Die Idee ist: Ich lasse es mir jetzt mal richtig schlecht gehen. Ich lasse mich hängen. Ich wehre mich nicht mehr gegen das Unglück. Ich reiße mich nicht mehr zusammen. Ich versuche auch nicht herauszufinden, woher das Unglück kommt. Das wird es mir dann schon selbst sagen, wenn ich es zulasse. Das ist die Idee.
Das Unglücklichsein ist keine Depression. Es ist keine allgemeine Verstimmung. Keine tiefe Traurigkeit ohne Grund. Es ist ein ganz konkretes Mich-Schlechtfühlen und Schlechtfinden von allem, was ich mache und was ist in meinem Leben. Sollte dieser Zustand der schmerzhafte Anfang einer großen und heilsamen Veränderung sein, dann wird sie sehr groß und sehr heilsam sein. Das ist die Hoffnung.
Das habe ich mir heute Morgen zurechtgelegt und es beschlossen, als hätte ich eine andere Wahl. Auf dem Balkon liegt jetzt ein Bretterboden. Bretter aus hellem Lärchenholz. Gestern hat mir das gefallen. Weil es überraschend war und eine Frische hatte als Eindruck. Heute denke ich, dass es billig aussieht, provisorisch, vorläufig. Das Mindeste, was noch zu erwarten wäre, ist, dass die Bretter gestrichen oder gefirnisst werden. Doch das ist nicht geplant. Sie werden patinieren – grau – und das wird es dann gewesen sein. Angenehm ist der Geruch, den das Lärchenholz verströmt, wenn die Sonne es erwärmt (Duftwolke eines gefällten Baumes auf einer Waldlichtung). – Zwei peinliche Geldmomente. Einer ist wirklich peinlich. Lotto und Zigaretten kosten 13 Euro 50. Ich lege vier zusammengefaltete 10-Euro-Scheinen auf die Theke und zähle aus dem Kleingeld aus meiner Hosentasche 3 Euro 50 ab, die ich Sinan gebe. Darauf nehme ich die 10-Euro-Scheine und stecke sie wieder ein. Worauf Sinan streng sagt: Und jetzt kriege ich noch einen Zehner! Und ich stehe da, als wäre das mit den zur Seite gelegten 10-Euro-Scheinen und den ihm gegebenen 3 Euro 50 ein Versuch gewesen, ihn zu täuschen. Ich sage, ich hätte gedacht, ich hätte ihm die 10-Euro schon gegeben; auch deshalb, weil er nicht zu erwarten schien, noch einen 10-Euro-Schein zu bekommen. Das hätte ich natürlich auch gesagt, wenn ich es tatsächlich darauf angelegt hätte, ihn zu betrügen. Und nachträglich erscheint es mir fast so, dass er es darauf angelegt hat, mich zu testen. Wenn ich einen besseren Tag gehabt hätte, dann hätte ich gesagt: Wenn ich mit so einem im Ansatz ja nicht unraffinierten Trick unterwegs wäre, dann würde ich ihn so ausfeilen, dass er auch wirklich klappt. Dann hätten wir gelacht und er hätte trotzdem geglaubt, dass ich es inzwischen ganz schön nötig haben muss, dass ich so etwas versuche. Da war also nichts mehr zu retten. Doch das war mir egal. Das ist der Vorteil eines Unglücklichseins, wie ich es gerade erlebe, dass es auf so etwas wie diesen Vorfall dann auch nicht mehr ankommt. Kinkerlitzchen.
Der zweite peinliche Vorfall war bei Rossmann und gehört nicht mehr zum Thema. Auch deshalb, weil nicht mir etwas peinlich war, sondern der Frau an der Kasse war es peinlich, als sie meine Reaktion darauf erlebte, dass sie die Schachtel, in der das Produkt verpackt ist, das ich ihr zum Zahlen hingelegt habe, geöffnet und hineingeschaut hat. – Kontrollieren Sie, ob alles drin ist, ob vielleicht jemand etwas daraus geklaut hat? frage ich sie darauf erstaunt, weil ich das noch nie gesehen hatte, dass das eine Kassiererin macht bei diesem Produkt. –
Ausweichend, weil es ihr angesichts meiner Arglosigkeit peinlich ist, erklärt sie: Wir sind angewiesen, das zu überprüfen. – Und jetzt erst klickert es bei mir: Sie gucken nicht, ob der Inhalt vollständig ist. Sie gucken, ob etwas in der Schachtel ist, das nicht hinein gehört. – Sie wiederholt: Wir sind angewiesen, das zu überprüfen. – Weil das immer wieder vorkommt, dass Leute auf diese Art klauen? – Sie nickt und guckt dazu bedenklich über die Ränder ihrer Lesebrille. – Schlau, denke ich, aber nicht schlau genug, sie sind dahinter gekommen. Und dann denke ich noch: Geld ist knapp. Will das auch schon sagen, lasse es dann aber, ohne recht zu wissen warum. Um nicht ihren Eindruck von mir zu irritieren?