Sie zeigt mir zwei Bilder ihres Lieblingsschülers, des inzwischen sehr erfolgreichen Gerit Koglin. Dem hat sie, als er nach zwei gescheiterten Bewerbungen zu ihr kam, als erstes seinen Graffiti-Malstil ausgetrieben und ihm Grundlagen des Zeichnens beigebracht. Das nächste Bild, das ich sehe, ist ebenfalls eine Arbeit eines ihrer Schüler. Es hängt in der Küche, wo Uliane uns Tee macht. Porträt Ulianes als Lehrerin: Strenge Lehrerin. Unerbittlich. Fordernd. Stur. Kein Lächeln. Nicht Nett. Was ist das weibliche Analogon zu harter Hund? - Das Bild hat aber auch Witz, sagt Uliane. Sagt es, um zu illustrieren, was sie gerade eben meinte, als sie bei den Eigenschaften, die ein Künstler mitbringen muss, auch Humor und Witz nannte. Da habe ich ihr zum ersten Mal widersprochen: Humor? Witz? Tut es nicht auch Esprit? Dieser ganze Komplex Humor-Witz-Ironie ist dermaßen inflationiert. Versicherungsvertreter sind witzig, Harald Schmidt ist witzig, Werbefernsehen ist witzig, alles und jeder ist so witzig, dass es gar nicht mehr anders geht. Aber diese Art von Witz, meinte sie nicht. Esprit meinte sie auch nicht. Wahrscheinlich meinte sie etwas, das früher Pfiffigkeit genannt wurde. Pfiffig ist Werbefernsehen allerdings auch in seinen besten Momenten. Egal. Hauptsache, ich konnte ihr mal widersprechen und es ging nicht immer so weiter, dass ich ihr nur mauloffen staunend lausche. Staunend vor allem darüber, wie reflektiert sie ist, wie sie so genau weiß, worum es geht in der Kunst, weiß, was sie tut als Kunstpädagogin und als Künstlerin, und das mit einer Klarheit und einer Entschiedenheit auszudrücken vermag, wie ich es auch nicht erwartet hatte von ihr.
Papiertüte Acryl mit Sand auf Rupfen 2007 |
Was hatte ich erwartet? – Dass es heikel werden könnte, unser Treffen in ihrer Wohnung in der Beltzigerstraße, in der sie auch ihr Atelier hat. Angefangen hatte alles vor ein paar Wochen auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber in der Galerie subjectobject, als ich zu Liljana sagte, wie konventionell viele gegenwärtige Künstler malen. Darauf hatte sie mir in ihrem Büro am PC zwei Bilder von einer Künstlerin gezeigt, die sie sehr schätzt, und gemeint, die sollte ich kennenlernen. –JA! habe ich gesagt. Unbedingt. - Sie gab mir ihre Karte, ich habe mir ihre Website angeschaut und festgestellt: Die kenne ich. Weiß gar nicht, wie lange schon. Mehr als zehn Jahre grüßen wir uns, freuen uns jedes Mal, wenn wir uns begegnen, ohne dass klar ist, warum. Denn wir haben noch nie miteinander gesprochen. Sehen und grüßen uns im Felsenkeller, auf der Akazienstraße oder an der Ampel vor dem Schöneberger Rathaus, wenn sie mit ihrem Mann vom Flohmarkt kommt. Haben eine über die Jahre gewachsene Sympathiebeziehung. Einfach so. Aber auch so ungeklärt diese große wechselseitige Sympathie, dass es besser ist, es bleibt dabei, denn besser kann es nicht werden, nur mit einer Enttäuschung kann es enden, wenn sich zeigt, dass ich nicht der bin, für den sie mich hält, oder ich … – wie schnell fällt mir was auf, weshalb ich jemanden dann doch nicht so toll finde. Nein, ganz so schlimm ist es nicht. Aber ein Risiko ist es eben schon, mit einem solchen Sympathie-Vorschuss sich nun näher kennenzulernen.
Wie ging es aus? – So, dass es Uliane gegen Ende meines Besuchs leid tat, dass sie mich so vollgequasselt hat. Worauf ich nur sagen konnte: Das hast du gut gemacht. Das muss dir nicht leid tun. – Nur über ihre Arbeiten haben wir nicht so ausführlich gesprochen, wie ich es mir gewünscht habe. Das holen wir nach, wenn wir uns nächste Woche noch einmal treffen. Heute ging es neben ihrer Unterrichtstätigkeit vor allem um das, was sie zusammengefasst hat mit dem Satz: Ich stehe für etwas. – Für was? – Für die Familie, aus der ich komme. – Eine baltisch-deutsche Künstlerfamilie: ihre Großeltern Maler, ihr Vater Kunstprofessor und Maler. Dafür steht sie und sie steht für das, was sie aus sich gemacht hat, als sie nach einer mehrjährigen Lebenskrise 1983, da war sie 40, aus ihrer 68er-Biographie ausgebrochen ist und wurde, was sie heute ist: Glücklich, machen zu können, was sie will.
Der Teppich meines Vaters Acryl auf Leinwand 2007 |
Zum Schluss hat sie mir noch ein Transparent gezeigt, das in der Galerie hing, die sie zwischen 2004 und 2010 zusammen mit ihrem Mann Thomas Schelenz in der Langenscheidtstraße hatte. Auf dem Transparent steht ein Zitat von Claude Debussy. – Debussy bedeutet mir sehr viel, habe ich gesagt. – Ach? – Ja. – Mir auch, meinte sie. Kunst, Literatur, Musik, das ist für mich alles eins. – Hätte ich auch sagen können den Satz und hätte dann noch Film genannt. – Der Debussy-Satz auf dem Transparent geht so: Es liegt schon eine einzigartige Ironie darin, dass das gleiche Publikum, das nach >Neuem< verlangt, jedesmal dann außer Fassung gerät und sich mokiert, wenn man versucht, es aus seinen Gewohnheiten und seinem eingefleischten Wohlbehagen herauszulocken. Das mag manchem unverständlich vorkommen, aber man darf nicht vergessen, dass ein Kunstwerk, ein Versuch zur Schönheit, auf viele Leute wie eine persönliche Beleidigung zu wirken scheint.
Website von Uliane Borchert.
Bilder: © Uliane Borchert,