Mittwoch, 6. Oktober 2010

4.48

Dunkelheit kurz vor der Dämmerung? 5.25 Uhr? Der Wecker hat keine Leuchtziffern und steht auf einer Ablage an der Wand, zwei Meter entfernt von mir. Ich kann den Zeigerstand nur erahnen. Ahnung und mein Gefühl ergeben zusammen: es ist halb sechs. Keine Erinnerung an einen Traum. Der körperliche Zustand ist rein physiologisch. Ich beschäftige mich mit meinem körperlichen Zustand. Keine Bilder. Es bleibt physiologisch. Ich höre auf damit, ohne es zu beenden. Als ich das Licht anknipse, um aufzustehen und meine Blase zu leeren, zeigt der Wecker 4.48 Uhr. Nachdem ich zurück ins Bett gekrochen bin, drehe ich mir zur Seite und versuche an nichts zu  denken, um gleich wieder einschlafen zu können. Aber das Denken hat auf dem Weg ins Badezimmer bereits angefangen und ein Gefühl gibt es auch schon. Heute hat es nichts mit Geld zu tun. Heute ist es ein Gefühl von Peinlichkeit. Peinlichkeit wegen Dummheit. Erinnerung an gestern Abend: Blonde, sehr blonde Frau im Contessa-Zimmer, macht sich vor dem Spiegel zum Ausgehen fertig. Später, am Ende des Schreibens an die Tess: Wer ist die blonde Frau bei Euch da drüben? Eine Freundin von Dir? Wäre die nicht was für den Professor? - Es ist nicht die einzige Dummheit, die ich ihr gestern geschrieben habe. – Erinnerung an die Mail von Cédric, die mir so gut gefallen hat, dass ich überlegt habe, darüber zu schreiben und bei der Gelegenheit noch ein paar Gehässigkeiten loszuwerden zu Volker Hauptvogel, den Cédric in der Mail erwähnt. Dazu noch die Idee, den Text der Mail komplett in Das alte Biest zu veröffentlichen. - Was war los mit mir gestern Abend? Was habe ich mir dabei gedacht? - Erinnerung an den Post vom Abend. Das mit dem Geld. Authentisch. Wichtig. Muss jetzt sein als Thema. Aber ist es nicht auch naiv? Peinlich? - Das Gefühl zulassen. Mit dem Gefühl von Peinlichkeit einen Dialog führen. Was will es mir sagen? Ich komme nicht drauf. Als ich wieder aufwache, dämmert es bereits. 6.25 Uhr. Wenn ich es rechtzeitig zum Sachsendamm schaffen will, muss ich jetzt sofort aufstehen. Dienstag und Mittwoch ist im Hallenbad am Sachsendamm die 50-Meter-Bahn geöffnet. Dafür ist an diesen Tagen bereits um 7.45 Uhr Ende für uns Frühschwimmer. Dann beginnt das Training der Wasserball-Bundesliga-Mannschaft. Jedes Mal wieder sehenswert die langen Kerls: die überbreiten Schultern, die gemeißelte Muskulatur, die komischen knappen Badehosen in den Vereinsfarben. Wie Cyborgs aus einem Cartoon. Heute hat zum ersten Mal einer von ihnen Guten Morgen gesagt hat in der Dusche. Sonst ignorieren sie uns Frühschwimmer. Sie sind Profis. Wir Amateure. - Auf dem Rückweg erneuter Versuch, mit dem Gefühl der Peinlichkeit in einen Dialog zu kommen. Doch es spricht nicht mit mir. Es will nur da sein. - Den Post von gestern überarbeite ich, ohne größere Änderungen vorzunehmen. Die Mail von Cédric ergibt nach genauerem Lesen einen anderen Sinn. Das neue Restaurant ist gar nicht seins. Er arbeitet da nur. Ich arbeite dann erst mal an dem Auftrag für das Trendforschungsinstitut. Die Mittelklasse-Euphorie in Brasilien. Am Ende nur ein Hype? Kreditfinanzierter Konsum. Endlich dürfen alle einkaufen. Der boomende Handel mit China - Agrarprodukte und Rohstoffe - zahlt die Rechnungen. Es geht um Stimmungen, nicht um Tatsachen. Und ich bin nur der Ghostwriter. Ich schreibe mit der Stimme des Auftraggebers. Bis 13.30 Uhr. Danach: Doch was über die Mail von Cédric machen? Dass sie mir gestern so gut gefallen hat und heute weiß ich nicht mehr, was es war, was mir  gefallen hat. Während ich mir überlege, wie ich das anstelle, erinnere ich mich an das Aufwachen heute Morgen und an das Gefühl von Peinlichkeit, das jetzt auf einmal weg ist. Die Mail von Cédric stelle ich als Fundstück in Das alte Biest. Und jetzt sage ich noch der Tess Gute Nacht. Die hat nämlich gerade ihr Licht angemacht.