Samstag, 7. Mai 2011

Bedrohung

Der Münchner Journalist Claus Vester hat vom Axel-Springer-Verlag eine Rechnung über 500 Euro geschickt bekommen, weil er auf seiner Kinderbuchwebsite  Erlebnis Lesen ein 397 Zeichen langes Zitat aus einer Buchrezension wiedergegeben hat. Vester ist selbst mal gegen die Verwendung einer Passage aus einem seiner Texte vorgegangen, gerichtlich, und damit gescheitert. Deshalb, so heißt es in einem Text von Telepolis über den Vorgang, denkt er nach eigenen Angaben nicht daran, der automatisiert erstellt wirkenden Forderung nachzukommen und fragt sich stattdessen, wie man im vorliegenden Fall wohl die Schöpfungshöhe und andere rechtlich relevante Umstände geprüft hat. Um diese entspannte Logik kann ich den Münchner Journalisten nur beneiden. Denn noch während ich das lese und mich über das Vorgehen des Axel-Springer-Verlages wundere, bricht bei mir im Hintergrund das panische Denken aus: Wo habe ich Die Welt und die Bildzeitung zitiert? Wie lange liegt das zurück? Was können da für Forderungen auf mich zukommen? Wie beuge ich dem vor? Soll ich die Zitate löschen? Oder soll ich sie, um die betroffenen Postings nicht zu zerstören, nur durchstreichen? Auf jeden Fall muss ich sofort reagieren. Heute darüber schreiben. Klar machen, dass ich nie wieder Die Welt und die Bildzeitung zitieren werde. Ob das dem Axel-Springer-Verlag reichen wird? Sie haben ihre Lizenzforderung an den Münchner Journalisten bemessen nicht an der Länge des Zitats, sondern nach der Dauer der Verwendung: 300 Euro für bis zu 12 Monate, 400 Euro für bis zu 36 und 500 Euro für alles darüber hinaus. Auf welcher Rechtsgrundlage? Da wird ihre Rechtsabteilung schon eine gefunden haben. Es bloß nicht so weit kommen lassen, dass ich mit denen ihrer Rechtsabteilung zu tun kriege. Da nützt es nichts, wenn ich denen erzähle, wovon ich monatlich lebe. Denen geht es nicht ums Geld, denen geht es um die Durchsetzung ihres Rechtsempfindens, das ist eine Kampfmaßnahme gegen die Kostenloskultur im Internet. Kulturkampf. Da kann ich darüber denken, wie ich will, 500 Euro könnte ich nicht bezahlen. Was mache ich? Mit Streichen ist es nicht getan, die Zitate haben in meinem Blog gestanden, das Internet vergisst nichts. Soll ich anrufen bei der Verlagsmitarbeiterin, die mit den Lizenzforderungen betraut ist? Einfach fragen, ob das okay ist, wie ich die Zitate verwendet habe – Kontext bei mir schließlich immer: ich schreibe über mein Leben, und dazu gehört nun mal auch die Lektüre von Artikeln aus Die Welt und der Bildzeitung. Aber das sind für die Spitzfindigkeiten, darauf werden die nicht eingehen, denen geht es nur darum, ihr Rechtsempfinden durchzusetzen, das ist ein Kulturkampf. An dem würde ich auch gerne teilnehmen, aber ich kann es mir nicht leisten. Am Ende mache ich nur aufmerksam auf mich und auf die Zitate aus Springer-Zeitungen in meinem Blog, wenn ich da anrufe. Der teuerste Anruf meines Lebens. Zwei Zitate aus Die Welt sind es, Bild-Zitate überblicke ich nicht. Das Poschardt-Zitat in Zeitraffer ist kurz und ein klarer Fall von ich schreibe über mein Leben, in diesem Fall über meine Morgenlektüre. Anders ist es bei Ballerinarock. Da zitiere ich einen Artikel aus Die Welt, um eine Argumentation zu dokumentieren, der zufolge Mode Kunst ist. Hinterher äußere ich mich lobend über das Welt-Feuilleton: Ein Feuilleton, in dem so etwas steht, kann nicht so schlecht sein, wie es immer hingestellt wird, schreibe ich. Die Rechtsabteilung wird das nicht beeindrucken. Rechtsempfinden. Kulturkampf. Gestern Abend habe ich meinen Facebook-Account gelöscht, weil mich die soundsovielte Benachrichtigung, ich hätte soundsoviele notifications, die ich aber alle schon längst gelesen hatte, genervt hat. Aber das hatte ich ohnehin schon im Kopf, den Account zu löschen, weil ich mich nicht präsentieren will mit einer Facebook-Seite, auf der ich seit fast einem Jahr nicht mehr aktiv bin. Meinen Blog werde ich nicht löschen. Aber wenn ich nicht zahlen kann für die Zitate, dann kriegen sie als Schadensersatz den Titel meines Blogs zugesprochen vom Gericht und versteigern ihn auf eBay und den Betrag, den sie damit erlösen, den stiften sie für einen wohltätigen Zweck, und mein Blog-Titel ist weg und so einen schönen Titel werde ich nicht mehr finden. Und das alles wegen dieses verfluchten Telepolis-Artikels, auf den ich aufmerksam geworden bin auf perlentaucher.de heute Morgen. Die Aufregung, meine ich mit das alles. Denn die Bedrohung bleibt. Das einzige, was ich tun kann: die zwei Zitate durchstreichen; ungeschehen machen kann ich sie nicht. Und künftig werde ich keine Zitate aus Publikationen des Axel-Springer-Verlags mehr verwenden. Meinem Hang zum Trotz folgend, würde ich am liebsten hinzufügen, dass ich sie auch nicht mehr lesen werde, doch das ist wegen der Wichtigkeit der Bildzeitung nicht möglich. Was mir allerdings schon seit längerem durch den Kopf geht, das ist, auf die Feuilleton-Lektüre zu verzichten. Wie viel Nützliches und Schönes könnte ich in der Zeit machen, die ich damit verbringe. - Kein Feuilleton mehr lesen. So am Kulturkampf teilnehmen. Auf eine Art, die ich mir leisten kann.