Freitag, 8. Oktober 2010

Sponsoring

Gestern Abend Melanie wiedergesehen. Bei Michael in der Originalgröße. Vor zwei Tagen war sein Elektriker nach längerer Zeit mal wieder da. Sein Erstes, als er in die Wohnung kam: Wo ist das Mädchen mit dem Gewehr? – Michael führt ihn zu dem Foto. Elektriker stößt kleine spitze Schreie aus. Nein. Das würde er auch gerne haben und sei es nur so klein, hat er gesagt und mit den Händen ein Format von 25 x 25 cm angedeutet. – Das Foto hängt in einem Seitenraum der Diele. Da kommt es nicht richtig zur Wirkung. Warum hängst Du es nicht woanders hin, Michael? – Geht nicht. Zu irritierend das Foto für die Leute, die seine Frau Isabel in die Wohnung einlädt zu Gruppeninterviews für ihr Trendforschungsinstitut. – Da ich mich schon bei meinem ersten Besuch in Michaels neuer Wohnung wie zu Hause gefühlt habe, dringe ich ohne Vorwarnung ins Schlafzimmer ein. Auch hier die Wände vollgehängt mit großformatiger Kunst. Dann hängst du das Foto eben hier auf, rufe ich in Richtung Wohnzimmer und überlege bereits, welches Werk dafür weichen könnte. Vergiss es! ruft Michael zurück. Isabel hat was gegen Waffen! - Ja nun, murmele ich und merke in dem Moment, wie ausgehungert ich bin. - Michael lädt zum Abendessen ein. Ins Cantamaggio in der Alten Schönhauser. Weissbrot, Olivenöl und Salz. Dann Michael: Jakobsmuscheln; mit frischem Ziegenkäse gefüllte Ravioli; Seeteufel auf gedünstetem Gemüse, das aussieht wie mit Wasserfarben gemalt. Ich: Carpaccio vom Rind (ein Mal im Jahr ist das erlaubt) mit Pesto, Mezzelune mit Steinpilzen und Kaninchen-Rillettes; Kalbsleber mit grünen Bohnen und Kartoffelpüree. Dazu Rotwein, Wasser. Und währenddessen die Frage, wie ich meine Zukunft sehe, nachdem ich das Plotten in meinen Blog verlegt habe und der jetzt meine Hauptsache ist. Schwieriges Thema, weil mein Geschäftsmodell ist noch nicht zu Ende gedacht. Ziel ist, genug Leser zu kriegen, die mir folgen. Dann wechsle ich von Blogger auf eine eigene Domaine und finanziere mich mit selbst aquirierter Werbung. Denn die Google-Werbung ist zwar witzig (Im Schlaf abnehmen?), aber finanziell unergiebig. – Und bis dahin? – Brauche ich Sponsoren, die es mir ermöglichen, den Blog weiter zu entwickeln zu dem Fortsetzungs-Tatsachenroman, den ich daraus machen will - ganz auf meine Art, sich vergleichend mit nichts, das es bereits gibt. Wie ich Sponsoren finde weiß ich allerdings noch nicht. Michael brauche ich erst gar nicht zu fragen. Der liest meinen Blog nicht mal. Er hat dazu keine Zeit. – Keine 5 Minuten am Tag? Oder 35 Minuten in der Woche? Also wenn du einen Blog schreiben würdest, den würde ich lesen.Vielleicht nicht täglich, aber wenigstens ein Mal in der Woche, habe ich mal zu ihm gesagt. Es hat nichts genützt. – Da liegt es wohl weniger an der Zeit als daran, was er kurz darauf so formuliert: Warum sollen sich die Leute für deinen Blog interessieren, wenn du nur über dich und dein Leben schreibst? Und um zu verdeutlichen, wie er das meint, fügt er hinzu: Das kann doch jeder machen, so einen Blog schreiben über sein Leben. – Das stimmt, sage ich. Und ich kann das auch nur jedem empfehlen, das zu tun. Aber nicht jeder hat ein so dramatisches Leben wie ich: In Folge radikaler Ehrlichkeit mir selbst und anderen gegenüber vereinsamt und verarmt. Nicht gewillt, die Offenheit und Wahrhaftigkeit aufzugeben, die mich gesellschaftlich und geschäftlich ruiniert hat. Und trotz meines Alters immer noch fest entschlossen, reich und berühmt und mit der Contessa meines Herzens glücklich zu werden. – Das gefällt Michael nun wieder. Er applaudiert. Doch dann fragt er besorgt: Was machst du, wenn das nicht klappt? - Ich verliere mich erst in dunklen Andeutungen und muss schließlich zugeben, dass ich meinen Plan so weit noch nicht durchdacht habe und, wenn ich es mir recht überlege, ihn so weit auch gar nicht durchdenken will. Darauf stellt er mir Fragen zur Tess, die er sich alle leicht selbst beantworten könnte, wenn er meinen Blog läse. Wozu er sich aber nicht die Zeit nimmt, weil so einen Blog jeder schreiben kann. Wir bestellen Desserts. Der Schichtenbiskuit mit Beeren und Eis ist schon sehr konventionell. Die Birnentarte mit Mohneis hingegen ist so, dass es uns beiden leid tut, dass wir uns zum Teilen der Desserts verabredet haben. - Die Rechnung: 172 Euro. Michael legt seine goldene Kreditkarte in den kleinen Teller zu der Rechnung. Die Kellnerin verzieht ihr Gesicht zu einem bedauernden Lächeln. Keine Kreditkartenzahlung möglich im Moment. – EC-Karte? – Bedauerlicherweise auch keine EC-Kartenzahlung möglich im Moment. - Dieses Gezicke immer um die Kartenzahlung. - Unverständlich, weil die Abrechnung erfolgt innerhalb von zwei Tagen, meint Michael. Aber wahrscheinlich brauchen sie das Bargeld sofort, um ihr Personal auf die Hand bezahlen zu können. - Dann läuft der Laden wohl nicht so gut. - Das nun völlig unverständlich. Denn Essen, Wein und Bedienung sind so, dass ich am liebsten jeden Abend hierher kommen würde oder wenigstens ein Mal in der Woche.
Cantamaggio. Alte Schönhauser Str. 4 - Berlin Mitte.  030 283 18 95