Mittwoch, 2. März 2011

Persönlich

Sie ist 26, 27 oder 28. Ihr aschblondes Haar hat sie sorgfältig hochgesteckt. Ihr volles Gesicht sieht aus wie gerade frisch gewaschen. Sie trägt eine weiße gestärkte Bluse mit einem Namensschild zu einem dunkelblauen Rock. Es ist die gleiche Bluse, wie die Kollegin neben ihr sie trägt, zu einem dunkelblauen Rock. Ich habe nicht darauf geachtet; doch nach dem, was ich aus den Augenwinkeln gesehen habe, müssen die männlichen Mitarbeiter des T-Punkt keine Uniform tragen. Telekom Shop Business, Bundesallee 23. Ich bin hier, weil ich heute morgen eineinhalb Stunden lang vergeblich versucht habe, die Nummer 01805330303 zu erreichen, die zuständig ist für meine Frage: An welche Adresse muss ich schreiben, wenn ich mein Homepage Starter Paket, das ich für ein Jahr zur Probe hatte, absagen will? – Absagen, denn von kündigen kann man nicht sprechen, da ich keinen Vertrag habe; der tritt erst in Kraft, wenn ich nicht rechtzeitig, nämlich bald, absage. – Das ist die Art, wie ich in so einem Fall rede. Die Art von jemandem, der etwas umständlich ist und froh über jedes Gespräch. Wenn ich gefragt würde, warum ich das Homepage Starter Paket nicht behalten möchte, ob ich denn nicht zufrieden war damit, würde ich diese Frage keineswegs als Zumutung empfinden, im Gegenteil: ich hoffe, dass mir die Frage gestellt wird. Doch immer wieder Dideldidel-dImm aus dem auf Lautsprecher gestellten Telefon, eineinhalb Stunden lang, während ich im Internet Zeitung lese, anschließend Morgenseiten schreibe, danach die gymnastischen Übungen mache, die ich mache, wenn ich es nicht zum Schwimmen geschafft habe. – Die Frau mit den sorgfältig hochgesteckten Haaren schaut auf den Bildschirm vor sich und tippt in die Tastatur. Ich wende mich an die neben ihr stehende Kollegin. Ich nenne meine Telefonnummer und die Postleitzahl, will noch meine Kundennummer nennen, die auf einem Anschreiben steht, das ich mitgebracht habe. Doch das ist nicht nötig. Was mich wundert, denn bei telefonischen Anfragen bei der Telekom muss ich immer meine Kundennummer angeben. – Bei ihnen nicht, sagt sie, sagt nicht die Kollegin, die ich angesprochen habe, sagt sie, die nicht ihren Blick abwendet vom Flachbildschirm. – Hier sehen Sie ja auch mein ehrliches Gesicht, sage ich (Witz!) und keine der beiden jungen Frauen lächelt auch nur mitleidig. – Die Frau, die ich angesprochen habe, geht weg, und die andere hat nun meine Daten vor sich. – Sie nennt mir eine Adresse und sagt, ich soll einfach nur schreiben, dass ich das Homepage Starter Paket kündigen will. – Also doch kündigen. – Die Zeit, die mir dazu verbleibt, reicht noch dicke, wie sie erklärt auf meine Nachfrage. – Aber es ist offenbar nicht so, dass ich das gleich hier erledigen kann. Das muss ich gar nicht erst fragen, denn sonst würde sie es mir anbieten, auch wenn sie mich die ganze Zeit noch nicht einmal angeschaut hat. Oder habe ich das nicht bemerkt? – Da ich schon hier bin: Mein Telefonanschluss wird immer noch mit zwei Namen geführt, meinem und dem Namen meiner Freundin, von der ich mich vor mehr als 12 Jahren getrennt habe. Jemand in einem Callcenter hat mir mal gesagt, da müsste ich nach Bonn schreiben, an die Zentrale der Telekom. Können Sie mir ... - die Adresse sagen? will ich fragen. - Doch die Frau hinter dem Flachbildschirm unterbricht mich: Da müssen Sie nicht schreiben. Ich habe es schon geändert. - Ganz fix. Noch während ich es ihr umständlich erklärt habe. Ich bin verblüfft, ich bin beeindruckt, ich bin begeistert, ich sage: Das war ja richtig gut, dass ich Sie kennengelernt habe. – Sie könnte jetzt lächeln. Aber das tut sie nicht. Sie zieht ihr Kinn hoch und presst die Lippen zusammen und das bedeutet wohl, dass sie diese Bemerkung zu persönlich fand, obwohl sie keineswegs so gemeint war. Sie ist offenbar an eine andere Art von Kunden gewöhnt, denke ich beim Rausgehen. Business-Kunden. Später denke ich: Auch wenn sie eine Lesbe wäre, würde sie in einem weißen Brautkleid heiraten. Aber sie ist bestimmt keine Lesbe. – Als ich zurück komme in meinen Kiez, sehe ich nur hässliche Menschen und experimentiere mit der Formulierung: In der Märzsonne sind alle Leute hässlich, und ich auch. – Die Frau mit dem dezenten Nasenpiercing reinigt die Warenlaufbänder der Kassen. Der Kassen, die sich am Hinterausgang des türkischen Supermarkts befinden. Ich frage sie, ob ich an die Kasse vorne gehen soll. Sie nimmt mir die Tüte mit den drei Orangen ab und sagt: Für einen so netten Kunden habe ich immer Zeit. – In der Back Factory lächelt mich die Frau an der Kasse an, obwohl sie das gar nicht müsste und obwohl ich nur ein Weizenbrötchen für 15 Cent zu bezahlen habe. – Auf dem Nachhauseweg tritt ein Mann in mittleren Jahren, der gerade sein Auto abgeschlossen hat, vor mir auf den Bürgersteig; ich gucke zweimal hin und denke: Der ist jetzt zum Beispiel nicht hässlich.