Dienstag, 17. Mai 2011

Missverständnis

Hauptstraße, an der alten Mauer mit den Plakaten vorbei Richtung Postamt. Ein Paar kommt mir entgegen. Keine Erinnerung mehr, wie die ausgesehen und was die gerade gemacht haben. Nur, dass ich in dem Moment, als ich sie sah, gedacht habe, dass es sich zwischen Männern und Frauen fast immer um ein Missverständnis handelt, weil Frauen etwas anderes wollen als Männer. Wenn es einem Paar gelingt, das Missverständnis aufzuklären, dann werden sie zusammen bleiben und manchmal glücklich sein. Und wenn das Missverständnis weiter besteht, dann ist es so wie es meistens ist: jene Öde der Einsamkeit und der gegenseitigen Beschuldigungen. Noch bevor ich mich fragen kann, ob das stimmt (sicher ja, andererseits auch nicht, weil Verallgemeinerungen immer falsch sind, wenn man nur lange genug über sie nachdenkt), fällt mir der Fall Dominique Strauss-Kahn und das Missverständnis ein, das es zwischen ihm, Chef des Internationalen Währungsfonds und französischem Sozialistenführer, und der Frau aus Guinea gegeben haben mag, die mit ihrem Kind im New Yorker Stadtteil Bronx wohnt und als Zimmermädchen im Luxushotel Sofitel arbeitet, wo der Sozialistenführer in seiner Eigenschaft als Chef des IWF eine 3000 Dollar-Suite bewohnt hat und nackt aus dem Badezimmer kam, in der Absicht, das Zimmermädchen oral zu penetrieren. Wenn es zutrifft, was die 32jährige Frau ausgesagt hat über den Schreck, den ihr der in Frankreich kurz DSK genannte Mann mit seinem Nacktangriff eingejagt hat. Erste beweiskräftige Indizien deuten darauf hin, Gewissheit wird eine DNA-Analyse bringen. Ausgeschlossen wurde bereits die einfachste Form des Missverständnisses: dass der Vorfall sich nur in der Phantasie der Frau ereignet hat, weil DSK zur angegebenen Uhrzeit gar nicht im Hotel war, sondern mit seiner Tochter in einem Restaurant zu Mittag gegessen hat. Ich habe heute Vormittag im anderen Blog schon auf diesem Thema rumgeschrieben, weil ich fasziniert bin von dem Fall. Fasziniert war zunächst davon, dass ein Mann wie DSK so dummgeil sein kann, ein solches Risiko einzugehen, für einen erzwungenen F*** seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Dabei bin ich zu der einzigen und zugleich sehr unschönen Erklärung gekommen, dass er es nicht als ein Risiko angesehen hat, weil die bisherigen Opfer seiner Nacktangriffe ihn in ähnlichen Situationen haben gewähren lassen – wegen der Bedeutung des Mannes – und Stillschweigen bewahrt haben - wegen der paar Geldscheine, die er ihnen danach vermutlich zugesteckt hat. In diesem Fall hätte das Missverständnis darin bestanden, dass DSK von der Frau aus Guinea das Gleiche erwartete, Die aber wusste entweder nichts von seiner Bedeutung und hat in ihm nur einen nackten grauhaarigen Mann mit Fett um Bauch und Hüften gesehen, der genau so gut ein Einbrecher hätte sein können, denn in ihrer – vielleicht naiven – Vorstellung machen das Bewohner von 3000 Dollar-Suiten nicht, Zimmermädchen von ihrer Arbeit abhalten, indem sie ihnen die Unterwäsche vom Leib reißen. Oder die Frau hat ohne Ansehen der Person eine fundamentale Abneigung gegen diese Art sexueller Annäherung, hat ihr Heimatland Guinea vielleicht auch deshalb in Richtung USA verlassen, weil sie es satt hatte, dort immer wieder Angriffen von aus dem Unterholz hervorbrechenden Kerlen ausgesetzt gewesen zu sein, und weil sie bereits Erfahrung mit solchen gewaltsamen Annäherungen hat, wusste sie sich des Angriffs von DSK erfolgreich zu erwehren. Wenn auch nicht sofort mit einem gezielten Tritt, sondern erst nach einem Kampf. Und das bringt mich auf ein weiteres mögliches Missverständnis und auf meine Lieblingsversion des Vorfalles. Es gibt bei den Sympathisanten von DSK die Vermutung, dass er in eine Falle getappt ist. Dass er Opfer einer Intrige des Sarkozy-Lagers wurde, das auf diese Art den aussichtsreichen Konkurrenten bei den französischen Präsidentenwahlen 2012 ausschalten wollte. Diese Version hat großen Unterhaltungswert, aber sie ist zu naheliegend, erkennbar daran, wie viele an sie glauben. Besser gefällt mir die Vorstellung, dass das Zimmermädchen nicht als Lockvogel, sondern in eigener Mission operiert hat. Aus meinem anderen Blog:
Sie hat zuvor gemerkt, dass er scharf auf sie ist, sie hat ihn nicht mal ermutigt, das hat ihn noch schärfer gemacht; sie brauchte nur im richtigen Moment ins Zimmer zu kommen, um sich zu wehren, als er ihr an die Wäsche ging, aber nicht mit aller Kraft, sie hat dafür gesorgt, dass es zu einem Gerangel kam, das genügend Spuren für die folgende Untersuchung hinterlassen hat. Als nächstes muss sie nun den richtigen Moment abpassen, um in Verhandlungen einzutreten mit der Frau von DSK, die nach New York gereist ist mit 1 Million Dollar für die Kaution. Beim Zimmermädchen sind die besser angelegt - dafür, dass sie ihre Anschuldigungen zurücknimmt oder abmildert. Womit sie es dann aber selbst mit der Justiz zu tun kriegen könnte wegen Falschaussage. Deshalb sollte sie besser den dummen geilen Mann seinem Schicksal überlassen und ihr Geld verdienen mit dem Verkauf der Exklusivrechte an ihrer Geschichte. Das reicht ihr, was sie dafür kriegt. - In dieser Version hätte es zwischen dem Sozialistenführer und dem Zimmermädchen nicht nur ein klassisches Missverständnis zwischen Mann und Frau gegeben (er hält sich für erotisch unwiderstehlich, ihr geht es nur ums Geld), es hätte zudem ein politisches Missverständnis gegeben: Er glaubte, es mit einer einfachen Frau aus dem Volk zu tun zu haben, von dem er als charismatischer Sozialistenführer weiß, dass es sich von Leuten wie ihm nach Belieben penetrieren lässt, sie hingegen glaubt nicht an Politik, sie will mit Politikern nichts zu tun haben, sie sucht einfach nur ihr Glück und ihren eigenen Vorteil, wo immer er sich ihr bietet.