Im Amtsdeutsch bin ich für einen Polizisten polizeiliches Gegenüber, im Korrektdeutsch Bürger. Und wenn die Kollegen unter sich sind, sprechen sie von Kunde oder Patient. Unsere Schöneberger Patienten, sagen sie dann.
Das Gebäude in der Gothaer Straße nennen sie nicht Revier oder Wache, sondern Abschnitt 41 oder einfach Abschnitt: Früher standen unsere Einsatzfahrzeuge vor dem Abschnitt. Jetzt müssen wir sie auf den Hof stellen, damit sie nicht zerkratzt oder angezündet werden.
Laut
Wenn ich vor dem Abschnitt an der Tür stehe und nicht gleich weiß, wo ich läuten soll, steht hinter mir ein Mann in Freizeitkleidung und fragt im Ton des Anschnauzens, was ich will. Worauf ich zurückfrage: Sind Sie Polizist? Und nachdem er das mit strenger Amtsmiene bejaht hat, grinse ich und erkläre, dass ich gleich eine Verabredung mit Herrn Soundso habe. Darauf nimmt er mich mit rein und erklärt mir, im Ton wie ausgewechselt, wo ich den Kollegen finde. Am Montag war gerade Schichtwechsel auf der Wache, als ich ankam Wache nennen sie den Raum, wenn man reinkommt rechts, der Einsatzzentrale und auch Empfangsraum ist. Der Schichtwechsel führte dazu, dass ich nach dem Läuten gefragt wurde, was ich will, es sagte, aber dann nach drei Minuten immer noch vor der verschlossenen Tür stand, noch mal läutete und dann in der für mich typischen lauten Art fragte, warum ich nicht reingelassen werde. Als ich drinnen war, wurde ich auf der Treppe zur Wache von einem jungen Beamten wütend zur Rede gestellt mit der Frage, warum ich ihn angebrüllt hätte. Ich dachte: Vorsicht! Der Mann ist hochgradig neurotisch. Aber er war nicht neurotisch, er wollte nur nicht angebrüllt werden. Nachdem ich ihm nämlich erklärt hatte, dass das Laute bei mir kein Brüllen ist, sondern nur meine Art, mich bemerkbar zu machen, und er mir darauf das mit dem Schichtwechsel erklärt hatte, kümmerte er sich um mich mit einer solchen Hilfsbereitschaft, dass es mir am Ende peinlich wurde. Denn nun zeigte sich, dass ich eine halbe Stunde zu früh dran war und wir Herrn Namespieltkeinerolle gar nicht finden konnten, weil er noch unterwegs war, auf dem Rückweg von seinem Kontaktbereich zum Abschnitt.
Streng
Als Herr N. pünktlich eintraf, war er angefressen, weil der Kollege ihm meinetwegen hatte hinterher telefonieren müssen, wo wir doch ganz klar 13.30 Uhr verabredet hatten. Ich gab mich entspannt und antwortete: Ist doch nicht schlimm. Wir sind eben von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgegangen. Worauf er streng feststellte, das sei aber schon mal eine ganz schlechte Voraussetzung für unser Gespräch. – Ach was, sagte ich, der kleine Konflikt sei eine gute Vorbereitung für unser Gespräch. So lernen wir uns kennen und verstehen. – Da bin ich mir nicht sicher, dass wir uns verstehen werden, erwiderte er bissig. Und obwohl ich mich mit meinen Interviewpartnern prinzipiell bestens verstehe, weil ich ja was von ihnen will und mich, während ich mit ihnen spreche, so weit wie möglich in sie hineinversetze, hatte ich nun Zweifel, dass mir das bei ihm gelingen würde. – Zweieinhalb Stunden später gab es daran keinen Zweifel mehr: Sehen Sie, jetzt haben wir uns doch verstanden, sagte ich zu ihm und fragte ihn darauf, ob das eine Masche von ihm und seinen Kollegen ist, erst mal das polizeiliche Gegenüber einzuschüchtern und sich so Respekt zu verschaffen? – Indirekt bestätigte er das, indem er darüber sprach, dass man damit spielen können muss. Dass man den strengen Ton dann auch wieder zurücknehmen und entgegenkommend sein muss, sonst erreicht man nichts. Nicht alle Kollegen könnten das. Er schon. Beweis: 23 Jahre Polizist in der Hauptstadt ohne eine einzige Beschwerde! Und darauf sei er mehr stolz als auf die zwei Sterne auf den Schulterklappen (Dienstgrad Oberkommissar) und auf die Urkunde für besondere Verdienste, die er zu Hause an der Wand hängen hat.
