Samstag, 5. März 2011
Zicke
Er ist der, der mal ein Freund hätte werden können und über den ich mich einmal so aufgeregt habe, dass ich ihm eine SMS geschrieben habe mit den Abschiedsworten: Warum lässt du dir nicht ein paar hübsche Titten machen und eine kleine Muschi, die zu dir passt? – Danach war er beleidigt. So war das von mir gedacht gewesen. Wenn wir uns sahen und das geschah immer wieder, weil wir die gleiche Stammkneipe hatten, ging er an mir vorbei, ohne mich zu bemerken und ich grinste höhnisch, und zischte leise das weniger putzige Synonym für Muschi vor mich hin, das ich gegenüber einer Frau nie gebrauchen würde, gegenüber einem Typ aber schon. Er in diesen Momenten ein Beispiel für so einen Typ. - Nach einiger Zeit wurde es mir zu blöd. Als wir uns dann mal beim Einkaufen begegneten, sprach ich ihn an und sagte: Da wir am gleichen Ort Bier trinken, wollen wir uns nicht die Posse schenken, so zu tun, als würden wir uns nicht kennen. Wir müssen ja nicht miteinander reden, einfach nur uns zunicken, wenn wir uns sehen. – Er nickte zustimmend und als wir uns das nächste Mal sahen, sagten wir Hallo, und als wir uns das übernächste Mal sahen, kamen wir ins Gespräch miteinander und das Mal darauf steckten wir wieder die Köpfe zusammen, so wie wir es immer getan hatten. – Seit ich nicht mehr in die Kneipe gehe, sehen wir uns manchmal monatelang nicht. Gestern rief ich ihn an, um den Wortlaut eines Witzes zu verifizieren. Da es ein Mobiltelefongespräch war, kam ich gleich auf den Punkt. Er erzählte mir den Witz. Wie gut, dass ich nachgefragt hatte. Denn in meiner Erinnerung war ein wichtiges Element des Witzes verloren gegangen. – Ich lasse einen Dialogteil aus und steige wieder ein an der Stelle, an der ich sagte, dass es doch schön wäre, wenn wir uns mal wieder zufällig begegnen würden. Denn verabreden ist ja nicht bei uns. Das tun wir nur, wenn wir zusammen ins Theater gehen (was wir zweimal getan haben, schon lange her). – Er sagte darauf: Lieber nicht verabreden. – Da es ein Mobiltelefongespräch war, das schon viel zu lange gedauert hatte, verzichtete ich darauf festzustellen, dass ich eben keineswegs eine Verabredung vorgeschlagen hatte. Statt dessen sagte ich obenhin und nicht im Ernst: Wenn ich es mal nicht mehr aushalten sollte ohne dich, schicke ich dir eine Mail. – Mit dieser Bemerkung wollte ich zügig und ohne den Eindruck von Abruptheit zu erwecken zum Ende des Gesprächs kommen. Das ist mir gelungen. Während es ihm mal wieder gelungen war, es so aussehen zu lassen, dass ich mich um ihn bemühe, damit er darauf mit matter Geste abwinken konnte. Obwohl ich gar nicht daran denke, mich um ihn zu bemühen. Obwohl ich mich im Gegenteil bemühe, den Eindruck zu vermeiden, ich würde es tun, weil ich weiß, dass er es darauf anlegt. - Es gab allerdings eine Zeit, in der ich mich um ihn bemüht, in der ich um seine Freundschaft geworben habe. Nicht auszuschließen, dass ihn das damals so erschreckt hat, dass er heute noch vor mir zurückweicht. So dass er es gar nicht darauf anlegt, mich in die Rolle dessen zu drängen, der sich um ihn bemüht, sondern dass er mich immer noch in dieser Rolle sieht. Ironie! - Ich weiß, dass das jetzt nicht so richtig interessant war. Aber schreiberisch war es interessant und deshalb lasse ich die langweilige Geschichte stehen. Ursprünglich wollte ich nämlich auf etwas ganz anderes hinaus. Ich wollte erzählen, wie mich das Gespräch mit ihm im Nachhinein immer mehr gegen ihn aufgebracht hat. Aus einem Grund, von dem ich da schon ahnte, dass ich ihm damit möglicherweise Unrecht tue, weil das eine Projektion von mir ist. Grund unwichtig, ich will nicht noch mehr Langeweile erzeugen. Beim Schreiben habe ich nun aber gemerkt, was der tatsächliche Auslöser für mein Aufgebrachtsein war: Ich bemühe mich n i c h t um ihn und dennoch schafft er es, mich abzuwimmeln. Er ist eine Zicke. Und er schafft es, mich auch zur Zicke zu machen. Er ist langweilig. Er ist ein Phlegmatiker. Mit Phlegmatikern kann ich nicht. Er ist jemand aus der Vergangenheit. Vergangenheit tut mir nicht gut. Es war ein Fehler, diesen Text zu schreiben. Es tut mir leid. Es tut mir nicht leid.