Donnerstag, 14. Oktober 2010

Couch

Bitte beachten! Wie sich in dem Text von gestern bei mir wieder einmal das frühkindliche Muster gute Mutter/ böse Mutter durchgesetzt hat. Ich will nicht mehr über dich schreiben, weil du schlecht zu mir warst. Ich will lieber über die einsame Frau mit den aufgemalten Augenbrauen schreiben, mit der ich mich so gut unterhalten konnte, obwohl ich sie gar nicht kenne. Während ich dich schon so lange kenne, aber geredet hast du wieder nicht mit mir. – So geht das. Und es ist trotzdem nicht verkehrt – mich von jetzt an lieber an Menschen zu halten, die mit mir reden. Denn das Geheimnis ist das Geheimnis ist das Geheimnis. Es bleibt das Geheimnis, auch wenn ich noch so viel darüber schreibe. Es wird dabei nur immer geheimnisvoller. Tatsächlich: Je länger die Geschichte mit der Tess dauert, desto weniger weiß ich über sie, desto vager und verwirrender wird mein Bild von ihr. Der Witz dabei, ein für mich typischer Kalauer: Über den Professor weiß ich inzwischen mehr als über die Tess.  Das ist auch einer der Gründe, warum ich ihn nicht in Ruhe lasse und über ihn schreibe. Weil ich nur über ihn an die Realität der Tess rankomme. Weil der Professor konkrete Anhaltspunkte bietet. Während es von der Tess nur gibt ihre Elfenauftritte, ihre unverständlichen, und meine hilflosen Interpretationen …. . – Der Text ging hier noch ein Stück so weiter. Mit der Vermutung, dass die Tess und ich uns sehr ähnlich sind und dass sie auch nach dem Gute-Mutter/böse-Mutter-Muster agiert. Ich lasse das weg und bitte um Geduld. Die Blog-Situation ist gerade sehr schwierig. Ich schreibe hier über mein Leben. Dabei folge ich meinem Bewusstseinsstrom. Das geht im Moment nicht. Denn der Bewusstseinsstrom ist so, dass ich nicht aufhören kann, mich mit den zahlreichen Umständen der geplatzten Verabredung zu beschäftigen, und das will ich nicht. Aus einem Grund, den ich (vorläufig) verheimliche. Und: weil es zu nichts führt. Auf keinen Fall führt es dazu, dass die Tess mit mir redet. Das wird sie eines Tages tun oder sie wird es nie tun. Darauf habe ich keinen Einfluss. So kann ich nur darüber schreiben, dass ich schon den ganzen Tag versuche, meinen Bewusstseinsstrom in eine andere Richtung zu lenken. Zeitweise gelingt mir das. Insgesamt gelingt es mir nicht. Das ist es, was ich heute gemacht habe. Während ich Schwimmen war. Während ich ein Zwischenergebnis für die Auftraggeberin des Brasilien-Jobs zusammengestellt habe. Während ich in meiner Mittagspause in ein Buch reingelesen habe, das ich mir gestern aus der Bibliothek mitgenommen habe und das nach fünf  Seiten mich so in meinen Vorurteilen gegenüber aktueller deutscher Literatur bestätigt hat, dass ich Titel und Autorennamen lieber weg lasse. Nur das: Auf der zweiten Seite der Erzählung ist es so, dass ein Mann schaute zu einem anderen Mann und in seinen Augen mischten sich Kummer und ein freundlicher Spott. – Geht das? Kummer und freundlicher Spott mischen sich. In den Augen. Und wenn, muss es denn in den Augen sein? Wäre doch alleine schon eine Leistung, das im Gesichtsausdruck hinzukriegen. Im Haus nebenan hat lange ein Schauspieler gewohnt. Thorsten. Schade, dass der nicht mehr da ist. Sonst hätte ich den angerufen und ihn gefragt, ob er das hinkriegt und es mir zeigen kann. Ich habe es auch selbst schon versucht. Kummer kriege ich hin. Freundlichen Spott auch. Aber beides zusammen. Da habe ich das Gefühl, ich kriege gleich einen Krampf ins Gesicht, wenn ich damit weitermache. Vielleicht habe ich es noch nicht genug versucht. Vielleicht sollte ich da mal dran bleiben und mich damit ablenken. Das oder etwas anderes, irgendetwas muss ich mir einfallen lassen, um mich leer zu machen. Das - sich leer machen - ist übrigens eine Technik von Schauspielern, die sie anwenden, bevor sie eine neue Rolle erarbeiten. - Später: Ich habe es geschafft. Das geht mit der Mischung von Kummer und freundlichem Spott. Aber nur unter Zuhilfenahme des ganzen Gesichts. Mit den Augen allein geht es nicht.