Mittwoch, 4. Mai 2011

Makellos

Mit den Bauarbeiten ist es so, dass sie sich hinziehen, heute so lange, dass ich nicht wie gewohnt den Entwurf für diesen Text im Stehen schreiben kann, und das ist schon mal schlecht. Mit der Schönheit ist es so, dass sie von vielen mit Vollkommenheit gleichgesetzt wird, während für andere Schönheit nie ohne Makel, heißt: nur da ist, wo auch Makel ist. So sehe ich das auch und seit ich gestern den SZ-Artikel über den Ursprung der Schönheit  gelesen habe, weiß ich, dass die Evolution das nicht anders sieht. Trotzdem würde ich nie jemandem seinen Schönheitssinn absprechen, für den Schönheit immer nur makellose Schönheit ist und der deshalb das Foto eines geliebten Menschen mit Photoshop bearbeitet in der Absicht, in dem Foto seinen verklärenden Blick nachzustellen.  Das war also nicht der Punkt in dem Streit mit Peter. Der Punkt war, dass ich schlecht drauf war, als ich das Foto gesehen habe, das er verschickt hat am 18. Todestag von Susanne, und dass ich ihm zurück geschrieben habe, dass das Foto mich noch mehr berühren würde, wenn er es nicht mit Photoshop zugeschmiert hätte. Womit ich schon mal nicht so tolerant war, wie ich es gerne wäre - siehe oben: seinen  Schönheitssinn nicht absprechen. Peter hat sich darauf angegriffen gefühlt von mir und hat sich gewehrt, indem er behauptet hat, das Foto sei unbearbeitet. Damit waren wir beim Thema Lügen. Ich war beim Thema Lügen. Er hat mir vorgeworfen, ich sei rechthaberisch – und überhaupt, was ich immer hätte, ihm zu unterstellen, er lüge. Das ist eigentlich schon kurz vor Komödie, dass einer den Vorwurf, er lüge, damit pariert, dass er sagt, der andere sei rechthaberisch. Doch da ich immer noch schlecht drauf war, konnte ich keinen Spaß daran haben zusammen mit Peter. Stattdessen habe ich ihm humorlos dargelegt, dass ich keineswegs rechthaberisch bin, sondern nur so erscheine, weil ich mich so bestimmt (apodiktisch) äußere, tatsächlich aber sei ich jederzeit bereit, etwas dazu zu lernen. Und weil ich gerade so humorlos war, habe ich ihn dann noch gebeten, mir nie wieder ein Foto zu schicken, damit wir uns nie wieder darüber streiten müssen, ob bearbeitet oder nicht. Das war nur so dahin gesagt und ließ auch außer acht, dass ich künftig auch stillschweigend darüber hinweggehen könnte, was er mit seinen Fotos macht, mit jedem Foto macht, wie er mir mal gesagt hat: ich gebe kein Foto unbearbeitet raus. Was ich ihm gleich auch noch vorgehalten habe, dass er mir das mal gesagt hat. Denn mir ging es bei alldem nur noch darum, ob er das Foto bearbeitet hat oder nicht und ob er lügt, wenn er behauptet. es nicht bearbeitet zu haben. Ihm ging es um etwas anderes. Aus einer Mail Peters von vorgestern:
Du unterstellst mir öfter,
ich wäre ein Lügner und Betrüger,
aber dem ist nicht so.
Ich versuche nur,
die Welt so schön zu gestalten,
wie sie mir gefällt.

Immer noch schlecht drauf, war ich nicht gerührt von diesem Bekenntnis, sondern mit der Humorlosigkeit, unter der ich von Tag zu Tag mehr leide, habe ich zurück geschrieben: Klarer als mit diesen sechs Zeilen hättest Du Dich nicht zu Deiner Verlogenheit bekennen können. Und die Erklärung der Motivation dazu, die eine sehr sympathische Motivation ist, hast Du gleich noch mitgeliefert. – Das Einlenken am Ende machte es nicht besser für Peter. Er hatte die Schnauze voll von mir. Das Foto sei nicht bearbeitet und ich könne ihn mal. – Du mich auch, dachte ich. Wir telefonieren ohnehin zu oft miteinander. Und der Streit ist einfach lächerlich. – Aber auch interessant, denke ich mir heute Morgen und notiere den Altherrensatz: Auch wenn ich den Lügner nicht verachte dafür, dass er lügt, und wenn ich seine Verlogenheit als seine Eigenart toleriere, dann bleibt immer noch die Schwierigkeit, dass der Lügner nicht als Lügner dastehen will. – Danach schaue ich mir das Foto von Susanne noch mal an – schönes Foto, berührendes Foto, aufgenommen drei Monate vor ihrem Tod, an einem der letzten Tage, als es ihr noch gut ging. Aber kein Zweifel: es ist bearbeitet – keine Pore sichtbar, das Kinn wie bei einer Porzellanfigur, die Wangen, als käme sie gerade von einem Visagisten, der berühmt ist für sein Zuckerguss-Make-up. - Anruf bei Peter. Lass uns nicht weiter streiten, ob bearbeitet oder nicht. Ich will über unseren Streit schreiben. Und am besten wäre es, die Leser könnten das Foto sehen und es selbst beurteilen. – Meinetwegen kannst du es veröffentlichen, sagt er und dann kommt, was ich mit meiner Verbissenheit von vorgestern als ein Geständnis bezeichnet hätte, jetzt aber, da ich nicht mehr so schlecht drauf bin, einfach nur faszinierend finde - wie Peter die Kurve kriegt von seinem Leugnen weg zu dem Bekenntnis: klar, bearbeitet er jedes Foto, hat er auch schon gemacht, bevor es Photoshop und als es noch keine digitale Fotografie gegeben hat, aber er hat es nur ganz geringfügig bearbeitet, und nicht aus dem Motiv, es zu verfälschen, sondern um Susanne auf dem Foto so aussehen zu lassen, wie er sie damals gesehen hat. Und dann sagt er noch: Die Bearbeitung ist so geringfügig, dass es ihm nachträglich so vorkommt, als habe er gar nichts an dem Foto gemacht. Da muss ich lachen und er auch. Zum Beweis, wie wenig er an dem Foto verändert hat, will er mir gleich noch das Original schicken. Und nachdem er das getan hat, ruft er an und bittet mich, wenn ich über unseren Streit schreibe, doch zuzugeben, dass es legitim ist, Fotos so zu bearbeiten, wie er es mit dem Foto Susannes getan hat. Das ist hiermit geschehen. Und hier sind die beiden Fotos - Original und Bearbeitung.

So ist es, wenn ich im Sitzen schreibe. 17. 52 Uhr: Der Dachdecker ist immer noch nicht fertig. 18.15 Uhr: Jetzt aber. Dämmung auf beiden Balkonen komplett. Tolle Arbeit! Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. - Er geht weiter zur nächsten Baustelle. - Was? Noch kein Feierabend? - Ich mache das auch, um mich abzulenken. - Verstehe. Viel Glück, Daniel!