Sonntag, 7. August 2011

Kapur


Seit 1990 lebt Mini Kapur mit ihrem Mann in Berlin. Hier hat sie vor 15 Jahren ihren Sohn zur Welt gebracht und der Gemüsehändler hat ihr nach der Geburt einen Blumenstrauß in die Klinik geschickt. Zweimal hat sie mir das erzählt, als Beispiel für Erlebnisse, die ihr das Gefühl gaben, zu Hause zu sein in der fremden Stadt. Sie möchte auch in gar keiner anderen Stadt in Deutschland leben als in Berlin. Denn nur hier hat sie Menschen getroffen, die nicht voller Vorurteile über ihr Heimatland waren, sagt sie. Trotzdem hörte ihr Heimweh nicht auf. Zehn Jahre lang nicht. Bis es ihr endlich gelungen ist, eine Verbindung zu schaffen zu dem, was ihr so sehr fehlte: als sie einen Weg fand, die Farben, die Lebensart, den Luxus ihres Landes nach Berlin zu bringen und den Menschen hier zu zeigen, dass Indien mehr und anderes ist als Armut, Räucherstäbchen für 5 Euro die Packung und tanzende Schlangen und brennende Frauen.


So kam es zu UNDER THE MANGO TREE: Chiffre für ihr Heimweh nach Indien. Label ihrer Kollektion wertvoller Shawls aus Cotton, Seide und Pashmina, zum Teil von ihr selbst entworfen. Und seit März der Name der schönen Räume in der Merseburger Straße, in denen sie zeigt, was ihr lieb und wichtig ist, wo sie arbeitet und wo sie zusammen mit ihrem Mann eine Art Salon führt mit Roundtables, Vorträgen, Konzerten, Essenseinladungen.  – Der vordere, zur Straße hin gelegene Raum, wo sie ihre Textilkunst anbietet, das ist desire: meine Sehnsucht, mein Hobby.  Der große mittlere, der Ausstellungsraum, wo auch die Veranstaltungen stattfinden, das ist my passion, meine Liebe zur Kunst. Und der hintere  Raum, wo sie arbeitet, wo sie ihr Geld verdient mit Grafikdesign, das ist my backbone, das ist die Realität, aber auch meine erste Liebe.  


Im vorderen Raum stehen zwei indische Büsten. Die eine stellt den Gott Shiva dar, die andere die Göttin Parvati. Als wir die Skulpturen betrachten (Kopien, sonst würde sie sie nicht ins Schaufenster stellen), weist mich Mini Kapur darauf hin, dass die Göttin etwas größer ist als der Gott, und erklärt mir, dass in diesem Unterschied die Stellung der Frauen in der traditionellen indischen Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Das hier, sagt sie, ist eine sehr maskuline Kultur. Deutschland wird Vaterland genannt. Zu Recht. Indien dagegen ist ein Mutterland. Frauen müssen dort nicht darum kämpfen, respektiert zu werden. Sie werden nicht zuerst als Frauen, sie werden als Menschen angesehen. Mit 26 Jahren hat sie in Neu Delhi ein Büro mit fast 20 Angestellten geleitet, und die waren alle Männer und haben sie als Chefin akzeptiert.


Das Gestaltungsbüro einer großen Druckerei hat sie damals geleitet. Gestaltung von Zeitschriften. Darauf hatte sie sich spezialisiert nach ihrem Grafikdesign-Studium. Es war erst ihre zweite Anstellung; sie war dabei, Karriere zu machen. Dann ist sie mit ihrem Mann nach Deutschland übergesiedelt; der Mann Informatiker, Top Job bei einem multinationalen Unternehmen. Und sie musste von vorne anfangen. Als Praktikantin in einem kleinen Grafik-Büro in Steglitz. Dort machte sie sich mit Screen-Design vertraut und bekam einen wichtigen Rat: Mach dich selbständig. Du bist keine Angestellte. – Sie lernte, sich als Freelancer durchzuschlagen. Gestaltung von Broschüren. Auftraggeber: namhafte Industriefirmen, internationale humanitäre Organisationen. Eine Arbeit, die sie mit großem Stolz zeigt: eine Broschüre für die Welthungerhilfe.


