Dienstag, 10. Mai 2011

Kollege

Riesenkerl. Muss runtergucken, wenn er mir gegenüber steht und mit mir redet. Jetzt hastet er erst mal an mir vorbei. Nickt mir zu.
Na, Großer! Hast es eilig?
Muss zum Arzt.
Was haste?
Kommt die drei Schritte zurück, die er schon weiter gegangen ist: Muss Krebs nachgucken lassen, sagt er.
Du hast Krebs?
Nein, Vorsorge.
Ich schaue auf den dunklen Fleck auf seinem rechten Unterarm.
Er winkt ab: Das ist nichts. Habe ich schon ewig.
Bist du noch an der Volksbühne?
Nickt und sagt: Kollege, 62, hier (fasst sich an den Hals), alles zugewachsen. Halsschlagader. Nichts mehr zu machen. Ist nie zum Arzt gegangen.
Wie alt bist du?
46.
Da musst du doch noch nicht zur Krebsvorsorge.
Ich mach das jetzt.
Wegen dem Kollegen?
Die Ärzte haben zu ihm gesagt, wäre er fünf Jahre früher gekommen, hätten sie ihm noch helfen können.
Das ist ja auch blöd, dass sie ihm das gesagt haben. Jetzt stirbt er nicht nur, jetzt muss er sich auch noch darüber ärgern.
Und wie geht es dir?
Schlecht.
Mir auch.
Tschüs, Großer.

Das Unglück sagt: Du interessierst dich gar nicht für andere Menschen. Du interessierst dich nur für Geschichten.
Stimmt das?
Für sie habe ich mich interessiert, sage ich.
Zu sehr, sagt das Unglück.
Auf die falsche Art, sage ich.
Dir zu viel gedacht dabei.
Zu viel erwartet.
Geträumt.