Dienstag, 8. März 2011

Klatsch

Wenn ich das Ensslin-Zitat finde in meinen alten Notizbüchern, schreibe ich heute über sie und über die Frage: Alle sagen, der Baader war ein Arschloch, aber Gudrun Ensslin, die war eine tolle Frau. Worauf ich sage, wenn sie so toll war, dann kann er nicht nur ein Arschloch gewesen sein, sonst hätte sie sich nicht mit ihm abgegeben. Oder sie war nicht so klasse, wie wir immer denken. – Wobei zu berücksichtigen ist, dass die beiden gar nicht so viel Zeit zusammen verbracht haben in Freiheit. 1967 kennengelernt, seit 1968 zusammen. Im April Kaufhausbrandstiftung in Frankfurt. Beide in Haft bis September 1969. Im April 1970 Baader in Berlin wieder verhaftet. Einen Monat später befreit von einem Kommando unter der Leitung Gudrun Ensslins. Leben im Untergrund und dann ging auch bald der bewaffnete Kampf los, bei dem sie nicht allzu viel von einander gehabt haben dürften, und schon gar kein Alltagsleben, bei dem sich ein Paar erst richtig kennenlernt. Der bewaffnete Kampf für die beiden beendet im Sommer 1972. Zweieinhalb Jahre Trennung wegen Unterbringung in verschiedenen Haftanstalten. Wiedersehen 1975 in der Justizvollzugsanstalt Stammheim. Da zusammen, aber nie alleine. Gemeinsamer Selbstmord im Herbst 1977, für die Sympathisantenszene als Meuchelmord inszeniert.

Beim Durchblättern der in Frage kommenden sechs Notizbücher fündig geworden im letzten. Der Satz aus einem in Stammheim geschriebenen Kassiber Gudrun Ensslins: Reden wir vom revolutionären Subjekt, vom Entstehen, von der Dekolonisation des Bewusstseins, vom 24-Stundentag unserer Aufgabe und unseres Ziels. – Notiert von mir am 29.1.2005, gefunden das Zitat in einem Feuilleton-Artikel über die RAF-Ausstellung, die damals in Berlin stattfand. Notiert, weil ich nicht viel anders meine Aufgabe und mein Ziel auch beschreiben würde – und weil ich die Sprache faszinierend fand, als ich das notierte. – In der Hoffnung auf mehr solcher Zitate aus Gudrun Ensslins Kassibern vor zwei Jahren das Buch von Gerd Koenen gelesen, Vesper, Ensslin, Baader: Urszenen des deutschen Terrorismus. Keinen weiteren Kassiber-Text von ihr darin gefunden, aber den Eindruck gewonnen, dass Baader noch ein viel dumpferer Macker war, als ich gedacht hatte, und Gudrun Ensslin noch viel mehr Pfarrerstochter aus Tuttlingen. Das Buch ist Vorlage des Films von Andres Veiel, der bei der Berlinale gelaufen ist und am Donnerstag in die Kinos kommt: Wer wenn nicht wir.  Im Tagesspiegel von gestern ein Artikel von Peter Schneider über den Film: Das Freudlose jener Jahre. Peter Schneider ist von allen Berufs68ern einer der angenehmsten und hat schon  1973 mit seiner Erzählung Lenz gezeigt, wie wenig verbohrt er ist. Wie alle 68er kennt auch Peter Schneider jemanden, der jemanden von der RAF kennt. Peter Schneider ist mit einer Italienerin befreundet, die Andreas Baader und Gudrun Ensslin nach deren Flucht aus Berlin für mehrere Wochen ihre Wohnung in Rom überlassen hat:
Als sie wiederkam, war das Treppenhaus halb verbrannt. Überall an den Wänden waren Polaroid-Fotos angepinnt, die Andreas und Gudrun beim Sex in Dutzenden von Stellungen zeigten. Es war, als hätten die beiden den Ehrgeiz gehabt, ihrer Gastgeberin eine lückenlose Dokumentation ihrer Sex-Übungen nach einem indischen Lehrbuch zu überlassen. Viele Fotos jedoch wichen von diesem gedachten Lehrbuch ab. Sie zeigten Sado-Maso-Szenen, in denen Gudrun die Sklavin war. Meine Freundin, die schon einige Guerilleros aus Lateinamerika beherbergt hatte, schwor mir, sie würde nie mehr deutschen Terroristen Unterkunft gewähren.
Gestern habe ich meinem Peter das Link zu dem Artikel gemailt: bitte lesen und dann darüber reden. Mein Peter kennt nicht nur jemanden, der jemanden von der RAF kennt, er kennt mehrere Leute, die …  - bei der RAF der ersten Generation mitgemacht haben oder bei der Bewegung 2. Juni; wobei er gerade heute gesagt hat, dass ihm die vom 2. Juni immer sympathischer waren. Er hat es mir erklärt inwiefern; ich habe nicht richtig zugehört, weil ich wissen wollte, was er von der Klatschgeschichte Peter Schneiders hält. Ob er es nicht auch daneben findet, dass Peter Schneider damit hausieren geht. Aber da wir die Geschichte jetzt mal kennen, ob sie ihm etwas sagt über das Verhältnis Ensslin-Baader und was.  – Dazu sind wir dann aber nicht gekommen. Denn erst hat er noch mal gesagt, was alle immer sagen: Der Baader war ein Arschloch, aber die Gudrun Ensslin war eine tolle Frau. – Ich ungeduldig: Ist klar, Peter. Und was meinst du zu der Klatschgeschichte? – Peter: Die Fotos würde ich gerne mal sehen. – Da hab ich gelacht und mir gedacht: Wie gut, dass ich den Peter hab, und keine weiteren Fragen mehr gestellt.  

Schicksenplot 2. - Dritter Teil folgt am Donnerstag.