15.15 Uhr. Anruf Peters. Er ist gerade von seinem Termin in der Klinik zurück. Befund Knubbel. Es ist ein Haustierkrebs, hat die Ärztin gesagt. – Heißt? – Eine Wucherung, aber nicht streuend. Gutartig. Harmlos. - Hey, Peter! Nix mit Sterben. Jetzt kannst du dir eine neue Rolle suchen. - Weg muss der Knubbel trotzdem, und der kleine Knubbel an der anderen Halsseite auch. Operation am 23. Mai. Der Eingriff nicht ganz ohne, weil hinter dem großen Knubbel liegt die Halsschlagader. – Da müssen die Chirurgen sich eben anstrengen. Und in der Zwischenzeit kannst du schon mal mit dem Saufen aufhören. – Was du immer hast. Du bist der Einzige, der sagt, ich sei Alkoholiker. - Rest des Dialogs lasse ich weg. Ich will nicht über einen Alki schreiben, sage ich zu ihm. Deshalb will ich, dass du aufhörst einer zu sein. Und du willst doch auch kein Alkoholiker sein, sonst würdest du es ja nicht abstreiten, dass du einer bist. – Wenn mich mal jemand mit so einer Idiotenenergie bedrängen würde wegen meiner Rauchsucht, wie ich dem Peter zusetze wegen seines Alkoholismus!
Vor dem Anruf Peters war ich in dem Laden in der Akazienstraße 8. Früher Platten-, jetzt Taschenladen. Auf dem Hinweg habe ich mir überlegt, wie rede ich den Besitzer an. Duze ich ihn? Denn er ist in etwa in meinem Alter und von meiner Lebensart. Oder sage ich besser erst mal Sie zu ihm? Denn er ist Schwabe. Das weiß ich, weil ich habe ihn mal mit dem Besitzer des benachbarten Zeitungsladens schwäbeln hören. Und mit dem, Armin, ist es so gewesen, dass mein Vorschlag, nach langjähriger Geschäftsbeziehung vom Sie zum Du zu wechseln, zu einem solchen Krampf geführt hat, dass ich eines Tages erschöpft zum Bhagwan-Foto hinter Armin hochgeschaut habe, und da habe ich die Stimme von Meister Shree Rajneesh gehört, die mir zuflüsterte: surrender! Scheiß drauf, habe ich da gedacht, jetzt folge ich auch dem Bhagwan, und habe den Herrn Armin wieder gesiezt, bis ich die Geschäftsbeziehung zu ihm abgebrochen habe aus Gründen, die nichts mit Du oder Sie zu tun hatten und jetzt keine Rolle spielen. Jetzt ist nur von Bedeutung, die beiden Nachbarn schwäbeln zusammen und dem einen war das Duzen mit mir nicht selbstverständlich, da wird es dem anderen auch nicht willkommen sein. Sage ich also lieber Sie zu ihm. Zumal unser bisheriger sozialer Kontakt so verlief, dass er konsequent seinen Blick abgewandt hat, wenn er vor seinem Laden stand und mich kommen sah. Konsequent heißt: nicht zufällig gerade woanders hingeguckt hat und das nächste Mal wieder zufällig woanders hin und das hat überhaupt nichts zu bedeuten, auch wenn das drei-, viermal oder fünfmal so war, zufällig eben - nein, seit er diesen Laden hat, seit zehn oder acht Jahren, guckt er woanders hin, wenn ich an ihm vorbeigehe. Keine Ahnung, warum? Weil er etwas gehört hat über mich, was gegen mich spricht? Oder weil ich mich nicht für seinen Laden interessiert habe? Nichts gekauft, nicht mal rumgestöbert habe in seinen Platten und dem Krimskrams, den er außerdem noch verkauft hat. Schwer vorstellbar, wie er mit dem Sortiment so lange Zeit geschäftlich überleben konnte. Muss ein gewiefter Kaufmann sein. Alleine das schon ein Grund, um ihn mal kennenzulernen. Und bei der Gelegenheit gleich noch rauszukriegen, warum er schon seit Jahren wegguckt, wenn er mich sieht. Das ist mir Anfang der Woche eingefallen, dass ich das jetzt mal rausfinden könnte. Deshalb wollte ich am Dienstag bei ihm reinschauen, bin jedoch nicht dazu gekommen, und dann passierte das mit dem Mann in Weiß und seiner Verachtung. Kombiniert mit der Koinzidenz, dass mir gleich darauf noch der Postmeister mit der schwierigen Grüßbeziehung begegnet ist und am Tag darauf die Frau aus dem Gartenhaus, die meinen Gruß nicht erwidert hat, so dass ich mir einbilden könnte, dass die mich auch verachtet, aber ich denke mir, die mag mich nur einfach nicht, und da ich sie