Er kaut, als ich reinkomme in den Laden. – Störe ich beim Essen? Ich kann ein andermal wieder kommen. – Dann aber erst Ende Juli. Im Moment hat er nämlich ganz andere Probleme und davon viele. – Geschäftlich? – Auch. – Ich hake nicht nach. Ich nehme an, er hat die gleichen Probleme wie ich. GELD. GELD. GELD. – Ich frage ihn, ob er dazu gekommen ist, in meinen Blog reinzuschauen. – Keine Zeit gehabt. Vor sich hat er eine aufgeschlagene Tageszeitung liegen, die aussieht wie die Berliner Zeitung. – Wäre es besser für ihn, wenn ich ihm was ausdrucken würde aus meinem Blog, damit er weiß, mit wem er es zu tun hat? – Das wäre am besten. – Ich erkläre ihm, dass mein Blog nicht wie so ein Lokal-Blättchen ist, wo er eine Anzeige schalten muss und dann schreibe ich einen Gefälligkeitsartikel, sondern …. – Er weiß schon. wie Blogs sind, sagt er. Aber es gibt viele Arten von Blogs. Welche, in denen man erfährt, welcher Star gerade welche Unterhosen trägt, oder Blogs, in denen sich über die Brötchen beim Bäcker an der Ecke beschwert wird. – Ich denke, dass mein Blog eher so einer mit den Brötchen ist, und sage, obwohl ich es bald nicht mehr hören kann, wie ich das sage, dass ich über mein Leben blogge und in meinem Leben ist es so, dass ich gerade in seinem Laden stehe, das immer noch für eine gute Idee halte, über ihn zu schreiben, dass ich im Augenblick nur nicht weiß, wie das gehen soll, weil er nicht nur so mürrisch ist, dass es schon wieder gut ist, sondern auch abweisend. Er sagt, dass die Leute in der Akazienstraße, wenn, dann nur mit ihresgleichen reden. Die Kaffeetrinker dort drüben – Kopfbewegung Richtung DoubleEye auf der anderen Straßenseite – reden nur mit den Kaffeetrinkern, die Biertrinker reden nur mit den Biertrinkern etc. und dann erzählen sie sich 40 Jahre alte Geschichten oder wie schlau ihre Kinder sind oder was sie für tolle Sachen machen wollen, aber die machen sie nie. Und in anderen Stadtteilen ist das anders, meint er.– Ich frage, wo denn? – Prenzlauer Berg, Friedrichshain zum Beispiel. – Hat er da denn auch geschäftlich zu tun? – Ja, aber das braucht hier niemand zu wissen, was er da macht. – Er steht sonntags auf dem Flohmarkt am Mauerpark, habe ich gehört. Verkauft er da seine Platten? – Er verkauft keine Platten mehr. Aber was er statt der Platten verkauft auf dem Flohmarkt, das will er mir nicht sagen. – Es ist mir ehrlich gesagt auch egal, was er da verkauft, ich will nur mit ihm reden, weil ich ihm stundenlang zuhören könnte, wie er über die Leute in der Akazienstraße herzieht, und irgendwann würde dann bestimmt auch klar werden, warum er so verbittert ist, oder er ist gar nicht verbittert, es ist nur seine Art sich zu äußern. Stundenlang zuhören ist aber heute nicht. Es entstehen Pausen. In denen müsste ich ihm gute Fragen stellen. Es fallen mir keine ein. Ich muss mich erst an ihn gewöhnen. Immerhin erfahre ich, dass er den Laden in der Akazienstraße seit 14 Jahren hat und seit 6 Jahren keine Platten mehr verkauft, sondern Bags, Sunglasses, Shirts, Accessoires, wie auf seiner Visitenkarte steht. Die hat er mir gegeben, nachdem ich ihm meinen Vornamen genannt und ihn nach seinem gefragt habe. Wortlos hat er mir die Karte gegeben. Auch, um mich loszuwerden. Denn er ist schon seit 8 Uhr unterwegs, inzwischen ist es halb eins und er will jetzt ungestört weiter essen. Er heißt Norbert und das habe ich noch rausgekriegt, bevor ich gegangen bin: er ist ein Jahr älter als ich. Jahrgang 1951. Da wird er dieses Jahr 60 oder ist es schon, aber das sieht man ihm nicht an.
Nachdem ich noch bei zwei anderen Adressen war und unterwegs lange mit der süßen Annika geredet habe, sehe ich Norbert auf dem Rückweg noch mal. Er sitzt vor dem Laden nebenan, unterhält sich mit einer Kollegin und hat bessere Laune. Wir nicken uns lächelnd zu. Und das ist jetzt das erste Mal seit 14 Jahren, dass ich da vorbei komme und wir uns freundlich grüßen. Wir werden bestimmt weiterreden miteinander, aber unbelastet davon, dass ich über seinen Laden schreiben will. Das Wichtigste über den Laden steht hier:
Schönebag
Bags, Sunglasses, Shirts, Accessoires.
Akazienstraße 8
10823 Berlin
Noch anzumerken: Accessoires heißt Krimskrams, heißt tausend verschiedenerlei Sachen. Macht bestimmt Spaß da zu stöbern. Wenn ich ein Geschenk bräuchte, zum Bespiel für Annika, die ich so gut nun auch wieder nicht kenne, so dass es mich schon überrascht, dass sie mich zu ihrer Verlobungsfeier einlädt, dann würde ich in den Laden von Norbert gehen und ganz sicher etwas finden, das nicht nur ihr, sondern auch ihrer Liebsten gefällt, die ich erst bei der Verlobungsfeier kennenlernen werde.