Donnerstag, 7. Oktober 2010
Traumdeutung
Ich habe Anneli umgebracht. Ich wollte es nicht tun. Es war allerdings auch nicht so, dass ich sagen könnte, dass sie selbst schuld daran war oder es vielleicht sogar gewollt hat. Aber sie hat dazu beigetragen in einer so schicksalhaft verwickelten Weise, dass es unmöglich erscheint, es jemandem zu erklären. Ich habe den Hergang der Tat in einem umfangreichen handschriftlichen Manuskript in allen Einzelheiten geschildert. Dieses Manuskript habe ich zusammen mit der blutverkrusteten Tatwaffe, einem Dolch, an einem geheimen Ort deponiert. Danach habe ich Wim alles erzählt und ihm gesagt, wo ich das Manuskript und den Dolch versteckt habe. Wim kann ich vertrauen. Er wird Stillschweigen bewahren. Im Nachhinein ist es mir völlig unverständlich, warum ich Fritze K. auch von der Tat erzählt habe. Sie hat mit ihrer Mutter, Marie M., darüber gesprochen und zusammen mit ihr oder unter ihrem Einfluss ist sie zu der Überzeugung gekommen, dass ich für meine Tat zur Verantwortung gezogen werden muss. Noch hat Fritze nichts unternommen. Doch es kann jederzeit passieren, dass sie zur Polizei geht und mich verrät. Ich bin nicht mehr sicher. Es ist aussichtslos, Fritze umstimmen zu wollen. Sie ist unzugänglich für meine Appelle und ich versuche erst gar nicht, ihr das Geschehene begreiflich zu machen, da es so kompliziert ist, dass ich es selbst kaum mehr begreife. Ich quäle mich mit Vorwürfen, dass ich so leichtfertig war, ihr von der Tat zu erzählen, und mich damit in diese Lage gebracht zu haben, Es wird nicht mehr lange dauern, dann werde ich mit Polizisten konfrontiert sein, beschuldigt des Mordes an Anneli und außerstande zu erklären, wie es zu der Tat gekommen ist. Als gemeiner Mörder werde ich dastehen. Es ist wie in einem Alptraum. Es gibt kein Entkommen. Ich kann nichts tun. Ich kann nur warten, bis es geschieht. Fritze und ich, wir berühren uns. Wir wollen Sex miteinander haben. Aber wir kommen nicht dazu. Wegen des vielen Kokains, das sie bei sich hat. Sie hat es satt. Sie will es loswerden. An irgendjemanden verschenken. Nur weg damit. Ich will nicht, dass sie es verschenkt. Inzwischen ist auch gar nicht mehr so viel davon übrig. Nur noch ein Rest in der zerknitterten Alufolie. Ich stelle mich ungeschickt an mit dem Röhrchen. Sie zeigt mir unwirsch, wie man es richtig macht. Das Zeug ist nicht weiß und kristallin, es ist pastös und schmutzig grau. Es gelingt mir nicht, es durch das Röhrchen in meine Nase hochzuziehen. Aber das macht nichts. Es ist mir nicht mehr wichtig. Es ist mir egal. Es ist mir auch völlig egal, ob Fritze zur Polizei geht und wann sie es tut. Sie werden mir nichts anhaben können. Ich habe das Manuskript. Ich habe darin minutiös festgehalten, wie es war. Dazu bekenne ich mich, wie es war. Ich fühle mich mit einem Mal unendlich erleichtert. Und mit diesem Gefühl der Erleichterung wache ich auf. Das Gefühl nun noch verstärkt durch die Erkenntnis, dass ich Anneli nicht umgebracht habe. Das Gefühl bleibt. Das Gefühl von heute ist ein Gefühl der Erleichterung. Das Gefühl muss nicht befragt werden. Mit dem Gefühl ist schon alles gesagt. Der Traum muss nicht gedeutet werden. Der Traum hat zum Gefühl der Erleichterung geführt. Dazu war der Traum da. Das ist die Bedeutung des Traums. Bester Tag seit lange. Ende der Gefühlstrilogie.