auch nicht mag, ist das völlig in Ordnung. Nun könnte ich denken, dass das kein Zufall war, was ich mit dem Mann in Weiß erlebt habe, dass ich das angezogen habe, weil ich mich gerade mit diesem Thema beschäftigt habe. Und dass ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe, das hat seine Gründe in meinem Unbewussten, das dann von mir unbemerkte Signale ausgesendet hat, die dazu führten, dass der Mann in Weiß des Weges kam just in dem Moment, als ich am Dienstagnachmittag das Haus verlassen habe, und ich so seine Verachtung zu spüren kriegen konnte. So starke Signale waren das? – Nä, oder? Wenn das so wäre, dann könnte ich mit dieser Nummer im Zirkus auftreten. Allerdings war der Vorfall mit dem Mann in Weiß und den beiden beiherspielenden Koinzidenzen die beste Vorbereitung für das Gespräch mit dem Besitzer des Taschenladens. Ursprünglich hatte ich nämlich die Absicht, ihn direkt darauf anzusprechen, warum er immer wegguckt, wenn er meiner ansichtig wird. Nach gelungener Verarbeitung des Vorfalls mit dem Mann in Weiß denke ich nun aber, dass mich das nichts angeht, wenn er es mir nicht von sich aus sagt, warum er wegguckt. Das einzige, was ich tun kann, ist, ihm die Gelegenheit zu geben, es mir zu sagen, indem ich mich endlich mal für seinen Laden interessiere, indem ich reingehe und mir die Taschen anschaue, die er neuerdings verkauft. Das habe ich vorhin gemacht und schon gedacht, ich komme zu spät, der hat den Laden gar nicht mehr. Doch dann hat sich schnell aufgeklärt, dass die sympathische Frau hinter der Kasse nicht die neue Besitzerin ist, dass er den Laden immer noch hat und er morgen wieder da ist. Bei der Gelegenheit habe ich gleich noch erfahren, dass er die Taschen nicht neuerdings, sondern schon seit Jahren verkauft, weil das Geschäft mit den Platten nicht so gut gelaufen ist an dem Standort in Schöneberg; das sei eher etwas für Prenzlauer Berg; hier gibt es das Publikum nicht dafür, meinte die Frau und deutete dann auf die Tür zu einem Nebenraum, wo die Platten jetzt untergebracht sind; immer noch im Angebot, aber nicht mehr das Hauptgeschäft, wie sie erklärte. – Aha! Da bin ich also die letzten Jahre drei-, viermal die Woche an diesem Laden vorbei gegangen und jetzt erst kriege ich mit, dass da Taschen verkauft werden, weil ich immer nur den Besitzer des Ladens gesehen habe, der weggeguckt hat, wenn er mich kommen sah. – Könnte ich nicht so das Gespräch mit ihm beginnen, indem ich ihm das erzähle? - Mal sehen.
Vor dem Anruf Peters war ich in dem Laden in der Akazienstraße 8. Früher Platten-, jetzt Taschenladen. Auf dem Hinweg habe ich mir überlegt, wie rede ich den Besitzer an. Duze ich ihn? Denn er ist in etwa in meinem Alter und von meiner Lebensart. Oder sage ich besser erst mal Sie zu ihm? Denn er ist Schwabe. Das weiß ich, weil ich habe ihn mal mit dem Besitzer des benachbarten Zeitungsladens schwäbeln hören. Und mit dem, Armin, ist es so gewesen, dass mein Vorschlag, nach langjähriger Geschäftsbeziehung vom Sie zum Du zu wechseln, zu einem solchen Krampf geführt hat, dass ich eines Tages erschöpft zum Bhagwan-Foto hinter Armin hochgeschaut habe, und da habe ich die Stimme von Meister Shree Rajneesh gehört, die mir zuflüsterte: surrender! Scheiß drauf, habe ich da gedacht, jetzt folge ich auch dem Bhagwan, und habe den Herrn Armin wieder gesiezt, bis ich die Geschäftsbeziehung zu ihm abgebrochen habe aus Gründen, die nichts mit Du oder Sie zu tun hatten und jetzt keine Rolle spielen. Jetzt ist nur von Bedeutung, die beiden Nachbarn schwäbeln zusammen und dem einen war das Duzen mit mir nicht selbstverständlich, da wird es dem anderen auch nicht willkommen sein. Sage ich also lieber Sie zu ihm. Zumal unser bisheriger sozialer Kontakt so verlief, dass er konsequent seinen Blick abgewandt hat, wenn er vor seinem Laden stand und mich kommen sah. Konsequent heißt: nicht zufällig gerade