Mittwoch, 9. März 2011
Betriebsstörung
Aus den Zuflüssen zum Schwimmbecken kommt es schwallartig schwarz heraus. Bernd, der gute Bekannte, mit dem pädagogischen Einfluss auf mich, macht am Fenster seine Dehnübungen, die er immer macht nach dem Schwimmen. – Bernd! Bernd! Guck mal, was da los ist!– Bernd kommt und guckt und sagt, komm lieber mal raus aus dem Wasser. Dann winkt er in Richtung der SchwimmeisterInnen, die sich gerade am anderen Ende der Halle aufhalten. – Sie bemerken sein und jetzt auch mein aufgeregtes Winken und kommen ohne Eile her. Sie kennen das schon. Das ist Aktivkohle, die durch die Filter schlägt, sagt einer. Aktivkohle. Die tut niemandem was. Trotzdem: Alle sofort das Becken verlassen, weil sie uns im geschwärzten Wasser nicht richtig sehen und somit nicht mehr unsere Sicherheit garantieren können. Wie sie das schaffen wollen, wenn sie sich allesamt am entgegengesetzten Ende des 50-Meter-Beckens befinden – das sind Feinheiten des Schwimmmeisterberufs, von denen ein Badegast keine Ahnung hat (So dumm wie´n Badegast, sagt Gesine Cresspahl bei Uwe Johnson, Jahrestage). – Erinnerung, wie wir mal im Hallenbad in der Hauptstraße das Becken verlassen mussten, als erhöhte Keimbelastung festgestellt worden war. Ein anderes Mal, das war nachmittags, mussten alle das Becken verlassen, weil ein Kleinkind ins Planschbecken geschissen hatte. Der Erziehungsberechtigte mit dem Kind hatte sich verdrückt. Und die Schwimmmeister standen mit griesgrämigen Mienen um die im Wasser schaukelnde Kinderscheiße herum. Machten griesgrämige Gesichter gewissermaßen um die Wette, weil offenbar noch nicht entschieden war, wer von ihnen den Kinderkot würde entfernen müssen. Das war lustig. Da konnte man sich gar nicht richtig ärgern darüber. Heute war es nicht lustig, aber geärgert hat sich auch niemand. Riesenandrang unter der Dusche, nachdem alle auf einmal das Schwimmen beendet hatten. Dennoch der Stammduschplatz des sympathischen Sachsen und mein Stammplatz neben ihm frei. Bei meinem Stammplatz kann es schon mal vorkommen, dass er von einem anderen besetzt ist, bei dem des sympathischen Sachsen nie, bemerke ich zu ihm. Sie stehen ja hier auch schon seit dem Tag der Währungsreform, sage ich. - Mildes Lächeln des Sachsen. Während der rechts neben dem Sachsen duschende Mann meint, dass es da langsam Zeit wird für die Anbringung eines Messingschildchens mit seinem Namen. Wie Otto Sander eines hat in der Paris Bar. Wenn man ein Messingschild mit seinem Namen in der Paris Bar oder im Hallenbad am Sachsendamm hat, dann hat man es in Berlin geschafft, sage ich und niemand widerspricht mir. – Am Ausgang steht der bei uns allen beliebte Kassierer in seinen kurzen Hosen schon bereit, um Freischeine zu verteilen an jeden, der wegen der Betriebsstörung nicht auf seine Kosten gekommen ist wie ich, der gerade mal 200 Meter geschwommen war, als sie losging. – Auf dem Rückweg merke ich, dass mein Mut wieder da ist. Vier Tage war er weg, von Samstag an, als mir klar geworden war, dass die Gönnerin diesen Monat nicht überwiesen hat und auch nicht überweisen wird, weil sie anscheinend nicht mehr will, warum weiß ich nicht. Erfahre ich auch nicht, da sie nicht zu erreichen ist. Würde ich an ihrer Stelle vielleicht, aber auch nur vielleicht. genauso machen: die vollendete Tatsache sprechen lassen. – Die Tatsache sagt: Keine Ahnung, wie es finanziell weitergehen soll. Was schon reicht für eine Existenzkrise. Aber dann ist in die finanzielle Tatsache auch noch die emotionale Tatsache eingewickelt. Die Ablehnung. - Erlebe ich auch noch etwas anderes als Ablehnung? – Kein selbstmitleidiger Seufzer. Eine ganz sachliche Frage. – Antwort: Das hast du dir selbst zuzuschreiben. So ist es nun mal, wenn man nicht gefällig ist und verlogen und meint, es immer gerade so machen zu müssen, wie es einem einfällt. Das muss man sich nämlich leisten können. – Ich kann es mir nicht leisten. Aber habe ich denn eine Alternative zu mir selbst? fragt der neue Mut und dann fange ich auch schon an mir zu überlegen, worüber ich heute schreiben werde. Über die neueste Entwicklung bei Peter? Oder über den jungen Bürger Großkotz? – Das lieber an einem der nächsten Tage. Heute über die Betriebsstörung, entscheide ich, und darüber, dass der Mut zurückgekehrt ist, und zum Schluss: Ich werde weiter so sein und schreiben, wie es mir passt – und alles tun, was nötig ist, um es mir leisten zu können. Und wenn ich dafür betteln gehen muss.