Mittwoch, 23. März 2011

Dumm

Kein guter Tag. Zum ersten Mal zucke ich zusammen, als ich perlentaucher.de lese, Heute in den Feuilletons, und zum Abschnitt Süddeutsche Zeitung komme: "Die dümmste Abstraktion, die es gibt, heißt: das Leben," teilt SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld an die Adresse seines Kritikerkollegen Georg Diez mit … , steht da, lese ich und fühle mich auch gemeint. Denn das Programm meines Blogs lautet schließlich: Ich veröffentliche mein Leben. Wie stehe ich nun da, wenn das Leben nur eine Abstraktion ist und die dümmste überhaupt. Leider ist der Artikel nicht verlinkt. Ich werde also später in die Bibliothek gehen müssen, um ihn in der Papierausgabe der SZ nachzulesen. Zum Glück gibt es bald danach noch einen anderen Schreck, der mich auf andere Gedanken bringt. Aber ruhiger werde ich dadurch nicht. Denn, wenn der hochgelehrte Thomas Steinfeld erklärt: Leben = dümmste Abstraktion, dann wird da schon was dran sein. Was? Alles Grübeln hilft nichts. Ich komme nicht drauf. Was eben daran liegt, dass ich dumm bin. Leicht zu erkennen daran, dass ich meinen Blog thematisch auf eine Abstraktion gebaut habe, welche die dümmste überhaupt ist. Kein guter Tag. – Endlich habe ich den Artikel von Thomas Steinfeld vor mir. Erste Seite des SZ-Feuilletons, links, zweispaltig über die ganze Seite. Ganz große Sache. Die Überschrift des Artikels habe ich nicht vergessen, ich habe sie in meiner Aufregung gar nicht bemerkt, und nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, ungefähr am Ende der ersten Spalte, da habe ich nicht mehr darauf geachtet, weil ich spätestens da den Artikel nicht mehr ernst nehmen konnte. Nicht, weil an dieser Stelle etwas steht, das mich an der Hochgelehrtheit von Thomas Steinfeld hätte zweifeln lassen. Im Gegenteil, reichlich Hochgelehrtheit, inklusive Schopenhauer-Zitat und Formulierungen wie angelegen sein. Aber die ganze Hochgelehrtheit, die langen zwei Spalten ein einziger Rumpelstilzchen-Anfall gegen den Kollegen Georg Diez von SPIEGEL-ONLINE, der sich unterstanden hat auf etwas hinzuweisen, was nun als Entdeckung nicht neu ist: dass der deutsche Literaturbetrieb, ein System der Stipendien und Preise ist, das noch jeden Schriftsteller kleingekriegt hat (…) die subventionierte Verhinderung von Literatur: Sie treffen sich, sie geben sich Preise, sie schlafen miteinander, sie spucken sich an und schlitzen sich die Stirn auf. So entsteht ein Betrieb, wo sich alle andauernd gegenseitig ihrer Bedeutung versichern. – Ist das die Stelle, die Thomas Steinfeld so böse auf Georg Diez macht, dass er ihm an keiner Stelle seines Artikels die Ehre einer Namensnennung zuteil werden lässt, wie der Perlentaucher bemerkt? Während Georg Diez übrigens nur ein einziges Mal in seinem Artikel den Begriff Leben benutzt: Man wird Schriftsteller, Lektor oder Kritiker. Und stakst mit dem gleichen dünkelhaften Denken durchs Leben, das sie einem auf der Universität beigebracht haben: die deutsche Literatur gehört zum Weltkulturerbe. – Und Thomas Steinfeld gehört zum deutschen Literaturbetrieb und verteidigt ihn deshalb mit Hochgelehrtheit nur so um sich spuckend, keifend, beißend gegen die Polemik des Kritikerkollegen. Aber warum ist er denn so wütend, der Steinfeld? Noch mal: das ist doch nicht neu, das ist doch ein Aufguss von Gemeingut, was der Diez geschrieben hat. Es erschließt sich mir nicht, auch nicht nach zweimaligem Lesen des Diez-Textes daraufhin, ob sich eine Bemerkung darin findet, von der der Literaturbetriebsangehörige Steinfeld persönlich so getroffen war, dass er auf der ersten Seite des Feuilletons der neben der FAZ wichtigsten deutschen Tageszeitung einen zweispaltigen Artikel schreibt, der aufgebaut ist auf dem Satz: Die dümmste Abstraktion, die es gibt, heißt: das Leben. - Was muss da menschlich und betrieblich passiert sein, dass der hochgelehrte Mann so einen Satz schreibt? Wie wird der sich jetzt fühlen nach dieser Entgleisung? Und warum beschäftige ich mich damit, statt mich um mein Thema zu kümmern? Bestes, schönstes Thema überhaupt: Leben!