Mittwoch, 25. Mai 2011
Homestory 2
Der Nachbar in der Dachwohnung gegenüber meiner Dachwohnung ist 46 Jahre alt und hat ein jungenhaftes Äußeres: Zu Bluejeans trägt er eine rote Adidas-Jacke über einem weißen T-Shirt und er hat volles, sehr volles dunkles Haar, halblang und nach hinten gekämmt. Er steht in der offenen Wohnungstür und begrüßt mich lächelnd. Er scheint nicht verwundert zu sein über meinen unangemeldeten Besuch. Das kann nur heißen, er hat ihn erwartet, da er meinen Blog liest, in dem ich meinen Besuch angekündigt habe. Als ich an der Haustür geläutet habe und er sich über die Haussprechanlage gemeldet hat (Ja?), habe ich meinen Namen genannt, mich als Nachbar von gegenüber vorgestellt und gefragt, ob ich mal hochkommen kann. Bitte, hat er geantwortet und den Türöffner betätigt. Das Wenige, was ich mir vorher zurechtgelegt hatte, bezog sich darauf, dass ich sie antreffen würde (Wunschdenken). Obwohl ich, als ich die Treppen hochgehe schon ahne, dass sie nicht da sein oder sich nicht zeigen wird, entscheide ich mich dafür zu ihm zu sagen: Ich würde gerne Ihre Freundin sprechen. Dazu kommt es aber nicht. Denn als ich oben anlange, macht er erst eine lockere Bemerkung über die vielen Treppen, worauf ich sage, die Treppen bei mir drüben sind steiler. Darauf geben wir uns die Hand, ich nenne ihm noch einmal meinen Namen, und dann bittet er mich zu meiner Überraschung herein, ohne mich zu fragen, was ich von ihm will. Ich frage ihn, ob er weiß, wer ich bin? – Er antwortet: Nach so vielen Jahren der Nachbarschaft, kennt man sich selbstverständlich vom Sehen. Wir gehen in das mir durch den Blick aus meiner Wohnung vertraute Wohnzimmer, das anders aussieht, als ich es mir vorgestellt habe, aber auch nicht völlig anders. Ich beschreibe es nicht. Nur soviel: Es ist natürlich nicht spießig. Es ist auch nicht so wie ich es eingerichtet hätte. Aber es ist so, dass ich mich hier wohlfühle. Ich steuere auf ein an der Wand stehendes Sofa mit leuchtend blauem Bezug zu und frage, ob ich Platz nehmen darf, denn ich bin etwas aufgeregt und im Sitzen ist es leichter damit umzugehen. Er bietet mir etwas zu trinken an. Ich lehne dankend ab, was unhöflich ist, was ich aber auch deshalb tue, weil ich mir nicht vorstellen kann, länger zu bleiben. Denn sie werde ich nicht sehen, das ist klar. Und was soll bei einem Gespräch mit ihm schon herauskommen, außer dass wir uns bekannt machen miteinander, und das ist nun schon so gut wie geschehen. Obwohl ich mir nichts davon verspreche, erzähle ich ihm in einer sehr kompakten Version meine Geschichte mit der Frau aus dem Hallenbad. von dem Moment an als sie mit unverkennbar amerikanischem Akzent sagte: Vielleicht, wenn wir zehn oder zwanzig Minuten warten, das Wasser ist wieder gesund - dem Moment, als ich mich in sie verliebt habe, bis zu dem überraschenden Wendepunkt, als ich sie eines Tages im Juni vor zwei Jahren in seiner Wohnung gesehen habe, es erst nicht glauben wollte, dass sie das ist, doch dann mehrten sich die Eindrücke, die keinen Zweifel daran ließen: die Frau da drüben war die Frau aus dem Hallenbad. Deutlichster Eindruck von allen: als ich ihn an einem Sommerabend zusammen mit der Frau Blumen gießen sah in der Wohnung eine Etage tiefer. – Er hat mir die ganze Zeit aufmerksam und schweigend zugehört, jetzt fragt er, wann das gewesen sein soll. – 2009 war das. Im Hochsommer. Wahrscheinlich August. Ferienzeit. Die Leute in der Wohnung unter Ihnen waren verreist. Sie haben ihre Balkon-Blumen gegossen. Und ich habe die Frau aus dem Hallenbad nicht nur erkannt an