Karriere
Die Urkunde hat er bekommen für seinen Einsatz in einer Task Force des LKA zur Prävention von Hooliganismus bei der Fussballweltmeisterschaft 2006. Da war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Kurz davor war er für eine Lehrtätigkeit bei der Polizeiausbildung angefordert worden. Das wollte er machen, das wäre es gewesen. Aber klar, dass er erst einmal der Berufung in die WM-Task Force gefolgt ist. Das hatte die höhere Dringlichkeit. Die Berufung zur Lehrtätigkeit würde ihm nicht davon laufen. Tat sie auch nicht. Doch nach der WM verweigerten ihm seine Vorgesetzten beim Abschnitt 41 die Freigabe für die Lehrtätigkeit und ließen ihn nicht gehen. – Was?! Wie kann das sein? – So ist das bei der Berliner Polizei. Da ist nichts Persönliches im Spiel. Kein Neid, keine Missgunst. So weit denken die gar nicht. Denen geht es nur um Personalzahlen. Personal ist knapp, also wollen die Vorgesetzten jeden Mann, jede Frau halten, ohne Rücksicht auf Fähigkeiten und Entwicklungschancen, die sich jemandem anderswo bieten. – So etwas wie Personalentwicklung wie in der freien Wirtschaft gibt es nicht. Es gibt das gleiche Hauen und Stechen in der Hierarchie wie in den Unternehmen, den gleichen Konkurrenzkampf, bei dem Eigenschaften gefordert sind, die mit dem Kerngeschäft nichts zu haben. Doch es gibt keine Anstrengungen, die Leistung der Organisation durch die Förderung Einzelner zu verbessern. Jeder soll alles können und wird eingesetzt da, wo gerade jemand gebraucht wird. Also fuhr er wieder Streife, und da er das schon viel zu lange gemacht hatte, griff er sofort zu, als im Abschnitt vor vier Jahren eine KOB-Stelle frei war. Demnächst wird er 44, blickt geringschätzig auf die zwei Sterne auf seinen Schulterklappen und spricht voller Verachtung über das Rattenrennen um die höheren Positionen im Polizeidienst: So will ich nicht sein, um da zu punkten, sagt er. Das interessiert mich alles nicht. Ich will nichts mehr werden. Mein Platz ist draußen. Als Schutzmann. Auf der Straße. Da gehöre ich hin. - Fortsetzung folgt.
Streng
Als Herr N. pünktlich eintraf, war er angefressen, weil der Kollege ihm meinetwegen hatte hinterher telefonieren müssen, wo wir doch ganz klar 13.30 Uhr verabredet hatten. Ich gab mich entspannt und antwortete: Ist doch nicht schlimm. Wir sind eben von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgegangen. Worauf er streng feststellte, das sei aber schon mal eine ganz schlechte Voraussetzung für unser Gespräch. – Ach was, sagte ich, der kleine Konflikt sei eine gute Vorbereitung für unser Gespräch. So lernen wir uns kennen und verstehen. – Da bin ich mir nicht sicher, dass wir uns verstehen werden, erwiderte er bissig. Und obwohl ich mich mit meinen Interviewpartnern prinzipiell bestens verstehe, weil ich ja was von ihnen will und mich, während ich mit ihnen spreche, so weit wie möglich in sie hineinversetze, hatte ich nun Zweifel, dass mir das bei ihm gelingen würde. – Zweieinhalb Stunden später gab es daran keinen Zweifel mehr: Sehen Sie, jetzt haben wir uns doch verstanden, sagte ich zu ihm und fragte ihn darauf, ob das eine Masche von ihm und seinen Kollegen ist, erst mal das polizeiliche Gegenüber einzuschüchtern und sich so Respekt zu verschaffen? – Indirekt bestätigte er das, indem er darüber sprach, dass man damit spielen können muss. Dass man den strengen Ton dann auch wieder zurücknehmen und entgegenkommend sein muss, sonst erreicht man nichts. Nicht alle Kollegen könnten das. Er schon. Beweis: 23 Jahre Polizist in der Hauptstadt ohne eine einzige Beschwerde! Und darauf sei er mehr stolz als auf die zwei Sterne auf den Schulterklappen (Dienstgrad Oberkommissar) und auf die Urkunde für besondere Verdienste, die er zu Hause an der Wand hängen hat.
Karriere
Die Urkunde hat er bekommen für seinen Einsatz in einer Task Force des LKA zur Prävention von Hooliganismus bei der Fussballweltmeisterschaft 2006. Da war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Kurz davor war er für eine Lehrtätigkeit bei der Polizeiausbildung angefordert worden. Das wollte er machen, das wäre es gewesen. Aber klar, dass er erst einmal der Berufung in die WM-Task Force gefolgt ist. Das hatte die höhere Dringlichkeit. Die Berufung zur Lehrtätigkeit würde ihm nicht davon laufen. Tat sie auch nicht. Doch nach der WM verweigerten ihm seine Vorgesetzten beim Abschnitt 41 die Freigabe für die Lehrtätigkeit und ließen ihn nicht gehen. – Was?! Wie kann das sein? – So ist das bei der Berliner Polizei. Da ist nichts Persönliches im Spiel. Kein Neid, keine Missgunst. So weit denken die gar nicht. Denen geht es nur um Personalzahlen. Personal ist knapp, also wollen die Vorgesetzten jeden Mann, jede Frau halten, ohne Rücksicht auf Fähigkeiten und Entwicklungschancen, die sich jemandem anderswo bieten. – So etwas wie Personalentwicklung wie in der freien Wirtschaft gibt es nicht. Es gibt das gleiche Hauen und Stechen in der Hierarchie wie in den Unternehmen, den gleichen Konkurrenzkampf, bei dem Eigenschaften gefordert sind, die mit dem Kerngeschäft nichts zu haben. Doch es gibt keine Anstrengungen, die Leistung der Organisation durch die Förderung Einzelner zu verbessern. Jeder soll alles können und wird eingesetzt da, wo gerade jemand gebraucht wird. Also fuhr er wieder Streife, und da er das schon viel zu lange gemacht hatte, griff er sofort zu, als im Abschnitt vor vier Jahren eine KOB-Stelle frei war. Demnächst wird er 44, blickt geringschätzig auf die zwei Sterne auf seinen Schulterklappen und spricht voller Verachtung über das Rattenrennen um die höheren Positionen im Polizeidienst: So will ich nicht sein, um da zu punkten, sagt er. Das interessiert mich alles nicht. Ich will nichts mehr werden. Mein Platz ist draußen. Als Schutzmann. Auf der Straße. Da gehöre ich hin. - Fortsetzung folgt.