Links die Kneipe, der Felsenkeller, rechts der Lotto-, Tabakwaren- und Zeitungsladen. Den hat der Hamburger ein halbes Jahr vor seinem Tod an die Leute verkauft, die in der Hauptstraße Kaiser Kiosk machen: 24 Stunden für Sie geöffnet, 25 Stunden für Sie da. Wenn man da Kunde ist, weiß man, es ist was dran an diesem Spruch. Denn sie sind selbst für türkische Verhältnisse unwahrscheinlich freundlich: Serhat (25), deutsche Mama, türkischer Papa, Oguzhan (21) und ihre Mitarbeiterin, die Frau mit dem Kopftuch, die ich noch nicht nach ihrem Namen gefragt habe, von der ich nur weiß, dass sie so alt ist wie Oguzhan. Was ich allerdings weiß: wie viel sie dem Hamburger bezahlt haben für seinen Laden. Ich habe Erhat damals versprochen, es nicht weiterzusagen, daher nur, wie ich mich rangefragt habe, um es rauszukriegen: Mehr als 50.000? – Ja. – Mehr als 100.000? – Nein. – Auf Wunsch des Hamburgers haben ihn die neuen Besitzer den Laden noch bis Jahresende weiterführen lassen, danach wollten sie die Räumlichkeiten umbauen, haben sie dann doch nicht gemacht, Anfang April haben sie eröffnet. Wände grün gestrichen. Neue Theke. Völlig anderer Eindruck. Heller. Frischer. Ganz andere Welt. Ganz anderer Umgang als mit dem Hamburger sowieso.
Am Freitag will ich gerade reingehen in den Laden, um Zigaretten zu kaufen, da sehe ich Michaela, die eben ihr Fahrrad abstellt. 15.30 Uhr. In einer halben Stunde wird sie ihre Kneipe öffnen. Im Felsenkeller war ich mal Stammgast, weil es dort das bestgezapfte Bier im weiten Umkreis gibt. Und Michaela ist eine von drei Personen gewesen, mit denen ich es gerne zu tun hatte, während ich das Bier trank. Jetzt frage ich sie, wie es sich anlässt mit ihren neuen Nachbarn. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie sagen wird, gut. Ich habe die Frage nur gestellt, um mit ihr ins Gespräch zu kommen über die Jungs, weil ich die mag und mehr über sie erfahren möchte. Werde ich auch gleich. Aber anders als erwartet. Die Jungs seien ganz in Ordnung, aber dann gebe es noch die Onkel. – Die Onkel? – Ihre Geldgeber im Hintergrund. Und mit denen liegen sie und ihr Mann Günter im Streit. Oder ist es nur der eine Onkel? Der, mit dem sie sich so gefetzt hat, dass schon viel passieren muss, dass es wieder gut wird, wie sie meint.
