Montag, 7. März 2011

Betteln

Am Eingang der Kaiser-Wilhelm-Passage zwei Penner. So sagt man eben. Kein Mensch sagt Obdachlose oder Unsesshafte. Nomaden wäre nicht schlecht, aber das sagt man schon gar nicht. Die beiden Penner haben sich häuslich eingerichtet auf dem sicher sehr kalten Plattenboden der Passage. Sie lagern mehr, als dass sie sitzen. Auf Decken. Für ihren großen schwarzen Hund gibt es auch eine Decke. Er vertritt sich gerade die Beine, als ich vorübergehe. Für den Hund steht eine große Schale mit Wasser bereit. Die beiden Männer trinken Flaschenbier. Verwegen aussehende Kerle. Mitte, Ende 40. Wer gibt denen Geld? Und wie ist das: Wird man Penner unter anderem deshalb, weil man am hellen Tag schon Alkohol trinkt? Oder muss man, wenn man Penner geworden ist, am hellen Tag schon Alkohol trinken, um das Pennersein zu ertragen?

Die große blonde junge Frau mit dem blassen Gesicht, die mich neulich nicht angebettelt hat, einen jungen Handwerker, der ihr kurz darauf entgegen kam, aber schon. Die hat letzte Woche, als ich die Straße überquerte, bereits gewartet auf mich auf der anderen Straßenseite. An der Ampel stehend hat sie mich nach 50 Cent gefragt und dabei genauso grimassierend ihre Verlegenheit überspielt wie neulich, als sie den jungen Handwerker angesprochen hat. Wie der habe ich darauf gesagt, mal sehen, ob ich 50 Cent habe. Hatte dann aber nur ein Euro-Stück und habe gesagt: Ich muss Ihnen einen Euro geben. – Sie hat das Geldstück genommen, einen Knicks angedeutet und dabei wieder eine Grimasse gemacht mit ihrem flachen blassen Gesicht. – Sie ist sehr dünn und ärmlich gekleidet, aber nicht abgerissen. Sie hatte wieder den mehr scheußlichen als rührenden Plastikrucksack bei sich. Pinkfarben kariert. So einen Rucksack kauft sich niemand. So einen schlechten Geschmack kann niemand haben. Den Rucksack hat sie vermutlich von einer karitativen Einrichtung bekommen. – Warum muss sie betteln? – Ist sie ein Junkie? Oder hat sie zuletzt viel Pech gehabt? – Heute kommt sie mir auf der Hauptstraße entgegen. Sie schaut an mir vorbei und geht auf einen jungen Mann zu. Ich höre, wie sie ihn um 50 Cent bittet, und beobachte, wie sie dabei ihre Grimasse schneidet. Sie bettelt gewohnheitsmäßig, professionell. Ihr Grimassieren war zu Anfang Verlegenheit, jetzt ist es ihr Arbeitsstil. Bestimmt hat sie mich wiedererkannt und sich daran erinnert, dass ich ihr letzte Woche doppelt so viel, wie von ihr erbeten, gegeben habe. Sie hat Überblick. Sie bewegt sich nicht so energielos und ferngesteuert wie ein Junkie. Sie ist in Not. Sie muss betteln gehen. Und das macht sie gut.

Almosen sind Trinkgeld für den lieben Gott, habe ich mal gelesen (*). – Aber ist er denn auch dankbar?

(*) Gelesen im Roman einer mexikanischen Autorin, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Ich weiß nur noch, dass sie in Mexico City lebte und ermordet wurde.