ihrem Gesicht, sondern auch an ihrem Gang, ihrem leicht staksigen Gang, den ich an ihr beobachtet habe so oft, wenn sie in die Schwimmhalle kam oder wenn sie die Halle verlassen hat und ich ihr hinterher geschaut habe und wie immer gar nicht genug kriegen konnte von ihrem Anblick. Das sage ich natürlich nicht, ich erwähne nur ihren leicht staksigen Gang als charakteristisches Merkmal. Er will nun wissen, wie die Frau ausgesehen hat - Größe? Etwas kleiner als ich. Schlank? Dünn, aber nicht dürr. - Haarfarbe? Dunkle Haare, brünett, würde ich sagen. Schulterlange Haare, seit Anfang des Jahres allerdings kurz. Volles Gesicht. Nicht auf eine typische Art hübsch. Dünne Lippen, großer Mund. Leicht vorspringendes Kinn. Ausgeprägte, aber nicht gebogene Nase. Gezupfte Augenbrauen. Kräftiger Hals. Als er später darauf zurückkommt und sagt: breiter Hals, lasse ich das nicht gelten. Starker Hals, kein Schwanenhals. - Ich beschreibe die Frau, weil ich gar nicht genug davon kriegen kann, sie zu beschreiben, nicht weil ich mir etwas davon verspreche. Das Gespräch wird zu nichts führen. Das weiß ich. Doch weil er so freundlich und aufgeschlossen ist, ich nun schon einmal da bin und es mir auch nicht unangenehm ist, mit ihm zu tun haben, mache ich für ihn den Affen, indem ich sein Spiel mitspiele. Seit ich geläutet habe, sind etwa 15 Minuten vergangen, die nächsten 55 Minuten verbringen wir mit seinem Spiel. Je länger ich darüber nachdenke, desto verwunderlicher erscheint es mir, mit welchem Aufwand und welcher Ausdauer er es gespielt hat. Das Spiel ist: mich abwimmeln, indem er auf mich eingeht, und das geht so: Er hat keine Freundin und auch keine gehabt. Er hat eine Frau: meine Frau. Die arbeitet in London. Ich habe mal mit ihr telefoniert, ich weiß, wer sie ist und wie sie heißt. Jetzt zeigt er mir Fotos von ihr, die neben der Balkontür an der Wand hängen. – Nein, das ist nicht die Frau aus dem Hallenbad. – Dann kommen nur noch in Frage (an Personen, die ich in der Wohnung gesehen haben könnte) junge Frauen, Anfang 20, die er Kinder nennt, Studentinnen aus den USA, an die seine Frau und er das kleine Apartment vermieten, das zur Wohnung gehört. Wie alt ist die Frau denn, um die es mir geht? – Anfang, Mitte 30, wenn sie sehr alt ist, dann ist sie 38. – Dann könnte es sich bei der Frau um eine Freundin oder Bekannte von ihm oder seiner Frau handeln. Und jetzt geht es los. Er öffnet das kleinere der beiden Notebooks, die vor im auf dem runden Tisch liegen, an dem er sitzt, und sucht in seinen Foto-Dateien nach Freundinnen oder Bekannten, die in Frage kämen dafür, die Frau zu sein, die ich aus dem Hallenbad kenne und in seiner Wohnung gesehen haben könnte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Fotos er mir gezeigt hat, am Schluss wollte ich schon gar nicht mehr hingucken, habe aber bis zum Schluss, weil er sich so viel Mühe gegeben hat, jedes Mal wieder meine Lesebrille aufgesetzt, wenn er aufgestanden ist und zu mir herkam zur Couch, um mir das Notebook hinzuhalten mit dem Foto einer Frau, die Amerikanerin ist und auch sonst ins Suchprofil passen könnte. Während dessen habe ich mir die Zeit vertrieben, indem ich ihm Szenen geschildert habe, in denen ich ihn zusammen mit der gesuchten Frau beobachtet hatte. Szenen, die keinen Zweifel daran ließen, dass er mit dieser Frau, die nicht seine Frau ist, in einer solchen Verbindung steht, dass sie nicht anders denn als seine Freundin bezeichnet werden kann. Vorneweg die inzwischen weltberühmte Streitszene mit dem zentralen Satz: Oh yeah, I had my fun! Fortsetzung folgt.