Martina
Hast Du immer noch das Atelier in Pankow?
Ja.
Kommst du nicht ins Internet hier?
Normalerweise schon. Ich gucke es mir zu Hause an.
Willst du dir meine Blogadresse notieren?
Ich habe sie schon eingegeben.
Ich kann die Firma Apple nicht leiden. Und ich muss immer grinsen, wenn ich sehe, dass alle KünstlerInnen ein Powerbook haben.
Ich will es dir ja nicht verkaufen.
Mehr so Antworten! Ich käme mal wieder aus Schöneberg raus, wenn ich sie in ihrem Atelier besuche. Und ich war noch nie in Pankow.
Norbert
Heute noch schwerer zu fassen als sonst. Als er mich kommen sieht, geht er in seinen Laden rein. Ich ihm hinterher. Das habe ich jetzt davon:
Du hast neulich gesagt, es geht Dir nicht ums Geld. Worum geht es dir denn?
In Urlaub zu fahren.
Hm.
Ich brauche nicht viel Geld. Ich habe alles.
Und warum machst du dann den Laden? frage ich nicht. Ich will mich mit ihm unterhalten, kein Interview machen. Während ich ihm zuhöre, stöbere ich in einem Kasten mit CDs zum Preis von 2 Euro.
Meine Frau und ich wir haben noch nie über Geld geredet. Seit 20 Jahren nicht. Es gibt Leute hier in der Straße, bei denen geht es nur um Geld. Weil sie 5000 Euro Miete zahlen oder unbedingt den kasachstanischen Schrank aus getrocknetem Ziegenmist haben müssen. Ich brauche so was nicht.
Du hast so viele CDs von Cher.
Die CDs sind alphabetisch sortiert.
Ach so, und ich bin jetzt gerade bei C. Du bist immer so mürrisch.
Soll ich ständig grinsen?
Ihn eben hast du angelächelt, obwohl du nicht schwul bist.
Er hat mich zuerst angelächelt.
Zu deinen Kunden bist du auch nett.
Selbstverständlich bin ich zu denen nett.
Ich sollte jetzt eine CD finden, die ich kaufe. Ich überlege, ob ich Frank Sinatra, Night and Day nehmen soll. Aber dann höre ich die ein Mal und danach liegt sie rum. Ich sage: Den Rest der CDs gucke ich beim nächsten Mal durch.
Den Satz kennt Norbert schon. Er sagt mir jetzt mal was im Vertrauen: In den 70er Jahren kamen Punks, Skins, Rastas zu mir. Die haben für 400 Euro Platten gekauft. Und auf alle anderen habe ich geschissen. - Wie er auch auf das Bürgertum scheißt, das jetzt hier rumläuft.
Ich distanziere mich ebenfalls vom Bürgertum, indem ich vom Hass spreche, den ich manchmal kriege.
Hass? Ich habe keinen Hass. Ich will mit denen nur nichts zu tun haben.
Meine Bemerkung über den Hass kommt mir vor wie aus Zweiter Hand. Wann war das, als ich das mit dem Hass hatte? Vor zwei, drei Wochen? Jetzt habe ich mit mir zu tun. Stimmungsabsturz seit zwei Tagen. Wie komme ich da wieder raus? Hätte ich doch die Sinatra-CD nehmen sollen? Vielleicht hätte ich sie öfter gehört. Aber die Geigen, das Geigengeschluchze. Das ist sicher alles mit Geigengeschluchze auf der CD. (Ist es nicht. Trotzdem gut, dass ich die CD nicht genommen habe: Night and Day). - Ich finde was anderes, Norbert. Und dann reden wir über den Satz, den Du auch noch gesagt hast: Um Erfolg zu haben, muss man entweder schlecht sein oder sehr gut.
Kassiererin
Können Sie bitte eine zweite Kasse öffnen?
Moment! (Klingeln!)
Der Moment zieht sich. Zwei Aldi-Mitarbeiterinnen füllen Regale auf. Eine blickt zu mir her, ruft mir etwas zu. Es klingt wie: sie wird die Kasse nicht öffnen, vor der ich stehe.
Was hat sie gesagt?
Die Frauen und Männer in der Warteschlange hinter mir haben es auch nicht verstanden.
Aldi-Mitarbeiterin wiederholt, was sie gerufen hat.
Ich verstehe es immer noch nicht. Fragender Blick zu den Frauen und Männern. Nein, sie haben es auch wieder nicht verstanden.
Aldi-Mitarbeiterin nähert sich: Sie können Ihre Sachen schon mal auf das Band legen.