woanders hingeguckt hat und das nächste Mal wieder zufällig woanders hin und das hat überhaupt nichts zu bedeuten, auch wenn das drei-, viermal oder fünfmal so war, zufällig eben - nein, seit er diesen Laden hat, seit zehn oder acht Jahren, guckt er woanders hin, wenn ich an ihm vorbeigehe. Keine Ahnung, warum? Weil er etwas gehört hat über mich, was gegen mich spricht? Oder weil ich mich nicht für seinen Laden interessiert habe? Nichts gekauft, nicht mal rumgestöbert habe in seinen Platten und dem Krimskrams, den er außerdem noch verkauft hat. Schwer vorstellbar, wie er mit dem Sortiment so lange Zeit geschäftlich überleben konnte. Muss ein gewiefter Kaufmann sein. Alleine das schon ein Grund, um ihn mal kennenzulernen. Und bei der Gelegenheit gleich noch rauszukriegen, warum er schon seit Jahren wegguckt, wenn er mich sieht. Das ist mir Anfang der Woche eingefallen, dass ich das jetzt mal rausfinden könnte. Deshalb wollte ich am Dienstag bei ihm reinschauen, bin jedoch nicht dazu gekommen, und dann passierte das mit dem Mann in Weiß und seiner Verachtung. Kombiniert mit der Koinzidenz, dass mir gleich darauf noch der Postmeister mit der schwierigen Grüßbeziehung begegnet ist und am Tag darauf die Frau aus dem Gartenhaus, die meinen Gruß nicht erwidert hat, so dass ich mir einbilden könnte, dass die mich auch verachtet, aber ich denke mir, die mag mich nur einfach nicht, und da ich sie auch nicht mag, ist das völlig in Ordnung. Nun könnte ich denken, dass das kein Zufall war, was ich mit dem Mann in Weiß erlebt habe, dass ich das angezogen habe, weil ich mich gerade mit diesem Thema beschäftigt habe. Und dass ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe, das hat seine Gründe in meinem Unbewussten, das dann von mir unbemerkte Signale ausgesendet hat, die dazu führten, dass der Mann in Weiß des Weges kam just in dem Moment, als ich am Dienstagnachmittag das Haus verlassen habe, und ich so seine Verachtung zu spüren kriegen konnte. So starke Signale waren das? – Nä, oder? Wenn das so wäre, dann könnte ich mit dieser Nummer im Zirkus auftreten. Allerdings war der Vorfall mit dem Mann in Weiß und den beiden beiherspielenden Koinzidenzen die beste Vorbereitung für das Gespräch mit dem Besitzer des Taschenladens. Ursprünglich hatte ich nämlich die Absicht, ihn direkt darauf anzusprechen, warum er immer wegguckt, wenn er meiner ansichtig wird. Nach gelungener Verarbeitung des Vorfalls mit dem Mann in Weiß denke ich nun aber, dass mich das nichts angeht, wenn er es mir nicht von sich aus sagt, warum er wegguckt. Das einzige, was ich tun kann, ist, ihm die Gelegenheit zu geben, es mir zu sagen, indem ich mich endlich mal für seinen Laden interessiere, indem ich reingehe und mir die Taschen anschaue, die er neuerdings verkauft. Das habe ich vorhin gemacht und schon gedacht, ich komme zu spät, der hat den Laden gar nicht mehr. Doch dann hat sich schnell aufgeklärt, dass die sympathische Frau hinter der Kasse nicht die neue Besitzerin ist, dass er den Laden immer noch hat und er morgen wieder da ist. Bei der Gelegenheit habe ich gleich noch erfahren, dass er die Taschen nicht neuerdings, sondern schon seit Jahren verkauft, weil das Geschäft mit den Platten nicht so gut gelaufen ist an dem Standort in Schöneberg; das sei eher etwas für Prenzlauer Berg; hier gibt es das Publikum nicht dafür, meinte die Frau und deutete dann auf die Tür zu einem Nebenraum, wo die Platten jetzt untergebracht sind; immer noch im Angebot, aber nicht mehr das Hauptgeschäft, wie sie erklärte. – Aha! Da bin ich also die letzten Jahre drei-, viermal die Woche an diesem Laden vorbei gegangen und jetzt erst kriege ich mit, dass da Taschen verkauft werden, weil ich immer nur den Besitzer des Ladens gesehen habe, der weggeguckt hat, wenn er mich kommen sah. – Könnte ich nicht so das Gespräch mit ihm beginnen, indem ich ihm das erzähle? - Mal sehen.