Montag, 18. Juli 2011

Özgür

Sophie-Charlotten-Straße. Nr. 27. Gewerbehof. Gleich, wenn man reinkommt eine Tischlerei. Stück weiter, die zerlegen gerade Metallschienen mit einer Motorsäge, dass die Funke nur so stieben. Und im hinteren Teil Werkstatt, Atelier und Lager von Özgür und seinem älteren Bruder Alper. Der ist nicht da, arbeitet bei einer Hausverwaltung; seine Kunst macht er nach Feierabend. Da ist noch Stephan; Bildhauer wie die beiden Brüder. Zur Zeit malt er, wie Alper; der malt inzwischen nur noch. Eine Katze gibt es, die hat ihren Schlafplatz im Atelier und gleich zwei Klos da stehen. Schwarz-braun gestreifte Katze. Einquartiert wegen einer Mäuseplage im Atelier. Die hat sie längst beendet, jetzt muss sie zum nahegelegenen S-Bahndamm, wenn ihr nach Mäusen ist. Natürlich kriegt sie auch Futter aus der Dose. Von der Jagd mitgebrachte Mäuse legt sie in ihren Futternapf, bevor sie sie frisst. Paula! – Es ist unhöflich, dass ich mich nicht nach der Arbeit von Stephan erkundige und an den aufgestellten Bildern von Alper gucke ich auch vorbei. Özgür und ich, wir haben uns mindestens zwei Jahre lang nicht gesehen. Unser Gespräch war immer: Er hat mir von sich erzählt und ich habe ihn verstanden, ich habe ihm von mir erzählt und er hat mich verstanden. Erzählt haben wir uns von unserer Arbeit und von Frauen/keine Frauen. Irgendwann haben wir dann begonnen uns mit Wangenküssen zu begrüßen und waren Freunde. Bei einer Ausstellung, die er mal hatte in einem FU-Institut in der Nähe vom Breitenbachplatz habe ich seine Eltern kennengelernt, seine Tochter, die Mutter seiner Tochter - und Julia, eine junge Russin, mit der er einmal zusammen war und die mir ganz lange nicht aus dem Kopf gegangen ist. Ich hatte gedacht, ich weiß schon alles über ihn. Jetzt merke ich: Wenn man über einen Freund alles wissen will, dann muss man ein Interview mit ihm machen. Dass Özgür an der UDK studiert hat, das wusste ich, aber nicht, dass er keinen Abschluss hat, weil er nämlich nie eingeschrieben war. Sein Bruder hat an der UDK studiert und die Frau, die die Mutter seiner Tochter wurde. Eigentlich wollte er eine Lehre als Goldschmied machen, aber dann hat er sich an die beiden drangehängt, hatte schon bald einen eigenen Arbeitsraum bei den Bildhauern an der UDK, fiel mit seinen Arbeiten Professoren der Abteilung auf und die kümmerten sich um ihn dann wie um einen ihrer begabtesten Studenten. Einer dieser Professoren, Herr Yoshimi Hashimoto, begleitet bis heute seine Arbeit und bringt Özgür auch schon mal ein Stück Baumstamm mit zur Inspiration und Bearbeitung. Vor diesem Stück stehen wir jetzt und ich sage, über Bildhauerei reden ist für mich wie zu Architektur zu tanzen. Dabei ist es ganz einfach, was da geschieht, so wie Özgür es beschreibt: Eine im Holz oder Granit angelegte Form erkennen und sie ausarbeiten zu einer Gestalt. Mit Hammer und Meißel. Die Meißel sind meine Pinsel, sagt Özgür und zeigt sie mir, indem er ein Tuch hochhebt, mit dem er die Werkzeuge abgedeckt hat. An dem Baumstück hat er seit mehreren Wochen nicht mehr gearbeitet. Nicht nur, weil er jobben musste: vorne in der Tischlerei macht er das. Er hat Probleme mit seinen Schultergelenken. - Verschleiß? Bildhauerkrankheit? Haben die beiden anderen sich deshalb aufs Malen verlegt? – Nein, das ist wohl eine konstitutionelle Schwäche bei mir, sagt Özgür. Arthrose. Mit 39 Jahren. Das ist blöd, aber operabel. Nur, zu der Operation muss er sich erst mal entschließen. -  Er zeigt mir Arbeiten aus der letzten Zeit: Gipsabgüsse, Reliefs, bei denen ich sofort meinen Atelier-Reflex kriege: Die will ich haben! - Sonnenlichtspiegelung des Wassers auf der Unterseite einer Brücke. Im Tiergarten gesehen. Die zweidimensionale Spiegelung zurückgeführt auf ihren dreidimensionalen Ursprung. Reduziert, minimalisiert zu einem für sich stehenden Gebilde. Einfacher gesagt, aber immer noch kompliziert: Du setzt eine Vorstellung, die du hast, mit deinen Händen direkt um ins Haptische. sage ich bewundernd. – Er nickt freundlich zustimmend. Ich denke: Tanzen zu Architektur. Am besten wäre es, ich könnte Abbildungen der beiden Reliefs zeigen. Die sind aber noch nicht fotografiert. Abbildungen der Arbeiten von Özgür Emeklier gibt es hier Ende der Woche. Wer eine Auswahl seiner Skulpturen im Original sehen will, in die Galerie von Mini Kapur gehen:
UNDER THE MANGO TREE
Merseburger Straße Nr. 14
10823 Berlin
030 787 184 75
mini.kapur@utmt.net
Berichtigung und fehlende Fotos siehe Nachlieferung.