Donnerstag, 24. März 2011

Bastelarbeit

Frühling Tag 4. – Großer Mann kommt mir entgegen. Fast halb so breit wie groß. Keine Übertreibung. Jacke ausgezogen; von dem bisschen Frühlingssonne schon ins Schwitzen geraten. Jacke über den Rucksack gehängt. Holzfällerhemd. Rechte Hand am Rucksackriemen. In der linken Hand ein Pizzakarton; dicker Pizzakarton, da passen zwei Pizzen rein; von einer Pizza wird so ein Mann nicht satt. Sympathisches Gesicht. Der Speckwulst am Hals überwachsen von einem schütteren Mehrtage-Bart. Blick hinter dem Mann her. Wie breit der ist! Die Jeans müssen eine Sonderanfertigung sein – X²L – oder aus den USA mitgebracht, wo es viele solche Leute gibt – und man kultiviert sein kann alleine schon dadurch, dass man nicht übergewichtig ist, denke ich später. Doch jetzt erst mal ein Stück weiter: Vor dem nepalesischen Restaurant Mount Everest, neben dem Yogi-Haus. Da drei Mädchen, südosteuropäischer oder türkischer Herkunft, und ein Junge gleicher Herkunft und in ihrem Alter; wahrscheinlich Schüler der nicht weit entfernten Riesengebirgs-Oberschule. Zwei Mädchen sitzen auf einer Bank mit dem Rücken zu einem der draußen aufgestellten Tische. Das eine Mädchen beugt sich vor und zieht am Mundstück einer Wasserpfeife, die vor ihr auf dem Boden steht. Klassische Wasserpfeife mit Behälter für das Wasser, Schlauch und Mundstück. Haben sie die aus dem Restaurant? Kann man sich dort eine Wasserpfeife bestellen so wie zum Beispiel in der Lounge neben dem Café Berio in der Maaßenstraße? Da gehen die also nach der Schule zu dem Restaurant, bestellen sich eine Wasserpfeife und rauchen die? Oder ist das Kiffen, was die da gerade machen, mit einer klassischen Wasserpfeife? Kultiviertes Kiffen von Oberschülerinnen, die das Inhalieren des Rauches anders nicht vertragen als mit Wasserpfeife, denke ich, während ich an der Ampel stehe Eisenacher/ Beltzigerstraße und schon umkehren will, um zu fragen. Lasse es dann aber lieber, weil ich in Eile bin, und das ist bestimmt besser so, nicht gefragt zu haben. Denke ich mir, nachdem ich mir vergegenwärtigt habe, wie das Mädchen sich runtergebeugt hat, um am Mundstück der Wasserpfeife zu ziehen. Heimlich tuend. Um sich den Blicken Vorbeigehender zu entziehen. Warum sollte sie das tun, wenn sie nur Tabak raucht aus der Wasserpfeife? Alt genug, um in der Öffentlichkeit zu rauchen, ist sie schließlich. Also war das Kiffen und wenn ich gefragt hätte, dann hätten die Schüler sich vielleicht von mir bedrängt gefühlt und es wäre zu einer unguten Szene gekommen. Dann hätte ich jetzt allerdings auch mehr zu erzählen. So nur noch das von Günter und von dem Blumenladen. Günter kommt aus der Haustür neben dem Eingang zum Felsenkeller. Ich sage: Wir haben schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. – Er sagt: Du weißt ja, wo du mich treffen kannst. – Damit meint er den Felsenkeller, in dem er der Wirt ist. – Mein Blick fällt auf das Schaufenster des Felsenkellers. Darin hat schon alles Mögliche gestanden. Seit ein paar Wochen steht darin ein Modellbau eines Blumenladens. Sehr liebevoll gemacht. Mit verschiedenen Blumensorten in winzigen Eimern und an der Decke im Laden hängt ein Kronleuchter. – Hat Michaela das gefunden oder du? frage ich. Sage gefunden, weil ich annehme, dass das Modell ein Fundstück vom Flohmarkt ist. – Weder noch, antwortet Günter. Das ist von einem ehemaligen Gast. Der geht nicht mehr in die Kneipe, sieht nicht mehr fern und liest nicht mehr Zeitung. Und da er nicht aus Langeweile zu Hause alleine saufen will, bastelt er. – Wie ich! sage ich erstaunt. Ich gehe auch nicht mehr in die Kneipe und sehe nicht fern. Zeitung lese ich zwar noch, aber ich bastele auch. – Womit ich das Schreiben des Blogs meine. Aber das erkläre ich Günter nicht, obwohl er mich ungläubig anschaut, als ich sage, ich bastele auch. Denn dann müsste ich ihm erklären, was ein Blog ist und was es mit meinem Blog auf sich hat, und dazu habe ich heute Nachmittag überhaupt keine Lust, denn es gibt Spannungen im Verhältnis zwischen mir und dem Blog. So dass ich schon überlegt habe, ob ich im Posting von heute einen kritischen Dialog anzetteln soll, um mal alles rauszulassen, was sich an Unmut angesammelt hat zwischen mir und dem Blog. Fiktiv der Dialog, versteht sich. Doch schon besser so, dass ich den breiten Mann gesehen habe, die kiffenden Schülerinnen mit ihrer Wasserpfeife, die sie morgens in die Schule mitnehmen (das muss man sich mal vorstellen!), und dass ich nun auch noch Günter getroffen habe und mit ihm über das Modell des Blumenladens im Schaufenster reden konnte. Nachdem Günter wegen läutendem Telefon nach drinnen gegangen ist, schaue ich mir das Modell noch mal an. Mein Eindruck, dass das ein Flohmarkt-Fundstück ist, kommt daher, dass das Modell auf alt gemacht ist. Nur etwas zu groß geraten ist es, vielmehr zu breit. Wenn man das maßstabgetreu in echt umsetzen würde, dann wäre die Front des Blumenladens so breit wie eine Shell-Tankstelle. Oder übertreibe ich? – Hingehen und selber mal gucken! Tolle Bastelarbeit! Im Schaufenster vom Felsenkeller, Akazienstraße 2. Und wenn jemand das Modell des Blumenladens im Schaufenster fotografiert und mir das Foto digital zuspielt, veröffentliche ich es hier im Blog.