Sonntag, 13. März 2011

Kneipengespräch

Lächerlichkeit im Übergang zur Komik. Denn das muss man sich mal vorstellen: Besorgen eines Buches, weil es darin einen Text gibt, in dem es am Rande um das Kneipenleben geht, und um den Text zu verwenden beim Schreiben über einen Mann, der eine Kneipenexistenz ist, damit aber niemanden einen Schaden zufügt, vielleicht nicht einmal sich selbst, denn was soll er sonst machen, wenn er nicht mehr in Kneipen herumhängt tagein, tagaus. Am Ende noch anderen schaden mit seinem Charakter? Etwa als windiger Geschäftemacher anderen einen Schaden zufügen, wer weiß wie groß. So aber ist er ruhig gestellt durch Alkohol und abgelenkt durch den andauernden Aufenthalt in der Kneipe, wo es um nichts anderes geht, als Getränke entgegenzunehmen, sie zu konsumieren, dafür zu bezahlen, und dabei sich die Zeit zu vertreiben mit reden, reden, reden.

An Umständen nur, dass das Gespräch stattfindet im strahlenden Sonnenschein vor dem schwäbischen Speise- und Trinklokal Feinbäckerei in der Vorbergstraße. Er sitzt an einem der draußen aufgestellten Tische und trinkt Bier. Da letzten Sonntag die Außentemperatur noch nicht so mild war wie heute, hat er seinen taillierten Mantel von der Firma Boss zugeknöpft und um den Hals trägt er einen grauen Schal aus Cashmere. Sein Tonfall ist betont gelassen und sein Mienenspiel ist das einer schlecht gezeichneten Cartoonfigur: es bewegt sich nur sein Mund, der Rest des Gesichtes ist starr. Wenn er abfällig spricht, zieht er Wangen und Mundpartie nach unten. Was den Eindruck der Starre verstärkt. Er spricht gerne und oft abfällig. Wie jetzt gerade. Aus Gründen, über die ich nur spekulieren kann, unterstellt er mir, dass ich mich von Adelstiteln blenden lasse. Insbesondere vom Adelstitel des Freiherrn zu Guttenberg. Das sei einer der zahlreichen Adelstitel, mit denen Kaiser Wilhelm 1918 kurz vor seiner Abdankung nur so um sich geworfen habe. So wenig wie ich weiß, warum er mir unterstellt, dass ich mich von Adelstiteln blenden lasse, so unerklärlich ist es mir, warum er über den Freiherrn zu Guttenberg spricht. Obwohl es mich also nichts angeht, widerspreche ich ihm: Das glaube ich nicht, dass die Guttenbergs erst seit 1918 adlig sind. Die haben doch ausgedehnten Grundbesitz, Wald und Wiesen, und vor allem ein Schloss. Das haben die sich doch nicht erst nach dem 1. Weltkrieg zu ihrem frischen Adelstitel dazu gekauft. – Er geht darauf nicht ein und sagt: Etagenadel. Die Guttenbergs seien ein typischer Fall von Etagenadel. – Etagenadel? – Da hat doch der, wie heißt er noch mal, der das Buch geschrieben hat Die Kunst des stilvollen Verarmens, der hat doch darüber geschrieben. –Gutes Buch, sage ich, komme aber gerade auch nicht auf den Namen des Verfassers. – Ja, gutes Buch, sagt er. Das Buch des von Schirach sei aber noch viel besser. Ob ich das kenne? – Nicht gelesen. – Er redet nun über das Buch des von Schirach. Warum weiß ich nicht, denn geht es darin nicht um Rechtsfälle? – Er redet. Ich sehe ihn an, denke: wie eine schlecht gezeichnete Cartoonfigur, und höre ihm nicht mehr zu. Ich komme aus der Videoworld-Filiale um die Ecke, bin stehen geblieben, weil es so angenehm ist in der Märzsonne, weil ich Zeit habe und gerne mal wieder mit ihm gequatscht hätte, da Gespräche mit ihm auch schon mal amüsant waren. Heute aber nicht amüsant, da er dazu bereits zu viel Bier getrunken hat. Wie viel, davon bekomme ich eine Vorstellung, als mir endlich der Name des Autors von Die Kunst des stilvollen Verarmens einfällt: Alexander von Schönburg. – Ich unterbreche seine Ausführungen über von Schirach und sage: Alexander von Schönburg. – Wie? – Der Name, der uns vorhin fehlte, ist Alexander von Schönburg. – Er schaut mich verständnislos an. – Ich erzähle ihm, dass wir vor etwa fünf Minuten über das Buch von Schönburgs gesprochen haben und beide nicht auf seinen Namen gekommen sind. – Mit Mühe erinnert er sich daran, und obwohl ich ihn nicht noch mehr belasten will, muss ich ihn jetzt doch mal fragen, was genau unter Etagenadel zu verstehen ist. – Er erklärt mir, dass das Adlige sind, die zu Besuch zu anderen Adligen kommen, zum Beispiel auf ein Schloss, und dann ewig lange bleiben. – Also nicht mehr los zu werden sind? – Ja. – Und was hat das jetzt mit Etage zu tun? frage ich lieber nicht, denn ich will – siehe oben – ihn nicht belasten und muss jetzt auch weiter. – Später gebe ich bei Google ein: Guttenberg Adelsgeschlecht und lese in einem Wikipedia-Artikel, dass die Guttenbergs ein fränkisches Adelsgeschlecht sind, zum ersten Mal 1158 urkundlich erwähnt, mit standesgemäßer Burg seit 1310 und einem Wappen erster mittelalterlicher Güte. – Am nächsten Nachmittag bringe ich den Film zurück zu Videoworld, komme dabei wieder an der Feinbäckerei vorbei, vor der ich ihn schon von weitem habe sitzen sehe an der gleichen Stelle wie am Vortag, Bier trinkend, im Gespräch mit einer Frau, attraktive Frau, auffallend ihre großen vollen Lippen. – Ich begrüße ihn, nicke der Frau zu, der er mich nicht vorstellt, und referiere kurz, was ich inzwischen über die Guttenbergs gelernt habe. Bei Wikipedia! Warum hast du da nicht nachgeguckt, bevor du so etwas erzählst? frage ich ihn mehr fassungslos als vorwurfsvoll. - Er entgegnet im Ton von Schlagfertigkeit: Ich erzähle nur Sachen, die nicht stimmen. - Wäre es fünf Jahre früher um 18.45 Uhr und wir würden am Tresen des Felsenkellers stehen, würde ich in diesem Moment beschließen, ein drittes Bier zu bestellen, und es ginge jetzt erst richtig los. Er würde daraus, dass er nur Sachen erzählt, die nicht stimmen, ein Prinzip improvisieren, demzufolge man in Kneipen vernünftigerweise gar nicht anders reden kann, als indem man irgendeinen Scheiß erzählt, den man sich gerade ausgedacht hat. Womit er in gewisser Weise recht hätte. Aber so weit war ich damals noch nicht. Deshalb hätte ich mich so aufgeregt über sein Überlegenheitsgetue, dass es sehr bald persönlich und laut und hässlich geworden wäre und ich mich nach dem dritten Bier wütend auf den Heimweg gemacht hätte. Voller Verachtung für ihn - und für mich, weil ich mich mit Leuten wie ihm abgebe. – So aber wundere ich mich nur über die Selbstsicherheit, mit der er seine haltlose Behauptung aufgestellt hat, und das formuliere ich so zurückhaltend wie möglich wegen der Frau, mit der er vor der Feinbäckerei zusammensitzt. – Im Weggehen frage ich nur noch: Hast du denn nicht mehr dein iPhone? – Er: Doch. – Ich: Da hättest du das doch ganz leicht im Internet überprüfen können. – Stimmt, sagt er. – Ich nicke ihm zu, nicke der Frau zu, die mir gefällt, und gehe zu Videoworld den Film abgeben. Danach begegne ich auf der Hauptstraße der jungen Bettlerin, anschließend werde ich auf die beiden Penner im Eingang der Kaiser-Wilhelm-Passage aufmerksam und schreibe später in umgekehrter Reihenfolge über die Beobachtungen, die ich dabei gemacht habe.

Den Begriff Etagenadel habe ich inzwischen auch nachgeschaut. Er bezieht sich auf Angehörige armer Adelsfamilien, die in Mietwohnungen leben – also nicht in einem Schloss, sondern in der soundsovielten Etage eines Mietshauses. – Und der Text aus dem Buch, in dem es am Rande um das Kneipenleben geht? - Es ist jetzt auch ohne ihn gegangen.