Samstag, 16. Oktober 2010

Reden

Weiß es ganz genau, dass ich einen Text geschrieben habe, in dem es u.a. darum geht, dass ich hinter mir ein Rascheln in den Blättern der Kletterpflanze am Geländer der Loggia höre und mich umdrehe und durch eine Lücke im Bewuchs den Nachbarn aus der Dachwohnung gegenüber bemerke, der zu mir her starrt und ein Gesicht macht, als hätte er gerade einem Außerirdischen zugesehen bei einer Aktivität. deren Zeuge er lieber nicht gewesen wäre. Aber warum hat er dann hergeguckt? - Und warum finde ich den verdammten Text nicht? Gleich, was ich in die Suchfunktion von Word eingebe: Kletterpflanze, Rascheln, Loggia, masturbieren, Gesicht, her starrt ... – kein einziger Treffer: Der Suchvorgang innerhalb des Dokuments ist abgeschlossen. Das gesuchte Element konnte nicht gefunden werden. – So bleibt mir nur, die Texte selbst zu durchsuchen, die ich an die Tess geschrieben habe im Zeitraum von? – April bis Juni. In dem Zeitraum muss es gewesen, dass ich ihr mal erzählt habe von der Begebenheit. Doch das schaffe ich nicht, das alles durchzulesen. Das ist mir zu mühsam. Und zu deprimierend. Zu sehen, wie es in den Texten immer nur um das Gleiche geht: Reden. Rede mit mir! Wann wirst Du endlich mit mir reden? Wie kann ich Dich dazu bringen, mit mir zu reden? Indem ich Dir noch mehr erzähle von mir? Was denn noch? Ich habe Dir doch schon so viel erzählt und immer noch hast Du kein Zutrauen zu mir gefasst. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, je mehr ich Dir von mir offenbare, desto mehr entfernst Du Dich von mir. – Hat sie aber nicht. Entfernt hat sie sich nicht. Sie ist immer da geblieben. In der gleichen Distanz. Auf der anderen Straßenseite. Hinter dem Fenster. Ihre Gestalt. Ihr Huschen. Ihr Sitzen am Tisch vor ihrem Laptop. Wenn sie mir zeigt, dass sie liest, was ich ihr schreibe. Und manchmal, wenn es ihr gefällt, was ich geschrieben habe, dann schaltet sie das Dachlukenlicht an, und wenn sie begeistert ist, das war sie schon lange nicht mehr, dann stellt sie zusätzlich noch das Licht im Zimmer auf gleißend. Das Dachlukenlicht setzt sie auch ein als Zeichen der Annäherung. Zeichen ihrer Präsenz. Ich bin da heute Abend. Schreib mir. - Wie auch gestern Abend wieder: Komm, schreib mir!. Hast du nicht gesagt, dass es immer nur zwei Tage dauert, bis du dich wieder eingekriegt hast? Die zwei Tage sind vergangen. Also ist jetzt alles wieder gut. Lass uns weiter machen. Wie bisher. – Nein, Tess! Nich weiter wie bisher. Reden! Ohne Reden geht es nicht mehr. Finde einen Weg, um mit mir zu reden! Ich kann ihn nicht finden. Du musst ihn finden. Ich habe alles getan. Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun könnte. Und ich schreibe Dir auch nicht mehr. Es geht nicht mehr ohne Reden. Finde einen Weg!