Mittwoch, 10. August 2011

Riots

Kindergeburtstagsstimmung beim Frühstück. Beim Lesen von Nakedsushi. Das muss man sich mal vorstellen, da ist sie angereist aus Los Angeles, sitzt in einem 2-Sterne-Restaurant beim vierten von noch gar nicht abzusehen wie vielen Gängen, sitzt an einem Tisch am Fenster, den sie wahrscheinlich schon vor Wochen hat reservieren lassen, und nun rufen die Kellner ihr zu, sie soll ganz schnell weg vom Fenster. Warum denn? Die Antwort gibt das laute Klirren des massiven Glases der Eingangstür. Jetzt offen und die Plünderer drängen herein. Spielen erst ein bisschen verrückt, werfen Mobiliar um, darunter auch den Wagen mit der reichen Auswahl wundervoll duftender Käsesorten, und dann verlangen die Plünderer von den Gästen, sich auf den Boden zu legen und machen sich an die Arbeit. Als sie zu Louise Yang, der Bloggerin, kommen, wollen sie zuerst ihr Handy haben. Das ist in ihrem Täschchen und dieses zum Glück nicht in ihrer Reichweite. Denn im Täschchen ist auch ihr Pass. Andererseits, was sollen die Plünderer mit dem Pass einer Restaurantkritikerin anfangen? Schweren Herzens überlässt Louise dem für sie zuständigen Plünderer ihre Hände mit den Ringen, darunter auch ihr Ehe- und Verlobungsring. Der Plünderer versucht, ihr die Ringe von den Fingern zu zerren. Als abzusehen ist, dass er das nicht hinkriegt, nicht einmal mit Hilfe seines Freundes, schreit Louise ihn an, er soll es sie selbst machen lassen. Hätte sie da nur schon gewusst, was sie hinterher erst erfahren wird: wie streng die Waffengesetze in England sind, dass davon auszugehen war, dass der Plünderer bis auf seinen Stock unbewaffnet gewesen ist - dann hätte sie ihm nämlich eine geknallt und ihre Ringe behalten. Das war die Stelle, an der ich so lachen musste: In hindsight, now that I know that gun control is so fierce in England and he only had bat, I should have held on to my rings better and maybe slugged him in the face. 

Hinterher ist man immer schlauer. Aber ob er es nochmal kapieren wird? Alex Massie, Gastautor in The Daily Beast, früher Daily Telegraph, jetzt The Spectator. Stop Politicizing the RiotsKlar, soll man auf Jugendliche hören, schreibt er. Aber nicht in diesem Fall. Die hier haben nichts, rein gar nichts zu sagen. - Und deshalb ist ihr riot, ihr Aufstand, ihre Randale völlig unpolitisch, schreibt er. Überlassen wir die riots der Polizei und konzentrieren uns wieder auf die Spur der Verwüstung, welche die Jungs mit den breiten Hosenträgern in den Banken und an den Börsen hinter sich herziehen, schreibt er nicht, denke ich und frage mich, warum die Aufständischen in London, Manchester und Birmingham nichts zu sagen haben. – Antwort: Weil sie dazu gar keine Zeit haben. Am Abend und in der Nacht müssen sie Brände legen, Läden plündern, Sterne-Restaurants überfallen und ihren Gästen aus aller Welt die Handys abnehmen und die Goldringe von den Fingern zerren. Am Tag müssen sie schlafen und sich ihre nächtlichen Aktionen in den TV-Nachrichten angucken, mit den Flachbildfernsehern, die sie im Morgengrauen nach Hause geschleppt haben, damit ihre Mütter und kleinen Geschwister auch was haben von den riots. Und wenn sie sich dann eingedeckt haben werden mit Playstations, iPads und iPhones und das Gold der Ringe aus den Sterne-Restaurants zu Bargeld gemacht (von der Hausse am Goldmarkt profitierend; warum sollen kleine Leute nicht auch mal Glück haben?), dann müssen sie das Bargeld ausgeben und sich mit der Funktionsvielfalt ihrer neuen Geräte vertraut machen. Dann sind sie weg von der Straße und werden wieder nichts zu sagen haben. Nichts Politisches jedenfalls. Politisch wird nur ihr Schweigen sein, das dann ist wie das Schweigen all der anderen, die all die schönen Sachen schon länger haben.

Wenn Apple wirklich cool wäre, dann würden sie mit Riesen-Trucks in die Problembezirke fahren und von der Ladefläche der Trucks herunter ihr Zeug verschenken. In einer einmaligen Aktion, versteht sich. – Keine einzige Mülltonne würde mehr brennen. Und was für eine Werbekampagne ließe sich mit dem Dokumaterial dieser Aktion aufziehen! Soundtrack: The Clash, The Guns of Brixton. Dazu die Bilder von den Apple-Leuten, wie sie die Kartons mit den schönen Sachen in die wogende Menge der Kapuzenträger werfen. Niemand würde sich mehr auskennen. Und darum geht es doch: dass sich niemand mehr auskennt.