Mittwoch, 30. März 2011

Augenhöhe

Frühling Tag 10. Frühlingsgespräch mit der Nachbarin. Getroffen beim Verlassen des Hauses, als sie auch gerade losging mit ihrem und einem befreundeten Hund. Beide Hunde schwarz. Der schönere Hund ist der von der Nachbarin. Er ist aber auch ein Gangster. Als solcher bei ihr in den richtigen Händen: Wenn du das noch ein Mal machst, dann hau ich dir auf deine abgeschnittenen Eier, sagt sie zu ihm nach einer schweren Verfehlung im Straßenverkehr, und ich freue mich. Später sagt sie mal Stier-Sport für Stierkampf. Und da freue ich mich auch. Auf den Stierkampf kommen wir, als sie erzählt, dass sie schon reichlich Niederlagen erlebt hat, aber: Dann bin ich wieder aufgestanden. Ich bin eben ein Stier. Dann soll der Torero noch mal kommen. Und beim nächsten Mal fliegt er um. - Angefangen hat unser Gespräch damit, dass ich ihr erzählt habe, wie schlecht es mir gestern gegangen ist. Von Stunde zu Stunde wurde es schlimmer und das einzig Gute an dem Tag war die Hoffnung, dass es heute besser wird, aber überzeugt war ich davon nicht. Ob sie solche Tage auch kennt, habe ich sie gefragt. Kennt sie. Und gerade jetzt ist so eine Zeit, da kann es einem leicht passieren, dass man traurig wird, wenn man die Paare sieht auf der Straße, wie sie rumknutschen. – Dann ist sie also alleine? – Ja. - Und auf der Suche? – Ja. - Mann oder Frau? – Mann. – Und wie lange schon alleine? – Gefühlt, schon immer. – Und faktisch? – Seit etwa vier Jahren. – Die Nachbarin ist 42. Sie hat eine kleine edel gebogene Nase und Augen, die lachen können. Sie denkt und redet schnell und kleidet sich so, dass es mir auffällt und ich ihr heute endlich mal ein Kompliment machen möchte deswegen. Ich hoffe, sie hat es so empfunden. Sie kleidet sich, dass es wie Ironie über Mode ist, sage ich und sie schaut mich darauf von der Seite an und sagt: Aha! – Die Nachbarin ist eine große gertenschlanke Frau. 1 Meter 86 groß. Das weiß ich so genau, weil ich sie gefragt habe. Denn ihre Größe spielt eine Rolle bei ihrer Partnersuche. Sie will nur einen Mann, der so groß ist wie sie oder größer. Nicht, weil sie etwas gegen kleine Männer hätte, überhaupt nicht, sondern weil es mit kleinen Männern nicht gut geht. Irgendwann verkraften die den Größenunterschied zu ihr nämlich nicht mehr, werden deswegen vielleicht noch gehänselt von ihren Freunden und dann sind sie weg. Deshalb besser ein Mann auf Augenhöhe oder darüber. – Da komme ich schon mal nicht in die engere Wahl, denn ich bin nur 1 Meter 80 groß. Trotzdem frage ich mich zwischendurch, ob wir ein Bewerbungsgespräch miteinander führen. Amüsantes Gespräch, schnelles Gespräch. Fliegende Themenwechsel. So macht das Reden Spaß. Aber Fragen stelle nur ich. Sie will nichts über mich wissen. Und als ich erwähne, dass ich 58 bin, da ist sie überrascht. – Warum? Hat sie mich für älter gehalten? – Nein (sie zögert, als würde sie überlegen, was die richtige Antwort ist). Eher für Anfang 50, sagt sie. – Was? Anfang 50! Ich mit meiner alten Raucherhaut?! – Sie räumt ein, dass sie Leute in meiner Altersgruppe nicht so gut schätzen kann. Im Stillen schließe ich aus ihrer schmeichelhaften Fehleinschätzung, dass sie mich nie richtig angeguckt hat. Also kein Bewerbungsgespräch. Nur ein Interview. Thema: Menschen im Frühling. Frühling in Berlin. - Ihre Freundin hat der Nachbarin vorhergesagt, dass sie 2011 einen Mann finden wird. Würde mich wundern, wenn das nicht klappt.