Ein anderer, der komplizierte Fall. Kompliziert, weil es zwei Versionen gibt, die stark von einander abweichen. Was mir erzählt wurde und was ich geschildert habe im Blog. Und was Dr. Bürger mir nun erzählt. Ich mache es mir einfach. Da ich nicht einsehe, warum ich an der Version von Dr. Bürger zweifeln sollte, überspringe ich die Frage, wie es zu der in Polizeikreisen kursierenden Version kommen konnte, und vertraue Dr. Bürgers Wahrnehmung des Vorfalls: Das stimmt nicht, sagt er, dass der Polizist und ich einen längeren Weg zum Revier zurückzulegen hatten und uns dabei angeschwiegen haben, wie Sie schreiben. Der Vorfall hat sich nämlich keine fünf Minuten Fußweg vom Polizeirevier in der Gothaer Straße entfernt zugetragen. Und es war auch nicht so, dass der Polizist den Fahrradfahrer ermahnt und es dabei belassen hat. Er hat ihn nicht ermahnt. Der Fahrradfahrer ist über die Fußgängerfurt gefahren und hat vor dem ihm entgegenkommenden Polizisten angehalten. Auf seinem Fahrradsattel sitzend hat der Radfahrer den Polizisten offenbar nach dem Weg gefragt. Denn der Polizist hat darauf den Arm ausgestreckt und in die Richtung des Schöneberger Rathauses gedeutet. Der Radfahrer hat sich bedankt, der Polizist ihm freundlich zugenickt und der Fahrradfahrer ist auf der Fußängerfurt zur anderen Straßenseite gefahren. - Fußgängerfurt ist der amtliche Ausdruck für einen Fußgängerüberweg an einer Ampel und vor der Fußgängerfurt an der Kreuzung Martin-Luther/Grunewaldstraße saß Dr. Bürger im Auto, war auf dem Nachhauseweg von Ikea, wartete darauf, dass es Grün wird, beobachtete, da er nichts anderes zu tun hatte, den Fahrradfahrer und den Polizisten und konnte es nicht fassen, dass der Polizist es zugelassen hatte, dass der Radfahrer die Fußgängerfurt fahrend überquerte. Deshalb hat Dr. Bürger sein Auto in der Grunewaldstraße vor dem Gebäude des Amtsgerichts geparkt und ist dem Polizisten hinterher gegangen, um ihn nach seiner Dienstnummer zu fragen. Der Polizist hat ihn darauf gefragt: Sind Sie Professor Bürger? – Diese Frage hat Dr. Bürger nicht sonderlich überrascht. Er weiß um seine Bekanntheit bei der Polizei und er sagt es immer wieder: Die Polizei weiß alles über mich. – Statt ihm nun seinen Dienstausweis mit der Dienstnummer zu zeigen, wozu ein Polizist auf Verlangen verpflichtet ist, hat der Polizist Dr. Bürger seine Dienst-Visitenkarte gegeben. Zwei Visitenkarten, um genau zu sein, hat der Polizist ihm hingehalten mit den Worten: Wollen Sie gleich zwei? – Das hat Dr. Bürger als Provokation empfunden. Der Polizist hat ihm darauf angeboten, mitzukommen aufs Revier, um sich gleich dort über ihn zu beschweren. In seiner Verärgerung hat Dr. Bürger sich verleiten lassen, darauf einzugehen. Auf dem Revier saß er mit dem Polizisten dann schweigend vor dem Büro des Abschnittsleiters und das war natürlich bedrückend, weil es so lange dauerte bis der Abschnittsleiter Zeit für sie hätte. Das mit dem Revier hätte er sich alleine schon deshalb sparen können, weil er seine Beschwerde ohnehin noch einmal schriftlich einreichen musste. – Und was ist dann dabei herausgekommen? – Dr. Bürger: Nichts. Versandet, wie immer. – Im Antwortschreiben der Zentralen Beschwerdestelle stand, die Beschwerde, die er eingereicht hat, sei mustergültig verfasst; sie würden sie künftig zu Lehrzwecken verwenden. Lustig haben sie sich dann also auch noch über ihn gemacht.
