Vielleicht fällt mir heute nichts ein. Es ist auch zu schön draußen. Die sympathische Power-Bloggerin von Les Mads hat den ersten Frühlingstag gestern begrüßt mit einem blaugrauen Outfit und angefangen, sich an die Vorzüge ihrer um 15 cm gekürzten Mähne zu gewöhnen. Ich habe nachmittags einen langen Besorgungsgang gemacht - zur Musikbibliothek in der Spichernstraße, zu Kaiser´s am Nollendorfplatz - und wollte gar nicht mehr nach Hause, draußen vor einem Café sitzen aber auch nicht. Peter hat einen Hexenschuss – auch das noch – und hat es nicht mal geschafft seine Unterhose zu wechseln, solche Schmerzen hat er bei jeder Bewegung. Keine Chance, raus zu gehen. Am Donnerstag muss er aber. Das würde keinen guten Eindruck machen, wenn er den Termin verschiebt beim Psychiater zur erweiterten amtsärztlichen Untersuchung; Beurteilung seiner Arbeitsfähigkeit. Gestern hat er wegen der Rückkehr an seinen Arbeitsplatz mit seinem obersten Chef telefoniert. Der sagte, die Entscheidung darüber wollen wir den Ärzten überlassen. Peter hat den Eindruck, die wollen ihn loswerden. Den habe ich schon seit längerem. – Wie konnte es so weit kommen? – Den Termin morgen abwarten; hoffentlich schafft er es hinzugehen. Danach Peter mal befragen, wie das im Einzelnen gelaufen ist seit seiner Krankmeldung im Frühsommer letzten Jahres. Und warum noch mal genau die Krankmeldung? - Alle Fakten. Die ganze Geschichte rekonstruieren. Nicht nur aus Neugier, sondern vor allem, um Peter zu unterstützen beim Kampf um seinen Arbeitsplatz, wenn er um ihn kämpfen muss. – Und was mache ich heute? – Raus gehen, sobald das Waschprogramm durchgelaufen und die Wäsche aufgehängt ist - raus, gucken, was die Anderen machen am zweiten Frühlingstag. Wenn ich nur schon wüsste, in welche Richtung gehen. Was unterwegs denken, weiß ich schon. Die Gedanken weiter verfolgen von heute Früh; gleich nach dem Aufwachen gedacht an den Satz, der mir so gefallen hat vorgestern: ich schreibe mir ein neues Leben. Wie soll das gehen? – Indem ich mir eine neue Rolle schreibe und mit der agiere? – Erst sie mir schreibe, dann mit ihr agiere? – Doch eher umgekehrt. Oder gleichzeitig? – Die Leere solcher konzeptioneller Überlegungen, an denen ich nun aber mal hänge. Es soll immer schön aufgeräumt sein in meinem Bewusstsein. Wie bei einer unausgelasteten Hausfrau, die ständig putzt und wenn nichts mehr zu putzen ist, stellt sie die Möbel um. Kommt dann der Mann am Abend nach Hause, ist sie wegen des Möbelumstellens nicht zum Kochen gekommen. Da sagt sie: Es gibt heute nichts zu essen, aber guck mal, Schatz, ich bin nackt.
Nachmittag. Kein zweiter Frühlingstag, ein sonniger Wintertag. Mantel wäre nicht verkehrt gewesen. Während ich mit der Nachbarin rede, ziehe ich den Reißverschluss der Lederjacke zu. Die Nachbarin kommt früh von der Arbeit, will nur schnell nach Hause, ihren und den anderen Hund aus dem Haus abholen und dann mit den beiden in den Wald. Sie freut sich schon auf die Atmosphäre da. Auf die anderen Leute mit ihren Hunden, die da schon am frühen Nachmittag sind. Alle sind sie so entspannt. Alles Leute, die nicht arbeiten müssen. - Ruheständler? – Nein, junge Leute. – Arbeitslos? – Nein, eher nicht. – Erben? - Weiß ich nicht. Die Hunde sehen jedenfalls nach Geld aus. – Na, dann mal los! – Hätte eigentlich fragen können, ob sie mich mitnimmt in den Wald. Hunde gucken, die nach Geld aussehen. Wäre besser gewesen, als nun auf einem weiten Umweg zum Volkspark zu gehen, alleine, und deshalb nicht auf andere Gedanken zu kommen. Gedanken, die ich mir mache wegen des Rücktritts von Guttenberg. Einerseits gut, dass er heute Morgen zurückgetreten ist, nicht erst am Nachmittag, und ich nun Zeit genug habe, meine Planung umzustellen. Trotzdem blöd, dass ich jetzt meinen Text vom Vormittag wegwerfen kann. Es ist mir nämlich doch noch was eingefallen. Ein Text über die nicht enden wollende Anti-Guttenberg-Kampagne der von mir bevorzugt gelesenen deutschen Presse – SPIEGEL ONLINE und sueddeutsche.de. Text mit Vorschlägen zu einer erweiterten Betrachtung des Promotionsbetrugs: zum Betrügen gehören zwei, immer auch jemand, der sich betrügen lässt, und: Discount-Doktoren, Begriff gelernt heute in der Neuen Zürcher Zeitung. Dann, nachdem ich den Text geschrieben hatte, kurz noch mal ins Internet gegangen, bei SPIEGEL ONLINE reingeschaut, beim Reinklicken noch gedacht, wenn da jetzt steht, dass Guttenberg zurückgetreten ist, dann kann ich den Text wegschmeißen, und im nächsten Moment sehe ich schon: Guttenberg zurückgetreten. Lakonische Überschrift: Copy, paste, delete. - Eineinhalb Stunden Arbeit umsonst. Eine erweiterte Betrachtung des Falls braucht jetzt keiner mehr. Fall ist abgeschlossen. Bild.de macht großflächig auf mit Schlagzeilen auf schwarzem Grund. Das ist übertrieben. Er darf doch wieder kommen in zwei, drei Jahren. Das sagen alle. Und in der Zwischenzeit kann er noch mal promovieren. Aber dann nicht in Bayreuth, wo man ein summa cum laude nur so nachgeworfen bekommt, sondern in – Harvard zum Beispiel. Das wäre es doch. Da kann er es allen zeigen. – Während sich mir gezeigt hat heute: du wolltest so einen Text mit Anregungen oder Vorschlägen oder Ratschlägen, also einen Kommentar, nie schreiben, und das hast du jetzt davon, dass du es trotzdem gemacht hast, anstatt deine kleinen unbedeutenden Geschichten zu erzählen – so lange, bis sie irgendwann mal was bedeuten. Am Ende ist dann noch eine kleine Geschichte daraus geworden. Blöde Geschichte. Aber was konnte ich schon erwarten, wenn ich um 11 Uhr schreibe: Vielleicht fällt mir heute nichts ein.