Ach so! Das haben Sie gemeint. Ich hatte angenommen, dass Sie etwas Unfreundliches gesagt haben.
Warum soll ich etwas Unfreundliches sagen? blafft sie mich an.
Weil das der Supermarkt mit dem unangenehmsten Personal weit und breit ist. Ausgenommen eine Verkäuferin mit kurzen blonden Haaren, und die habe ich hier schon lange nicht mehr gesehen. Sage ich nicht. Weil es gibt noch einen anderen Aldi, da werden sie auch immer unangenehmer.
Serhat
Treffe ihn beim Rausgehen. Hat vier prall gefüllte Einkaufstüten.
Da hast du aber viel eingekauft.
Tiefkühlkost, sagt er, besteht jedoch darauf, dass es nicht viel ist, und erzählt, dass er neun Tage weg war.
Urlaub?
In Alanya.
Du bist gar nicht sonnenverbrannt.
Da hat es 45 Grad. Da gehst du vor 22 Uhr nicht aus dem Haus.
Und lebst in der Nacht.
So ist es.
Das hättest du doch ebenso gut auch hier machen können. Sage ich nicht und erfahre deshalb auch nicht, was er in Alanya gemacht hat in der Nacht.
Gülcan
Im Kaiser Kiosk sehe ich Serhat noch mal. Sie haben umgeräumt. Im hinteren Teil des Ladens hängt jetzt ein Flachbildfernseher an der Wand; eingeschaltet. Gülcan.
Frage mich mal, wie es mir geht.
Wie geht es Ihnen?
Eben ist mir auch noch die Einkaufstüte gerissen. Beide Griffe gleichzeitig. So ein Tag ist das.
Ich gebe Ihnen eine neue Tüte.
Sie gibt mir zur Sicherheit sogar zwei Tüten Aber weil sie mich neuerdings siezt, kann ich nicht darauf zurück kommen, wie hübsch sie am Sonntag ausgesehen hat in dem kurzen, engen schwarzen Kleid, den blickdichten schwarzen Strümpfen und was für Schuhe sie dazu getragen hat, das habe ich gar nicht mitgekriegt, weil ich von ihrem Gesamteindruck so hingerissen war und ihr das dann auch gesagt habe, wie hübsch sie aussieht – hübsch ohnehin, aber heute auch noch so hübsch elegant angezogen hat. Ob sie nach Feierabend eine wichtige Verabredung hat und sich deshalb so schön gemacht hat, habe ich sie gefragt. Nein, hat sie geantwortet und mich danach zum ersten Mal gesiezt. Um Distanz herzustellen? – Wahrscheinlich.
Oguzhan
Ich wollte nur mal nach dir schauen. Zigaretten habe ich schon bei Gülcan im anderen Laden gekauft.
Bei der Konkurrenz. (Witz!)
Ihr möbelt den Laden ja ganz schön auf.
Hast du den neuen Kühlschrank gesehen?
Beeindruckend. Aber was soll der Fernseher?
Ist doch gut.
Wozu?
Sieht gut aus.
So wie in der Back-Factory. Da haben sie auch einen Fernseher an der Wand hängen.
Zum Beispiel.
Damit die Leute sich wie zu Hause fühlen?
Kann sein.
Weil bei ihnen zu Hause auch ständig der Fernseher läuft.
Genau.
Unbekannte
Am Sonntag hat mich Peter gefragt, in hämischem Tonfall gefragt: Na, bist du verliebt? – Ich habe nicht verstanden, warum er die Frage gestellt hat, und den Tonfall erst recht nicht. Trotzdem habe ich die Frage wahrheitsgemäß beantwortet: Ich bin seit mehr als zwei Jahren verliebt. In die mir immer noch unbekannte Frau. Und manchmal bin ich auch in zwei Frauen verliebt, habe ich gesagt und habe von Gülcan erzählt, wie hübsch die ausgesehen hat am Nachmittag. Dass man da nicht anders kann, als sich zu verlieben in so eine blühende junge Frau, habe ich gesagt, und sei es nur für einen Moment. Naturgeschehen. Evolution. - Unbekannte:
Es ist eigentlich gar kein Verliebtsein mehr, es ist, als wäre sie meine Frau.
Weil sie immer da ist. Tag und Nacht.
Und ich habe gelernt, sie zu nehmen, wie sie ist.
Mit ihren Vorzügen und mit ihren Macken.
Und zu ihren Macken gehört nun mal, dass sie unbekannt und unerreichbar ist.
Weil mit einem anderen Mann zusammen.
Aus Gründen, über die ich nicht mehr nachdenke.
Kann man so leben?
Nein. Alleine nicht und zu zweit schon gar nicht.