Die Polizei versteht den Professor nicht und ist von ihm genervt. Der Professor versteht die Polizei nicht und hört nicht auf damit, sich zu beschweren über Fehlverhalten von Polizisten, das er immer wieder beobachtet. Gäbe es die Fälle von Fehlverhalten nicht, könnte er sie nicht beobachten, könnte er sich nicht über sie beschweren. Aber sind diese Fälle von Fehlverhalten denn wirklich so schwerwiegend? Muss er denn da jedes Mal nach der Dienstnummer fragen und dann die Beschwerdekeule schwingen, auch wenn es am Ende folgenlos bleibt für den betroffenen Polizisten, aber ein Stress ist es schon für ihn, bis der Amtsvorgang abgeschlossen ist, und für den Beschwerdeführer Dr. Bürger doch auch, oder? - Fall eins: Dr. Bürger bemerkt ein falsch geparktes Polizeiauto. Polizeieinsatz? Von wegen. Der uniformierte Fahrer des Wagens hält sich im Fachgeschäft Xxxxxxx auf und kauft ein. Kauft bestimmt nicht Papier- oder Bürobedarf für das nahegelegene Revier ein, macht während der Dienstzeit einen privaten Einkauf und um die Ecke steht sein falsch geparktes Polizeiauto. Von Dr. Bürger zur Rede gestellt, behauptet der Polizist, nicht eingekauft, sondern sich nur nach etwas erkundigt zu haben. Dienstlich? Egal. Ist doch sowieso gelogen, weiß Dr. Bürger. Denn er hat gesehen, dass der Polizist an der Kasse bezahlt hat. Und ein Xxxxxxx-Mitarbeiter ist bereit, das zu bezeugen. – Das gibt eine Dienstaufsichtsbeschwerde, ist klar. – Zweiter Fall: Bayerischer Platz. Wieder falsch parkendes Polizeiauto. Dieses Mal mit Polizist hinterm Steuer. Sein Kollege auf der anderen Straßenseite an der Wurstbude. Dr. Bürger geht hin, stellt den Polizisten zur Rede wegen des Falschparkens und des Wurstkaufens im Dienst. Der Polizist behauptet nicht, dass er sich nur nach etwas erkundigt, er sagt zu Dr. Bürger: Wissen Sie was? Ich hatte heute einen Scheißtag. Jetzt habe ich Hunger und kaufe mir eine Wurst. Und da kommen Sie an und wollen sich über mich beschweren. – Was macht Dr. Bürger? – Nichts mehr. Denn dafür hat er Verständnis: Scheißtag, Hunger, Wurst. Keine Beschwerde. – Dritter Fall: Joachimstalerstraße. Vor Karstadt Sport parkt ein Polizeiauto im Halteverbot. Polizist hinterm Steuer. – Was machen Sie hier? Einsatz? – Ich warte auf meinen Kollegen. – Und der Kollege? – Kommt gleich. – Dr. Bürger nimmt sich die Zeit, wartet auf den Kollegen. – Endlich kommt der Kollege, mit einer Karstadt-Sport-Einkaufstüte in der Hand. – Sie gehen während Ihrer Dienstzeit einkaufen, während Ihr Kollege hier im Halteverbot parkt mit einem Streifenwagen. – Polizist mit Einkaufstüte: Sie haben völlig recht, das ist kein vorbildliches Verhalten. Aber morgen ist Weihnachten. Mein fünfjähriger Sohn hat sich einen Fußball gewünscht und den soll er morgen Abend auch bekommen. – Der Polizist muss nicht weiter reden über Zeitdruck und Stress vor den Feiertagen, Dr. Bürger hat verstanden: Weihnachten, kleiner Junge, Fußball. Keine Beschwerde. Selbstverständlich keine Beschwerde.
Knacks. Was ist der Knacks? Wer hat einen Knacks? Dr. Bürger mit seinem Beharren auf der Einhaltung der Regeln? Fanatischem Beharren? Ist er ein Fanatiker? - Denke ich schon. Bis er das mit dem Scheißtag und der Wurst und mit Weihnachten und dem Fußball für den kleinen Jungen erzählt. Da hat er mit sich reden lassen - weil offen und ehrlich mit ihm geredet wurde. Da haben die Polizisten sich für ihn in Menschen verwandelt und die Sache, die Dr. Bürger eben noch so wichtig war, hat auf einmal überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Die Sache. Der Knacks. Die Sache ist: Regeln, die nicht eingehalten werden, sind wertlos. Da es die Regeln gibt, müssen sie auch eingehalten werden. Das denkt er sich nicht nur so wie viele sich das denken. Dafür setzt er sich ein – jedes Mal, wenn ihm eine Regelverletzung auffällt. Das macht ihn zum Extremisten. Denn das ist nicht üblich. Das ist nicht vorgesehen. Und das ist der Knacks.
Xxxxxxx = Namen auf Wunsch von Dr. Bürger gestrichen.
Xxxxxxx = Namen auf Wunsch von Dr. Bürger gestrichen.