Freitag, 18. März 2011

Och!

Wenn mir der Name der Bekannten einfällt, mit der ich eben den Dialog in der Vorbergstraße hatte, dann schreibe ich heute nicht über den Besuch bei der Dame in ihrer Galerie. Dann schreibe ich vielleicht überhaupt nicht über die Dame. -  Die Bekannte. Freundin von Anneli. Alte Bekannte. Gute Bekannte. Dann Feindin. Dann versöhnt. Wieder gute Bekannte. Filmemacherin (independent). Jobbt beim Fernsehen als Cutterin. Einen schönen Nachnamen hat sie. Auf den komme ich gerade auch nicht. Telefonverzeichnis durchblättern gilt nicht. Methode, die manchmal hilft: das Alphabet durchgehen. A, B, C, D - Gisa! – Sie getroffen in der Vorbergstraße. Vorher war ich bei Videoworld. Dort hat schon der mir seit vielen Jahren bekannte Mitarbeiter gefragt, wie es mir geht. In diesem Augenblick gar nicht gut. Aber so lange kenne ich ihn auch wieder nicht. Deshalb antworte ich: Bestimmt besser als manchen anderen Leuten. Aber – wie soll ich es sagen? - es fehlt der Bonus. Worauf er mich verwundert anschaut. Doch besser kriege ich das jetzt nicht hin. Genauso gestelzt meine Ansprache, als ich bei Videoworld rauskomme und Gisa vorbeihasten sehe. Kopf gesenkt, Schultern zusammengezogen. Nach vorne gebeugt. - Wohin bist du denn so stromlinienförmig unterwegs? frage ich sie. – Erst zum Bioladen, dann zu dem Laden, wo es die Taschen gibt. Und dann schnell wieder nach Hause. Und du? – Schnell nach Hause. – Die Hoffnung, dass sie mich fragt, warum schnell nach Hause, erfüllt sich nicht. Wie es mir geht, will sie wissen. - Nicht so schlecht wie vielen anderen, antworte ich. Aber, ihr kann ich es sagen: Ich habe gerade einen großen Schmerz empfunden. – Gisa (bedauernd): Wo war der denn, der Schmerz? – Ich mache eine ungefähre Handbewegung über meinen Oberkörper, zwinge mich dann zur Genauigkeit: In der Seele, sage ich. In meiner Seele hat es mir weh getan. – Gisa: Och! – Ich: In einer Cartoon-Version könnte ich sagen, ich habe gerade gequietscht vor Wehmut. – Gisa: Och! – Und bei dir? frage ich schnell, um zu verhindern, dass sie sich nach den Gründen für meine Wehmut erkundigt, die ich ihr, so wie wir zueinander stehen, auch genannt hätte, doch es muss nicht sein. – Gisa hat Grippe gehabt. Die hat sie sich bei den Filmfestspielen eingefangen, wie viele andere auch, meint sie und ich denke, wie gut, dass ich nicht da war. Vier Wochen hat Gisas Grippe gedauert. Hartnäckiger Virus. Immer potenter werden die Viren. Sagt auch ihr Arzt. Doch sonst, fügt sie hinzu, leben wir hier ja im Paradies. – Wie meinst du das? Ironisch? – Nein, nein. Wenn man sieht, was anderswo passiert. – Ach so, Japan. – Sie nickt. Da sie wegen der Grippe ständig zu Hause war, hat sie viel ferngesehen und ist beeindruckt davon, wie die Japaner mit ihrem Unglück umgehen. – Ja, sage ich, das ist eine sehr schöne Erzählung, die da neben der Katastrophe abläuft. Wie die sind, die Japaner. – Ich komme ins Faseln darüber, wie die Japaner sind. – Gisa unterbricht mich: Das hat so eine Ästhetik, sagt sie. - Ich: Das meinte ich mit schöner Erzählung. – Sie: Ach so. – Ecke Vorberg-/Akazienstraße, Gisa muss nach rechts, ich geradeaus. Zum Abschied hat sie mir noch was Gutes gewünscht. Was, das habe ich vergessen.