Sonntag, 17. Juli 2011

Brausewind


Selbstporträt  Acryl auf Karton  31 x 22 cm  1985

Seine Bilder sind (fast) alle ohne Titel. Da geht es schon los. Titel will er nicht. Braucht er nicht. Titel sind doch sowieso meist aufgesetzt, hergeholt. Irgendwas dazu erfunden, was mit dem Bild und dem Malprozess, aus dem es hervorgegangen ist, gar nichts zu tun hat, sagt er und ich verkneife mir die Bemerkung: Sie machen das Bild aber auch zu einem handelbaren Gegenstand. Doch Handelbarkeit interessiert ihn natürlich auch nicht. Galeristen haben sich für seine Arbeiten interessiert. Nichts daraus geworden, weil er interessiert sich auch nicht für Galeristen. – Hast du denn nie Anerkennung gesucht für deine Malerei? – Nee. – Das glaube ich ihm sogar. Vorher hat er mal gesagt, dass er keinen Ehrgeiz hat. Seine Lebensgeschichte ist der Beweis. Aber warum hat er mich dann eingeladen, um mir seine Arbeiten zu zeigen, wenn er keine Anerkennung sucht? – Riskantes Unternehmen für uns beide. Er weiß, dass ich es sagen würde, wenn ich mit seinen Arbeiten nichts anfangen könnte. Ich weiß, dass er sehr stolz ist und unversöhnlich sein kann. So viele Freunde habe ich nicht. Und er ist zwar kein enger, aber ein guter Freund. Namensvetter, nenne ich ihn. Wolfgang Schmeding.

Ohne Titel   Acryl/Aquarell auf Papier   16 x 23 cm   1998

Frage, warum er das Studium an der Kunstakademie in München nach vier Semestern aufgegeben hat. 1967 war das. Und in Berlin hat er dann als Musikalienhändler gearbeitet bei Bote&Bock in der Hardenbergstraße. Und darüber kommt er jetzt ins Erzählen, über den Aufstieg zum Abteilungsleiter in dem renommierten Geschäft und eine erste große Liebe, mit der er dann zwei Jahre lang auf der Insel Föhr gelebt hat. Wie das schief ging aus mehreren Gründen. Einer davon: die Freundin wurde ihm von einer Lesbe ausgespannt. Hinter seinem Rücken ist das gelaufen. Versteckspiel der beiden Frauen. – Warum Versteckspiel? – Die wussten eben, was für ein  Brausewind ich bin. – Schönes Wort. Aber hat er vorhin nicht zu meiner Verwunderung erklärt, dass er Pazifist ist? – Naja, nachdem ich es rausgekriegt hatte, da habe ich sie über den ganzen Winterfeldtmarkt gejagt. Barfuß. Und da war wirklich gerade Markt. –  Hast du sie geschlagen? Das wäre es: Pazifist sein und Frauen schlagen. – Nein, ich habe dann in eine Blumenvase getreten. Barfuß. Du kannst dir vorstellen, wie mein Fuß hinterher aussah. – Nach dem Verlust der Freundin wieder bei Bote&Bock gearbeitet und bald neue Liebe. Große Liebe. Umstände dieser Liebesgeschichte. – Wolfgang, das geht jetzt aber schon sehr ins Detail. – Er: Das muss so sein. – Er weiter mit den detaillierten Umständen der großen Leidenschaft zwischen ihr und ihm. Ich, verstohlener Blick auf meine Armbanduhr. Bilder, wann zeigt er mir seine Bilder? - Trennung von der großen Liebe. Nach vielen Jahren Wiederbegegnung. Und jetzt horche ich auf und gebannt zu. Aber, was diesen Teil der Geschichte so spannend macht, ist auch der Grund dafür, warum ich nicht darüber schreiben darf. Und der Grund dafür, dass er mir so ausführlich sein Leben erzählt, ist der, dass er sein Leben und seine Lieben viel wichtiger findet als seine Kunst. Daran erinnere ich mich jetzt, dass das vor zehn Jahren, in der ersten Zeit unserer Freundschaft, ein Thema zwischen uns war: Warum er nicht mehr aus sich und aus seiner Malerei macht.– Weil ihm das Leben wichtiger ist als die Kunst, hat er damals gesagt und sagt es jetzt mit anderen Worten wieder, als er mir seine Bilder zeigt: Das, was ich biographisch am Halse habe, das ist mir viel wichtiger als die Bilder. Die sind doch nur Abdrücke davon.

Ohne Titel   Acryl auf Leinwand   20 x 29 cm   2005

Von der Kunstakademie ist er abgegangen, weil er dort nichts Brauchbares für seine Malerei gelernt hat, weil wegen gerade beginnender Kulturrevolution (1965/66) in der Akademie kein konzentriertes Arbeiten möglich war - und weil es ihm in München überhaupt nicht gefallen hat, weil er lieber in Berlin leben wollte. Nachfragen dazu und alles über seine Malerei, über seine Zeichnungen und seine Fotografie demnächst, wenn er Künstler der Woche sein wird. Diese Woche ist es Özgür Emeklir. Siehe Das innere Biest von gestern: Weich. Dort auch das Neueste zum Thema Wichtigkeit der Pfirsiche und etwas über Mini Kapur und UNDER THE  MUNGO TREE.

Ohne Titel   Acryl auf Karton  29 x 20 cm  1999

Bilder: © Wolfgang Schmeding