Dienstag, 22. März 2011
Augen
Frühling Tag 2. Zum Nachdenken und Besorgungen machen weite Fußwege durch die Stadt. Auch bei größter Zurückhaltung lässt es sich dabei nicht vermeiden, dass mir Frauen entgegen kommen. Darunter junge Frauen. Auch alleine unterwegs. Und mir schutzlos ausgeliefert. Meinen Blicken und der Bedrohung ausgesetzt, dass ich mich nicht begnügen könnte mit Blicken. Dass ich sie im Vorübergehen anspreche, womöglich noch verbalerotisch. Würde ich nie machen. Verbalerotisch schon gar nicht und auch sonstwie nicht. Ich habe nämlich mindestens genau so viel Angst vor denen wie die vor mir. Angst nicht vor Frauen überhaupt. Nur vor fremden jungen Frauen, die mich interessieren. Zum Glück passiert mir das nur etwa alle zehn Jahre, dass eine fremde junge Frau mich interessiert. Und da es mir gerade erst vor zwei Jahren passiert ist, hat die fremde junge Frau, die in der Nachmittagssonne am Fußgängerüberweg in der Spichernstraße steht, nichts zu befürchten. Ich nehme sie nicht mal richtig wahr, während ich an der Ampel warte. Kriege nur mit, dass da eine junge blonde Frau steht, und bin in Gedanken. Schon seit dem Viktoria -Luise-Platz beschäftigt mit der Frage, wie ich damit umgehen soll, dass die fremde junge Frau, für die ich mich seit zwei Jahren vergeblich interessiere, mir nicht aus dem Kopf geht. Soll ich das einfach geschehen lassen? Oder soll ich Maßnahmen dagegen ergreifen, frage ich mich. Die Gedanken an sie verdrängen? Denn so lange werde ich nicht mehr leben, denke ich in meiner kleinlichen Art, dass ich meine Gedanken verschwenden kann an eine Zielperson, deren Unerreichbarkeit nach zwei Jahren als erwiesen gelten muss. Als die Fußgängerampel auf Grün schaltet, bin ich mitten in diesem Grübeln. Deshalb ist es auszuschließen, dass meine Körpersprache der jungen blonden Frau in Aussicht stellen könnte, dass ich sie gleich belästigen werde. Dennoch schlägt sie die Augen nieder, als sie auf mich zukommt. Jetzt erst und nur wegen ihres Augenniederschlagens fällt sie mir auf. Nur deshalb mustere ich sie im Vorübergehen. Nachlässig hochgesteckte Haare, blasses hübsches Gesicht, blassfarbene Jacke und Hose, beigegetönte Krokoleder-Stiefel. - Pfff! denke ich. So verwegene Paar Schuhe und dann schlägt sie die Augen nieder vor einem Kerl wie mir, der vielleicht aussieht wie ein Wüstling, aber erkennt sie das denn nicht, wie lange das schon her ist? – Während ich weiter grüble darüber, wie ich mein Denken verwalten soll mit Rücksicht auf meine restliche Lebenszeit, läuft – quasi in der zweiten Gedankenspur – eine Routine ab, also etwas, das mir nicht zum ersten Mal durch den Kopf geht. Ich frage mich, was ich mich schon bei ähnlichen Begegnungen wie eben mit der blassblonden Frau gefragt habe: Was mögen diese Frauen mit Männern wie mir bei ähnlichen Begegnungen schon erlebt haben? Ob die Männer sie im Vorübergehen verbal bedrängt haben und ob die Frauen nun durch das Niederschlagen der Augen verhindern wollen, dass ihnen das jetzt wieder passiert. Das würde ich zu gerne mal herausfinden. Wobei nicht auszuschließen ist, dass das Niederschlagen der Augen etwas anderes bedeutet. Vielleicht sogar das Gegenteil von Vermeiden, wie jemand denken könnte, der einer paradoxalen Psychologie anhängt. Wenn das so wäre, dann würden die betreffende Frauen das natürlich nie zugeben. Aber da ich das für unwahrscheinlich halte, da ich eher darauf tippe, dass sie schon unangenehme Erfahrungen gemacht haben beim Vorübergehen an Männern wie mir, werde ich diese Erfahrungen um eine bizarre Erfahrung bereichern: indem ich bei nächster Gelegenheit eine solche Frau fragen werde, warum sie vor mir gerade die Augen niedergeschlagen hat, obwohl ich durch nichts ihr in Aussicht gestellt habe, dass ich mich für sie interessiere. Sondern jetzt erst interessiere ich mich - nein, keine Angst! Nicht für Sie. Für den Grund, warum Sie gerade den Blick gesenkt haben.