Sonntag, 14. August 2011

Regenpause

Café Sur. 13 Uhr. Es regnet nicht. Wir sitzen draußen. Treffen mit der Autorin von Tango. Das ist ihr erster Roman. Es ist die Geschichte einer Frau, die einen Mann nicht will, fasse ich zusammen. Colette lacht. – Begonnen hat sie den Roman 1998, als sie in der Staatsbibliothek arbeitete an ihrer Dissertation (Literaturwissenschaft; Thema: Postmodernität). Sie wollte zu ihrer Erholung etwas ohne Fußnoten und Quellennachweise schreiben. Als Ausgangspunkt hat sie genommen ein Erlebnis, das sie in der Stabi hatte mit einem Mann, der an einem Platz in der Bibliothek in ihrer Nähe arbeitete. Diesem Mann hatte sie, da sie sich täglich sahen, eines Tages zugelächelt, und wenn er nicht so ein Tölpel gewesen wäre, dann hätte sie bestimmt auch geflirtet mit ihm  - mit einem Verständnis von Flirten, wie man es in Frankreich hat: alle machen es ständig überall und es hat nichts zu bedeuten, es ist ein Spiel. Aber dann hat der Tölpel so getan, als wolle sie wunder weiß was von ihm. Das hat sie empört, von ihm so hingestellt zu werden. Aus dieser Empörung heraus ist der Roman geschrieben. – Der Titel ihres zweiten Romans ist Rendezvous am Potsdamer Platz. Der Roman ist unveröffentlicht. Ich hatte gedacht, dabei solle es auch bleiben, und ich hatte es so verstanden, dass der Roman, an dem sie zur Zeit arbeitet, ihr dritter ist. Doch jetzt wird klar, sie sitzt an der Überarbeitung des zweiten Romans. Und jetzt bin ich der Tölpel, der Grobian, der herausplatzt mit dem Satz: Oh nein, tu das nicht, fang lieber einen neuen Roman an! –  In dem Roman spielt der Gebäudeteil des alten Grand Hotel Esplanade, der ins Sony Center integriert ist, eine Rolle. Dieser Gebäudeteil spricht, in der ersten Person, im ersten Kapitel des Romans, das Colette mir zu lesen gegeben hat. Und da ich schon mal so unbehutsam war, kommt es darauf nun auch nicht mehr an: In meiner peniblen Art erkläre ich Colette, dass Gebäudeteile nicht sprechen. Zur Begründung ziehe ich den neuen Film von Miranda July heran: The Future. Da gibt es eine Katze, die spricht. Das ist schon an der Grenze, argumentiere ich. Aber, wenn man einmal eine Katze hatte, kann man es nicht ausschließen, dass Katzen sprechen könnten, wenn sie wollten. Sprechende Gebäude hingegen, das ist über der Grenze: Gebäude können nicht sprechen, auch wenn sie wollten. – Colette zeigt sich unbeeindruckt. Sie wird den Roman überarbeiten und der Gebäudeteil wird sprechen. Gleich, was ich darüber denke. Alles andere hätte mich auch überrascht bei der gestandenen Autorin. Aber wozu musste ich dann so grob sein?

Seit Colette sich an den Tisch gesetzt hat, wird sie von Wespen belästigt. Ich - auf dem Platz ihr gegenüber - nicht. Da ich ihr jetzt unbedingt etwas Gutes tun will, biete ich ihr an, die Plätze zu tauschen. Sie lehnt ab: Wenn sie sich auf meinen Platz setzt, werden die Wespen ihr folgen, sagt sie. Auf meinen Wunsch hin sprechen wir über deutsche Frauen. Ausgehend von dem, was Mini Kapur gesagt hat. Auch Colette meint, dass deutsche Frauen sehr kämpferisch sind und es auch sein müssen, weil die Gesellschaft in Deutschland so patriarchalisch ist (maskulin, hatte Mini Kapur gesagt). Über deutsche Männer sagt Colette, sie seien auf junge Frauen fixiert. – Ist das irgendwo auf der Welt anders? – In Frankreich ist es nicht so. – Vielleicht sind in Deutschland viele Männer deshalb auf junge Frauen fixiert, weil hier viele nicht mehr so junge Frauen so mit ihrem kämpferischen Selbstbewusstsein beschäftigt sind, dass nichts mehr übrig bleibt, auf das Männer fixiert sein könnten. – Wilde Thesenbildung. Von mir. Colette schaut auf ihre Uhr. Um 15 Uhr ist sie mit ihrer Tochter verabredet. Ich komme auf meine Grobheit zurück, versuche sie zu erklären und damit abzumildern: Es war eine spontane Reaktion und dann gab es kein Zurück mehr. Colette fragt, was ich denn wolle. Ich sage, dass ich gerade wie ein kleiner Junge sei, der von seiner Mutter hören möchte, dass sie ihm nicht böse ist. – Colette: Das werde ich dir nicht sagen. Ich bin nicht deine Mutter. – Treffer! – Du hast dich verändert, sage ich zu ihr. Du bist durchtriebener geworden. – Und wie bewertest du das? fragt sie. Ist das eine gute Entwicklung?  - Das werde ich dir nicht sagen, antworte ich grinsend. Und als wir uns verabschieden, sage ich ihr auch nicht, dass es ein gutes Gespräch war. Erst etwas zerfahren, aber zum Schluss haben wir unsere Linie gefunden. Wir wollen das Gespräch fortsetzen. Das sagen wir beide.  

Colette hat mich gebeten, ihr den Titel des Postings zu nennen, in dem ich Tango schon einmal erwähnt habe. Ich hatte ihn nicht mehr im Kopf. Hier ist er: Neumond.