Sonntag, 17. Oktober 2010

Geschenk

Als ich mit Hediye zusammen war, bin ich stolz darauf gewesen, mit einer Frau zusammen zu sein, die eine Kriegerin ist. Stark gegen stark, so muss es sein, hatte sie einmal gesagt, kurz nachdem wir uns kennengelernt haben. Streit ist kein Problem. Streit gehört dazu. Es war eine Lust, sich mit ihr zu streiten, weil ich mich nie schlecht fühlen musste dabei. Denn ich wusste, sie kann sich wehren. Und wenn ich nicht aufpasse, bekomme ich doppelt zurück, was ich gegen sie austeile. Am Ende hat sie es mir so gegeben, dass ich lange brauchte, bis ich mich wieder aufgerappelt hatte. Und danach, als wir beste Freunde geworden sind, hat sie mir mal gestanden, dass Kriegerinnen auch manchmal schwach sind – und dass sie schon manchmal Tränen in den Augen hatte, wenn sie nach einem Streit mit mir nach Hause gegangen ist. Der Name Hediye ist Türkisch und bedeutet Geschenk. Die Leute, die Hediye kennen, sehen in ihr ein Geschenk oder sie sind neidisch auf sie. Der Neid hat schon bis in ihre Familie hinein gereicht. Hediye hat immer die besten und die schönsten Handys. Ihr aktuelles Handy ist aus Gold. Das hat ihr ihr deutscher Freund geschenkt. Mit dem plant sie zusammenzuziehen, wenn ihre Söhne aus dem Haus sind, und über Heiraten haben die beiden auch schon gesprochen. Hediye wohnt am Rand der Stadt in bester Gegend in einem eigenen Haus. Potsdam ist nicht weit entfernt. Dort fährt sie hin zum Einkaufen und es gefällt ihr da - alleine schon deshalb, weil es dort nicht so viele Ausländer gibt. Das hat sie mit ganz ernster Miene gesagt und danach hat sie sich schief gelacht über den Satz. Hediye ist stolze Türkin und stolz darauf, einen deutschen Pass zu haben. Sie schaut im Fernsehen türkische Serien. Wenn sie in Istanbul ist, wo sie eine Wohnung besitzt, genießt sie das familiäre Zusammenleben mit der Nachbarschaft und die menschliche Wärme, die sie hier oft vermisst. Und wenn sie zurück nach Berlin kommt, ist sie froh, endlich wieder zu Hause zu sein in ihrer Stadt und in ihrem Land. – Ich habe Hediye gestern getroffen, weil ich mit ihr über einen Artikel reden wollte, den ich am Vortag in der FAZ gelesen hatte. Es geht darin um Rassismus von in Deutschland lebenden Muslimen gegen Deutsche, muslimischer Jugendlicher gegen deutsche Jugendliche, muslimischer Prediger gegen westliche Kultur. Im Nachhinein weiß ich auch nicht mehr, was ich erwartet habe von dem Gespräch über den Artikel. Wahrscheinlich wollte ich nur Hediye endlich mal dem Blog vorstellen. Und es war sowieso höchste Zeit, dass wir uns wieder einmal getroffen haben, nachdem wir uns mehr als ein halbes Jahr nicht gesehen hatten. Deshalb sprachen wir erst mal darüber, wie dünn ich geworden und über meine unerfüllte Liebe, von der sie meint, dass ich sie endlich aufgeben soll, und dann über ihre Liebe und über ihre Söhne, ihre Schwiegertochter und ihr Enkelkind, und erst ganz zum Schluss über den Artikel und über die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die alles tun, um ins Paradies zu kommen, und die auf jeden herabblicken, dem das verwehrt sein wird. Hediye ist Alevitin. Wobei ich zugeben muss, dass ich nie ganz verstanden habe, was das heißt. Lange Zeit habe ich gedacht, der Alevitismus sei so eine Art aufgeklärter Islam, aber das stimmt so auch nicht. Auf jeden Fall heißt es, nicht mehrmals täglich beten und kein Kopftuch. Allerdings, wenn Hediye in dem südostanatolischen Dorf ist, aus dem ihre Familie stammt, dann trägt sie ein Kopftuch. Die Welt ist kompliziert. Und Welt ist jetzt überall. Eine Tante Hediyes ist mit einem Kurden verheiratet und ihre Söhne leben in Spandau, sind strenggläubige Muslime und verachten Hediye und ihre Familie. Und zu dem Artikel der entrüsteten FAZ-Autorin kann Hediye nur sagen, dass es in der Türkei die gleichen Probleme mit den frommen Muslimen gibt. Allerdings größere Probleme als hier, weil dort ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung größer ist - und man nicht in Erwägung ziehen kann, sie des Landes zu verweisen, sondern gezwungen ist, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Sich mit ihnen zu streiten. Weil man zusammengehört, gleich wie groß die Gegensätze sind. Am Ende haben wir dann noch über den deutschen Rassismus gesprochen, von dem Hediye naturgemäß einiges zu erzählen weiß. Dem uneingestandenen Rassismus, dem verbreiteten, und dem institutionellen. Was ich nicht wusste: Als die Familie Hediyes Anfang der 70er Jahre nach Deutschland eingewandert ist, bekam jedes Familienmitglied einen Vermerk in den Pass, in welchen Teilen der Stadt sie wohnen durften und in welchen nicht.  Das hat sich geändert mittlerweile. Aber das muss man schon wissen, dass das einmal so war, wenn man heute über gescheiterte Assimilation klagt, über Ghettobildung und über die Existenz von Parallelgesellschaften.