Es geht um die Tische und Stühle, die Günter und Michaela in der schönen Jahreszeit auf den Bürgersteig stellen. Zwei Tische direkt vor die Kneipe. Zwei Tische vor den Laden nebenan. Das war mit dem Hamburger so abgesprochen. Den hat der Kneipenbetrieb vor seiner Tür nie gestört. Allerdings hat er seinen Laden auch schon um 18.30 Uhr zugemacht, wenn der Kneipenbetrieb erst richtig los ging. Während die neuen Besitzer bis 22 Uhr geöffnet haben. Das wahrscheinlich der Grund, warum sie nicht wollen, dass Michaela und Günter weiterhin ihre Tische und Stühle vor ihren Laden stellen. Von dem Onkel, mit dem Michaela sich gefetzt hat, wurde als ein weiterer Grund genannt, dass ihre Gäste Proleten seien. Und da darf man sich nicht wundern, wenn Michaela sich im Gegenzug über Kopftuchmädchen lustig macht, die sich nicht in den Laden trauen, wenn sie an den Alkohol trinkenden Gästen des Felsenkellers vorbeigehen müssen. Außerdem, so Michael, vergessen die Onkel ganz, welchen Umsatz die Alkohol trinkenden Proleten des Felsenkellers ihnen bringen - mit den Rauchwaren, die sie bei ihnen kaufen, und den Lotto-Tippzetteln, die sie bei ihnen abgeben, wenn ihnen nach dem dritten Pils plötzlich einfällt, dass schon wieder Freitag ist. – Kannst du den Tisch, der vor dem Laden stand, denn nicht an den Straßenrand stellen, frage ich. - Michaela: Es waren zwei Tische. Und wenn ich die an den Straßenrand stelle, kriege ich es sofort mit dem Ordnungsamt zu tun, weil: Streng verboten! Und dass ihr dadurch im Sommer das Geschäft kaputt gemacht wird, weil ihr die Hälfte des Umsatzes verloren geht, das interessiert die Leute vom Ordnungsamt ebenso wenig wie die Onkel von nebenan. – Was willst du jetzt machen? – Mal mit den Vermietern reden. Und wenn es dabei bleibt, dann eben aufhören. – Och, Michaela, wie oft hast du das schon gesagt? – Ich mache den Felsenkeller jetzt seit 18 Jahren. Wenn wir jemanden finden, der ihn uns zu einem guten Preis abkauft, sofort. – Vielleicht die Onkel? Diesen Kalauer habe ich ihr erspart und mir vorgenommen, mit den Jungs zu reden, eventuell auch mit den Onkeln im Hintergrund. Hören, was die sagen. Vielleicht vermitteln, indem ich über den Konflikt schreibe.
Doch wie es aussieht, ist da nichts zu vermitteln. Und nicht etwa, weil die Fronten so verhärtet sind. Das sind sie außerdem noch. Aber offenbar nur zwischen Michaela und dem Onkel, mit dem sie sich gestritten hat. Serhat hingegen weiß erst gar nicht, wovon ich rede, als ich ihn heute Nachmittag auf den Fall anspreche. – Mit den Nachbarn ist alles gut, sagt er. – Und das mit den Tischen? – Ach das. Das ist doch kein Fall. Und das ist auch kein Konflikt für Serhat. Das ist eine ganz klare Sache. Als sie den Laden übernommen haben, wussten sie von dem Gewohnheitsrecht des Felsenkellers mit den zwei Tischen. Hatten auch nichts dagegen. Haben es eine Woche lang zugelassen, dass die Tische vor ihrem Laden standen. Aber dann gab es Beschwerden von Kunden. – Warum? – Will er nicht darauf eingehen. Ist auch nicht entscheidend, sagt er. Was für ihn zählt ist die Woche darauf, als die zwei Tische nicht mehr vor ihrem Laden standen und sie spürbar mehr Geschäft hatten. Nicht ein bisschen mehr Geschäft, deutlich mehr. – Oh ja! sagt Oguzhan, der gerade dazu kommt und mich forschend anschaut, weil er sich fragt, auf welcher Seite ich stehe. - Weiß ich noch nicht. Jeder tritt für seine Interessen ein, sagt Serhat und fragt mich dann, wie ich mich verhalten würde, wenn ich ein Geschäft hätte. Ich antworte, dass ich auch für meine Interessen eintreten, mich aber auch um gute nachbarschaftliche Beziehungen bemühen würde. – Klar, sagt Serhat. So machen sie es auch. – Ich frage dann noch nach den Onkeln und will auf die Bemerkung über die Proleten zu sprechen kommen, doch darauf lässt er sich nicht ein. Eine Woche mit Tischen. Zweite Woche ohne Tische. Umsatz in der einen Woche. Umsatz in der zweiten Woche. Darum geht es, sagt er. Um nichts anderes. Geschäft, Umsatz. Das, worum es Michaela und Günter aus dem Felsenkeller auch geht.