Montag, 18. Oktober 2010
Sonntagszeitung
Es geht mir nicht gut. Bis ich erfahre, dass es der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auch nicht gut geht. – Heute Früh auf FAZ.NET ein Artikel aus der FAS: Spionieren mit Facebook. - Facebooks Datensammelwut macht es möglich: Sogar Kontaktpersonen von Nichtmitgliedern lassen sich ermitteln - allein mit einer E-Mail-Adresse. Wie leicht das geht, zeigt ein Experiment der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. - Ein Experiment der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dann haben die sich also inspirieren lassen vom Account-Fake von TechCrunch und haben einen weiteren Dreh entdeckt, wie man über Facebook Leute ausspionieren kann. Doch oh nein! Sie haben nichts entdeckt. Sie haben die Aktion von TechCrunch einfach nur nachgestellt und das ein Experiment genannt. Immerhin erwähnen sie in dem Text, woher sie die Idee haben. Wie ich später auf Perlentaucher lese, erwähnen sie es allerdings nur in der Onlineversion des Artikels, in der Papierausgabe der FAS gab es diesen Hinweis nicht. Da haben sie den Eindruck eigener Schlauheit und Gewitztheit erweckt. Und warum in der Onlineversion nicht? - A) Zwischen Papierveröffentlichung und Onlineveröffentlichung haben sie herausgefunden, dass der Autor des Textes sich mit fremden Federn geschmückt hat. Das ist mit der Seriosität des Blattes nicht vereinbar. Deshalb wurde der Hinweis auf die Quelle TechCrunch eingerückt in die Onlineversion, und was sie mit dem Autor des Artikels gemacht haben oder noch machen werden, will ich mir lieber nicht vorstellen. B) Der Autor ist doch nicht blöd und riskiert wegen so etwas seinen guten Ruf. Er hat selbstverständlich auf die Quelle hingewiesen. Worauf jemand in der Redaktion gesagt hat, warum sollen wir unseren Papierlesern das auf die Nase binden, wie du darauf gekommen bist? Denen verkaufen wir das als exklusiv schlau und gewitzt von uns. Und den Onlinelesern, bei denen die Gefahr besteht, dass sie noch was anderes lesen als FAZ.NET, denen nennen wir unsere Quelle. C) Es kann aber auch so gewesen sein, dass die FAZ.NET-Leute das richtig gestellt haben, weil es ihnen peinlich war, was die FAS-Kollegen da getrieben haben: Erst ein Thema aufgreifen, das so alt ist wie die Zeitung von gestern, und dann auch noch die Quelle weglassen. Wer sind wird denn? – Ich hätte diesen Vorfall nicht erwähnt, wenn ich nicht gegen 14 Uhr in tiefes Brüten versunken wäre. Wegen meines Blogs und überhaupt. Wie weiter jetzt? Die Fortsetzungsgeschichte meiner unglücklichen Liebe zur Tess hat ihre schlimmst mögliche Wendung genommen. Jetzt kann ich in Das Alte Biest noch eine Weile dem Unglück hinterher schreiben und dann? Solche Schoten erzählen wie die vom Experiment der FAS? – Telefon! 14.05 Uhr und Telefon? Da will mir jemand was verkaufen. Frauenstimme. Singsangartig. Geschliffener Vortrag. Ich hätte doch mal die FAS abonniert gehabt. – Ja, vor Jahren. – Jetzt kann ich sie haben 12 Wochen lang zu einem Sonderpreis. – Sonderpreis enttäuscht mich, weil die Stimme war so angenehm, dass ich schon glaubte, ich kriege was umsonst. – Statt etwas über 40 Euro soll ich nur 28 Euro bezahlen für zwölf Ausgaben der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und kriege dazu ein Geschenk, das entweder ist ein Benzingutschein im Wert von 10 Euro oder ein Fleuropgutschein im Wert von 10 Euro. So dass ich nur 18 Euro zahlen würde für die zwölf Zeitungen. Allerdings auch nur, wenn ich jemandem Blumen schicke über Fleurop und dabei sicher drauf legen werde, denn ich glaube nicht, dass da viel für die Blumen übrig bleibt von den 10 Euro, da das Verschicken der Blumen schließlich auch was kostet. Und da ich kein Auto habe und nicht mal einen Motorroller, würde nun mal nur der Fleuropgutschein für mich in Frage kommen. – Da mir der Vortrag der Frau so gut gefallen hat, verschone ich sie mit meiner Spitzfindigkeit und sage, dass ich das Angebot gerne annehmen würde, ich aber leider in dieser Lebensphase keine Zeit habe, um die FAS zu lesen. Das ist eine freundliche und eine taktische Lüge, mit der ich sie nicht entmutigen und zugleich verhindern will, dass es zu einer Diskussion kommt. – Wir wünschen einander einen guten Tag und es geht mir auch schon viel besser nach diesem Gespräch. Weil es der FAS offenbar noch schlechter geht, als ich am Morgen dachte. Weil ich mein eigenes Geschäft habe, dem es zwar auch nicht gut geht, mit dem es aber im Gegensatz zu dem der FAS nur aufwärts gehen kann. Und weil ich ein schlechter Mensch bin. - Statt eines Benzin- oder Fleuropgutscheins hier ein Link zu einem Beitrag von The New Yorker zur Berichterstattung von FAZ und ZEIT über den Film Das soziale Netzwerk. Und hier der Artikel von Claudius Seidl (Feuilleton-Chef der FAS), um den es im New-Yorker geht. - Meine Lieblingsstelle im New-Yorker-Text: (Zitat Seidl, darauf der knappe Kommentar) “This is what I see when I go to Facebook: an egocentric universe in which a higher existence is absolutely not supplied.” As if it could be.