Samstag, 19. März 2011

Dame

Nun doch. Die Dame malt nicht selbst, wie ich irrtümlich angenommen habe, weil ich wieder einmal zu schnell war beim Googeln. Sie hat 30 Jahre lang für die Freie und Hansestadt gearbeitet, wie sie sagt. Kunsthistorikerin ist sie. Hat an der Kunstakademie gelehrt. Mit ihrer Galerie setzt sie ihre Arbeit fort, indem sie ausstellt und fördert junge KünstlerInnen: Maler, Designer, Modedesigner, Fotografen. Das ermöglicht ihr die Pension, die sie bezieht. Leben könnte sie von der Galerie nicht. Wenn sie das müsste, sagt sie, dann müsste ich – sie deutet zum Schaufenster – da draußen stehen. Dabei zeigt sie, wie sie da draußen müsste, indem sie eine hohle Hand formt und sie vor sich hält zur Bettelgeste. – Sie hat ein sehr kultiviertes, angenehmes Äußeres. Sie trägt eine enge schwarze Hose, schwarze Stiefeletten und eine violette körperbetonte kurze Kostümjacke. Sie ist schlank, ohne runtergehungert zu sein. Ihr noch nicht ganz ergrautes Haar ist gescheitelt und in dicken Strähnen nach hinten gekämmt. Hageres Gesicht. Sie war einmal auf eine strenge Art hübsch. Rote auf der Nasenspitze sitzende Lesebrille. Kleine Augen. Kalte Augen. Was sich vielleicht ändern würde, wenn sie lächelt. Sie hat nicht ein Mal gelächelt in den 15 Minuten meines Besuchs. Sie wusste wahrscheinlich nicht, was sie von mir halten soll. Weil ich nicht wusste, was ich von ihr will. Hingegangen im Auftrag des Blogs. Warum, lasse ich aus Gründen der Diskretion weg. Nachdem ich sie förmlich mit Handschlag begrüßt und mich mit meinem Namen vorgestellt hatte, habe ich auf diese Gründe Bezug genommen. Damit ist sie – leicht gequält - souverän umgegangen. Ich habe ihr allerdings nicht von dem Blog und dem Auftrag des Blogs erzählt. Ich habe den Eindruck erweckt, es sei mir ein persönliches Anliegen, sie auf besagte Gründe anzusprechen. Das war nicht ganz korrekt. Andererseits war es der Fall eines überfallartigen Interviews, wie ich es schon seit längerem plane, ohne mir im Klaren darüber zu sein, wie das gehen soll. Das kann ich nur herausfinden, indem ich überfallartige Interviews mache. Bei diesem ersten überfallartigen Interview hat sich gezeigt, dass ich grundsätzlich zu entscheiden habe, ob ich mein Gegenüber darüber informiere, was ich gerade mit ihm mache, ein Interview, oder ob es besser ist. ihn darüber im Unklaren zu lassen, um ihm nicht seine Authentizität zu nehmen. – Im Fall der Dame spielte das keine Rolle, da ich wegen Diskretion das Interview nicht wiedergebe. Wozu habe ich es dann überhaupt gemacht? – Damit es gemacht ist. Und um zu üben, kann ich im Nachhinein sagen. Nachdem das Interview beendet war, von dem die Dame nicht wusste, dass es eines ist, dabei aber trotzdem eine gute Figur gemacht hat, danach war ich nur mehr ein Besucher ihrer Galerie. Die gibt es seit vier Jahren. In dieser Zeit hat die Dame 30 Ausstellungen gemacht. Dreißig! – Sie sitzt an einem kleinen Tisch. Vor sich ein Notebook, ein weißes iBook. Das schaltet sie jetzt ein. In diesem Moment leuchtet das Apple-Icon auf, das sich auf der Rückseite des Bildschirms befindet. Ich sehe das zum ersten Mal in meinem Leben, da ich nicht so viele Leute kenne, die iBooks haben, und ich denke: Was für ein Tinnef, Mr. Jobs! Daran ist zu erkennen, dass ich die Firma Apple nicht leiden kann, aber auch wie wenig entspannt ich an diesem Nachmittag war, denn eigentlich habe ich eine Schwäche für elektronischen Schnickschnack. So wenig entspannt bin ich, weil ich spüre, dass das nicht stimmt und überhaupt nicht losgeht, was ich da treibe in der Galerie – obwohl mir da noch nicht klar ist, dass ich das Interview mit der Dame wegen Diskretion nicht werde verwenden können. Noch denke ich, dass ich gleich nach Hause gehen und darüber schreiben werde. Und deshalb schludere ich im zweiten Teil des Galeriebesuchs. Als die Dame mir im Archiv ihrer Website einen Überblick gibt über die Künstler, die sie schon ausgestellt hat, gelingt es mir noch, Interesse zu zeigen. Doch als sie aufsteht und zu einem Beistelltisch geht, auf dem Kopien ausliegen mit den Daten zur Person der Künstlerin, deren Bilder sie zur Zeit ausstellt, und als sie mir eine solche Kopie geben will, da winke ich ab mit der Begründung, dass ich das doch nicht lesen werde. Verkennend, dass das Annehmen des Blattes der Ausgangspunkt dafür gewesen wäre, nun über die Künstlerin und ihre Malerei zu sprechen – und damit der Dame die Gelegenheit zu geben, endlich einmal wieder zu tun, wozu sie stundenlang rumsitzt in der kleinen Galerie, bestimmt an vielen Tagen vergeblich: nämlich die Bilder der von ihr durch die Ausstellung geförderten Künstlerin zu präsentieren. Durch meine gedankenlose Weigerung, das Informationsblatt anzunehmen, habe ich sie also daran gehindert, ihre Arbeit als Galeristin zu machen. Deshalb durfte ich mich nicht wundern, dass sie mir darauf brüsk die Hand hinstreckte, um mich zu verabschieden. Ich habe mich aber darüber gewundert und mich brüskiert gefühlt. Hinterher noch gedacht, dass sie in mir einen möglichen Käufer gesehen hat und kaum, dass sich zeigte, dass ich das nicht bin, hat sie das Interesse an mir verloren. Aber als was hätte sie mich denn auch sonst sehen sollen? Als der Blogger, der ein überfallartiges Interview mit ihr macht, hatte ich mich ihr schließlich nicht vorgestellt.