet ihn an oder geht gerade so auf in der Großartigkeit seiner selbst, dass er wie ein im Spiel versunkenes Kind nicht mitkriegt, was um ihn herum geschieht. Dass er mich also gar nicht sieht. Ist das denn so schlimm? – Natürlich nicht. Aber ich, eilig unterwegs zur Back-Factory, weil ausgehungert, ich bin gereizt, und weil mir wieder kein Engel geschickt worden ist, sondern der Mann mit dem Gipsarm, der so tut, als gäbe es mich nicht, rumort es in mir. Und weil es in mir rumort und weil ich gereizt bin und weil das Leben mir keinen Engel geschickt hat, lasse ich mich gehen. Wie gut, dass ich mich gehen lasse. Denn jetzt wird es interessant. Nachdem ich vier Schritte weiter gegangen bin, drehe ich mich um und rufe zornig: Bist du so toll? – dass du denkst, den ganzen Bürgersteig für dich zu haben, will ich damit sagen, muss ich aber nicht. Der Mann hat mich auch so verstanden. Denn sofort dreht er sich um und ruft zurück: Bist du so alt? – dass was? bleibt ungeklärt. – Ah, jung bist du also auch noch! rufe ich höhnisch zurück. Womit unser Dialog beendet ist und alles geklärt: Er hat mich nicht übersehen. Er hat gewusst, was er tat, als er nicht ausgewichen ist. Und seine Entscheidung, sich so zu verhalten, hatte nichts damit zu tun, dass er sich für so toll hält, wie ich erst irrtümlich annahm, sie hatte zu tun mit er jung/ich alt. – Beschwingt vom Hohn meiner Bemerkung: Ah, jung bist du also auch noch! kaufe ich mir in der Back-Factory eine Laugenstange und ein Brötchen, stopfe heißhungrig die Laugenstange gleich in mich hinein, bin danach zu allen Leuten, die mir begegnen, so liebenswürdig, wie ich es lange nicht mehr war, und weiß, dass ich mir den Engel erst noch verdienen muss.