Samstag, 12. März 2011

Solidarisch

Peter, warum hast´n jetzt eigentlich angerufen? – Weil ich gedacht habe, du hättest vorhin angerufen. – Hatte ich nicht. Habe dann aber gesagt: Wenn du schon mal da bist, dann können wir auch gleich reden. Wie geht es dir denn? - Caro ist gerade raus gegangen, sagt er.  Jetzt ist er eine Stunde für sich. Das tut ihm mal gut. So ein Besuch ist nämlich auch manchmal anstrengend. In der Nacht und morgens ist sie so lieb, streichelt ihn, liebkost ihn. – Ist doch toll, sage ich, das habe ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. - Ja, aber kaum ist sie aufgestanden, geht es los. Was willst´n frühstücken? Ich will nichts frühstücken. Du musst aber was frühstücken. Wegen deines Blutzuckers. Und dann muss unbedingt der Kühlschrank geputzt werden … . – … Dein Kühlschrank muss bestimmt dringend mal geputzt werden, Peter. – Hat sie ja dann auch gemacht. – Sie? – Ja. – Ist doch gut. – Ist aber auch Stress. Und dann war noch ein Rest Wein da, den hat sie versteckt. – Das finde ich auch gut, dass sie den Wein versteckt hat. Das sage ich aber lieber nicht. Weil sein Alkoholismus ist seine Sache. Der geht mich nichts an. Und so lange er sagt: Was hast´n eigentlich immer? Ich bin kein Alkoholiker - da kann ich noch so viel an ihn ranreden. Alkoholiker ist er erst, wenn er es selbst sagt, und erst dann kann er was dagegen machen. – Wenn er nur nicht immer wieder die gleichen Geschichten erzählen würde: Peeeter! Ich weiß. Und dann hat er die ganze Nacht mit der Knarre hinterm Vorhang gestanden und nach der Polizei Ausschau gehalten. In der Wohnung deiner Eltern, die in Urlaub waren und das heute noch nicht wissen, dass du ihn da versteckt hast. Nach der Schießerei in Wiesenbach war das. Worauf dann das SPK aufgelöst wurde. – Habe ich das schon erzählt? – Peter, ich kann es mittlerweile singen. – Hm. – Dement? Nein, dann wäre er sonst nicht so helle. Der Alkohol? Habe ich lange Zeit gedacht. Glaube ich neuerdings aber nicht mehr. Es ist sein Denk- und Redestil, seine Art zu einem Gespräch beizutragen. Während mein typischer Gesprächsbeitrag ist, dass ich irgendwo was gelesen habe, ist sein Beitrag zum Beispiel, dass er damals nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl (Thema: Kernschmelze wie jetzt in Japan?) gerade mit Susanne aus dem Urlaub zurückgekommen ist und es war Mai und das Wetter unheimlich schön, aber die Kinder durften nicht im Sandkasten spielen und man sollte keine Milch kaufen. Und als ich sage, dass ich gestern, nachdem mir das Foto von der Chanel Show so gut gefallen hat, überlegt habe, ob ich das Bilderverbot in meinem Blog aufheben soll, da erzählt er von dem befreundeten Künstler, den er gestern besucht hat zusammen mit Caro, der heißt auch Peter und mit dem ist er aufgewachsen … . – Ich weiß, Peter. Ihr wart im Prinzip Indianer. Auf jeden Fall habt ihr nie ohne Pfeil und Bogen das Haus verlassen. – Gut wäre, wenn er an so einer Stelle mal verwundert fragen würde: Woher weißt´n das? – Statt dessen geht er darüber hinweg, hat jetzt auch schon die stehende Rede: Ich weiß zwar, dass ich das schon zehnmal erzählt habe, aber … . – In diesem Fall muss er das nicht sagen, denn was er jetzt erzählt, ist etwas Neues: dass der Künstler, der auch Peter heißt, in den 80er Jahren Fotos von der Mauer gemacht hat und das ist Kunst … . – Worauf ich ihn unterbreche, weil ich nämlich inzwischen das Muster seiner Gesprächsbeiträge durchschaut habe. Ich will jetzt über Bilder in meinem Blog reden, sage ich, nicht über jemanden, den  du kennst, und schon gar nicht, wenn der Künstler ist. Denn was ich auf keinen Fall will in meinem Blog, das ist Kunstfotografie. Alleine schon deshalb nicht, weil alles, was per definitionem Kunst ist, vorbei ist, glaube es mir, Peter, ich habe einen sechsten Sinn für Strömungen, und alles, wo Kunst drauf steht, ist tot, tot, tot. So wie Literatur tot, tot, tot ist, vor allem, wenn es deutsche Literatur ist, gegenwärtige meine ich. – Das nun wieder ein für mich typischer Gesprächsbeitrag, in diesem Fall ohne bibliographische Angabe und auch kein Beitrag zum Thema: Bilder in meinem Blog; schön, wenn es welche gäbe, nur, was für welche? – Aber so ist das mit unseren Gesprächen. Ideenflucht, Gedankenflucht zu zweit. Ich kenne niemanden anderen, mit dem das so gut geht wie mit ihm. Deshalb es mir bloß nicht mit ihm verderben. Daher auch verzichtet auf das, was ich ursprünglich von ihm erzählen wollte heute: seine zweite Art von Gesprächsbeiträgen - Bemerkungen -. die mich nerven, und nicht nur mich, sondern auch seine Caro. Vorhin ihm angekündigt: ich werde heute was Böses über dich schreiben, aber keine Angst, solidarisch. Mache ich jetzt lieber nicht. So wie ich zuvor schon beschlossen habe, das über die Kneipenexistenz (Bürger Großkotz) heute nicht. Da ist die Vorgabe: friedfertig. Auch nicht einfach. Für mich. In diesem Fall. Und an diesem Tag, an dem ich besser nur gelebt hätte, statt schreibend zu leben. Wie immer.

Beim Schwimmen an die Passage aus dem Fleming/ Chandler-Gespräch gedacht, die ich gestern zitiert habe. Die von mir als drollig british hingestellte Frage von Ian Fleming, ob Chandler auch jemanden in England im Sinn hat, wenn er an Leute denkt, die er gerne erschießen würde (Anyone in England?). Dabei bemerkt, dass das keineswegs drollig british ist, wenn Fleming das fragt, sondern dass das mit seiner Berufsauffassung als Journalist zu tun hat, als der er mit Chandler spricht. Im Auftrag der in London erscheinenden Sunday Times, deren Leser einen Anspruch darauf haben, das zu erfahren, ob unter den Leuten, die Chandler lieber tot sähe, auch Engländer sind. – Danach gedacht, dass ich mir daran mal ein Beispiel nehmen sollte.