Und dann eines Tages, wie sie schreibt in ihrem Flyer Desire: Here came in Renu. Die gesuchte Partnerin, um aus einer Sehnsucht eine Geschäftsidee zu machen. Renu Taneja, eine Textildesignerin, mit der Mini Kapur in Neu Delhi studiert hatte. Sie hatte die Kontakte zu Webereien, Färbereien und zu den kleinen Handwerksbetrieben, in denen sie die Stickereien in Auftrag gaben, und sie überwachte die Fertigung in Indien. Mini entwarf und knüpfte Geschäftskontakte in Berlin. - Mansi, Kushi, und Vama, nannten sie ihre Shawls, Hindi für: Urfrau, Freude und linke Seite des Seins. Was immer das heißt. Jedes Stück ist auf beiden Seiten zu tragen. Jede Seite hat ihren eigenen Stil. Stickereien auf beiden Seiten, in Handarbeit gefertigt. Schlichte Stiche zu aufwendigen Bordüren oder zu alten Paisely aus Kaschmir, Bengalen, Neu Delhi … . Von jahrhundertealten Motiven zu zeitgenössischen Linien. Sie symbolisieren den Luxus Indiens. – Zitat aus dem Flyer UTMT Design Studio. Der Flyer von Mini Kapur nicht nur gestaltet, sondern auch getextet, in ihrem ganz eigenen Stil. Davon gleich mehr. 


Und worüber habe ich mich gestritten mit Mini Kapur bei unserem letzten Treffen? – Das verrate ich nicht. Nur so viel, dass ich das Thema Kasten in Indien angesprochen hatte und dass Mini Kapur sich über diese Frage geärgert hat. – Warum hatte ich das Thema angesprochen? – Weil ich Verhaltensweisen an ihr bemerkt hatte, die ich mir nicht erklären konnte, und als ich Özgür, durch den ich sie kennengelernt hatte, von meinem Befremden erzählte, da sagte er: Sie wird wahrscheinlich aus einer höheren Kaste kommen. – Kaste? Na klar! Und auch wenn sie sich von dieser Tradition gelöst hat und sich als Weltbürgerin versteht in einer Welt von Gleichen, trägt sie das noch immer mit sich herum und es kommt zur Geltung immer dann, wenn sie sich jemandem überlegen fühlt, wie mir. – So habe ich mir das mich befremdende Verhalten von Mini Kapur erklärt und nun wollte ich das überprüfen, indem ich mich über die allgemeine Frage nach den Kasten in Indien zur privaten Frage nach Minis Herkunft heranschlich. Das hat nicht geklappt. Sie hat sich verärgert und nur ganz allgemein geäußert zum Thema Kasten. Dann haben wir uns gestritten, uns wieder vertragen und ich habe nicht nachgehakt. Aber da die Frage nach ihrer Herkunft nun einmal gestellt ist, soll sie auch beantwortet werden. Von Mini Kapur selbst. Mit einer sehr schönen Geschichte, die sie erzählt in ihrem Flyer Desire. Ich übersetze den englischen Text (*):
Erinnerungen begleiten uns. Zu meinen zahlreichen Erinnerungen zählt, wie wir sechs Kinder an einem kalten Winterabend zusammen bei unserer Mutter sitzen. Sie öffnete eine Truhe und zeigte uns den Schatz ihrer wunderschönen Saris. Wie beglückt war sie, als sie uns diese wunderschönen handgewebten Stoffe zeigte, einige von ihnen aus Fäden aus purem Gold gewoben! Kostbar.
Jeder von uns sollte eines dieser Kleidungsstücke als Erinnerung bekommen. Eine wärmende Kostbarkeit, die uns begleiten sollte durch unser ganzes Leben. In Indien ist es Tradition, Kindern etwas Wertvolles zu vererben. Ich bekam einen 58 Jahre alten Sari, handgewoben aus einem Garn aus reinem Gold, eigens angefertigt für die Hochzeit meiner Mutter.
Ich nahm dieses Stück mit nach Berlin.
Ich, die ich solche luxuriösen Kleidungsstücke in Indien gesehen hatte, ich wurde in Berlin nun bedrängt mit den immer gleichen Fragen nach der Armut Indiens.  Niemand schien eine Vorstellung davon zu haben, wie luxuriös Indien ist. … dieser Luxus im Einfachen, der Farben, der herrlichen Handarbeit, der Verständigung auf einfache Art. (...)
Ein Schicksal. Ein Künstlerschicksal. Mini Kapur.

UNDER THE MANGO TREE
Merseburger Straße Nr.
14 10823 Berlin
030 787 184 75
mini.kapur@utmt.net

(*) The memories keep you company. Among many of them was the one of all of us six children sitting on a cold winter evening together with our mother. She had opened a trunk and showed us all her treasures of beautiful sarees. How gladly she showed those beautiful handwoven textiles, quite a few with thread of pure gold! Precious.
Each one of us would get one piece as a memory. A piece of warmth, to carry you through all the times in your life. In India we have a tradition to pass on something precious to children. I got a 58 years old saree, handwoven with a thread of pure gold. Specially made for my mother´s wedding.
I carried that piece with me to Berlin.
Having seen such luxurious textiles at home, found myself cornered in Berlin when questioned only about the poverty of India. Nobody seemed to know how luxurious India is! … that luxury of simplicity, of colors, of beautiful handwork, of communication in simple ways. (…)

(Bildunterschriften werden nachgetragen) Siehe Blütenblatt.