Sonntag, 20. März 2011

Trost

Drama mit Peter. Freitag soll er zur Biopsie wegen Knubbel. Beim Telefonieren am Abend davor merke ich, er fängt schon wieder an rumzueiern. War er gar nicht am Montag bei der MRT? – Je länger ich nachdenke darüber, desto sicherer bin ich mir: Er hat sich wieder gedrückt. Er lügt wieder rum. – Freitag bestätigt sich das. Wieder die Nummer vom Januar: Die Bilder bei der MRT sind nichts geworden. Heute musste er deshalb noch mal hin zur MRT. Biopsie nächste Woche. – Und ich habe jetzt die Schnauze voll von dir, Peter. Wir können Freunde bleiben, wir können unser Gespräch fortsetzen. Aber an deiner Krankengeschichte nehme ich keinen Anteil mehr. Erzähl es mir, falls du doch irgendwann noch mal eine Diagnose kriegen solltest. Und wenn du stirbst, sag mir bitte auch rechtzeitig Bescheid … . – Ende. Er hat aufgelegt. Auch recht. Verdammte Lügerei. Mich kann er verarschen. Doch dass er auch noch die Leser verarscht, die seiner Geschichte im Blog folgen, das lasse ich nicht zu. Ende des Peter-Erzählstrangs. – Bevor er aufgelegt hat, sagte er: Wenn du mir nicht glaubst, dann hat es keinen Sinn. – Nicht die Worte, der Ton, in dem er sie sagte, geht mir nicht aus dem Kopf. Was, wenn ich ihm Unrecht tue? Wenn er sich am Montag wieder gedrückt hat, sich dann aber am Freitag durchgerungen hat und da war zur MRT? – Gestern Abend Mail von ihm: So wie ich angenommen habe. Montag, gelogen; Freitag war er da. – Ich schreibe ihm versöhnlich zurück. Kurz darauf ruft er an. Weint, so wie ich ihn noch nie habe weinen hören. Mit ganz heller Stimme. Ich höre den kleinen Peter, den Peter vor dem Stimmbruch. Es rührt mich nicht. Es ist aber auch nicht so, dass ich es abstoßend finde dass es mir unangenehm ist. Er heult sein ganzes Elend raus. Viel Elend, großes Elend. Elend und Todesangst. Ich verstehe ihn, trotzdem sage ich, was ich noch nie gesagt habe: Dass er sich zusammenreißen soll. – Sage das nicht mit diesen Worten. Benutze seine Worte von neulich: Er soll seinen Mann stehen. – Leicht gesagt. Doch heute macht er es. Als wir mittags telefonieren, hat er sich wieder gefangen. Er redet zum ersten Mal offen darüber, dass er seit Monaten gekniffen hat, wie er es nennt. Redet auch offen über seine Lügerei, die er jetzt nicht mehr verharmlosend Flunkern nennt. – Dass er gekniffen hat und rumgelogen, das weiß ich alles schon. Trotzdem ist es eine neue Art von Gespräch. Endlich kann ich ihn trösten! Indem ich ihm sage, dass er sich nicht anders verhalten hat, als die meisten Menschen – genauer: die meisten Männer sich verhalten in so einer Situation. Nach außen stark. In Wahrheit feige. Und um das zu kaschieren, sich und andere belügend. Das im übrigen einer der Gründe dafür, warum Männer statistisch eine geringere Lebenserwartung haben als Frauen. Weil die meisten Frauen, wenn sie merken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, nicht zögern zum Arzt zu gehen. Wahrscheinlich gar nicht, weil sie mutiger sind als die meisten Männer, sondern weil das für sie gar keine Frage des Mutes ist, sondern – weiß ich auch nicht. Als ich mal in einer ähnlichen Situation war wie Peter jetzt, da habe ich auch zwei Mal gekniffen und Termine verschoben, bis ich endlich zu dem sogenannten Staging gegangen bin (Computertomographie, Röntgen, Sonographie) und als ich anschließend zu einem Eingriff in die Klinik musste, keine große Sache, da habe ich den Aufnahmetermin geschmissen, weil ich nicht damit einverstanden war, dass der Eingriff unter Vollnarkose gemacht wird. Das erzähle ich Peter heute zum ersten Mal. Vorher ist es nicht dazu gekommen, da ist es mir nicht eingefallen. Denn Kneifen war kein Thema, weil er es nicht zugegeben hat, dass er kneift.